Die Science-Fiction-Komödie »Her«

Fuck the System

In Spike Jonzes Science-Fiction-Komödie »Her« verliebt sich ein Großstadt-Single in die Stimme und Intelligenz des Betriebs­systems seines Computers.

Der Schnurrbartträger redet leise, in natürlichem, ungezwungenem Tonfall, auf seinen Computer ein. Auf dem Bildschirm werden seine Worte in »Handschrift« übersetzt und fügen sich zu einem Liebesbrief. »Print«, haucht der Autor und der Drucker gehorcht. Gleich darauf hat der Mann mit dem prägnanten Bart ein adrettes Briefimitat vor sich, inklusive der perfekt simulierten Imperfektion des Handgemachten und Analogen. Auch die Intimität ist simuliert: Der Mann befindet sich an seinem Arbeitsplatz, er verdient sein Geld damit, mit Hilfe seines literarischen Talents anderer Leute Privatbeziehungen am Laufen zu halten, indem er für sie Briefe formuliert.
Es geht Spike Jonze in seinem Film »Her« nicht darum, die technische Herstellung von Intimität als Entfremdung zu brandmarken und mit irgendwelchen »echteren« Gefühlen zu konfrontieren. »Her« positioniert sich durchaus konsequent auf der Seite des Künstlichen und Gemachten. Auch die Empfänger der Briefe sollen nicht hintergangen werden, sondern sich am »Vintage«-Effekt erfreuen. In »Her« stellt sich Technik nicht mehr zwischen den Menschen und die Welt, sie ist zu einer in beide Richtungen durchlässigen Membran geworden.
Soweit ist das eine naheliegende Zukunftsprognose. Dass Dematerialisierung und sinnliche Erfahrung keine Gegensätze sind, ist im Zeitalter der Touchscreens keine überraschende Erkenntnis mehr. Und so ist Science-Fiction für den ehemaligen Musikvideoregisseur Jonze weniger eine Frage der Erfindung als eine des Designs. »Her« ist kein großer, eigenständiger Weltentwurf, stattdessen begnügt sich der Filmemacher damit, gewisse analoge Restwiderstände wie Dreck, Alter, Armut aus der Gegenwart zu verbannen und anschließend alles, was dann noch übrig ist, pastell- und fliederfarben anzupinseln. Der flauschige Indiepop auf der Tonspur (hauptverantwortlich: Arcade Fire) tut sein Übriges.
Wenn der Schnurrbartträger, Theodore Twombly mit Namen und gespielt von Joaquim Phoenix, mit seinem Leben, trotz entspannten Jobs in einem ebenfalls total unentfremdeten Großraumbüro, nicht ganz zufrieden mit seiner Existenz ist, dann liegt das jedenfalls nicht an der Technik. Im Gegenteil, er bewegt sich in den digitalen Kommunikationsnetzwerken wie ein Fisch im Wasser. Auf dem Weg nach Hause lässt er sich seine E-Mails vorlesen, scannt einmal kurz durch ein paar erotische Fotos, den Feierabend verbringt er mit zum Hologramm ausgefahrenen Computerspielen.
Die Probleme lauern im Zwischenmenschlichen. Der Smalltalk mit Kollegen und Nachbarn funktioniert noch reibungslos, aber wenn es um die nicht mehr so einfach simulierbare körperliche Intimität geht, gerät die kuschelige Melancholie, in der sich Theodore eingerichtet hat, in Gefahr. Beim Telefonsex mit einer horny Unbekannten muss er erkennen, dass seine Gesprächspartnerin ihn genauso unverbindlich benutzt, wie er seinen Arbeits-PC oder seine digitalen Avatare. Schon diese erste Irritation, die Jonze in seine digitale Plüschzukunft einbaut, ist allerdings eher auf putzige Weise bizarr als ernsthaft verstörend: Er, Theodore, solle sie, weist die unsichtbare Stimme ihn fernmündlich an, mit dem Schwanz einer imaginären toten Katze, die neben dem Bett liegen soll, würgen. Augenrollend willigt er ins Rollenspiel ein und wird Zeuge eines ebenfalls putzig überartikulierten Orgasmus. Später möchte er es mit einem analogen One-Night-Stand versuchen; da kündigen sich die Schwierigkeiten bereits bei der Mund-Nase-Koordination während des Küssens an.
Das Hauptproblem von »Her« offenbart sich schon lange vor dem eigentlichen Clou des Films. Jonze bürstet seine Welt so gründlich auf Niedlichkeit, dass ästhetische und emotionale Differenzerfahrungen von Anfang an ausgeschlossen sind. Das beginnt bei an Instagram erinnernden, simpel gebauten Bildern, denen man schon von weitem ansieht, dass sie fürs iPad und eine beiläufige Betrachtung im heimischen Wohnzimmer optimiert wurden, in der Einsamkeit und Dunkelheit des Kinosaals aber eigentlich fehl am Platz sind. Es setzt sich fort in der hermetischen Abgeschlossenheit einer Welt, die ausschließlich von sanften Hipstern im jungen Erwachsenenalter bewohnt zu werden scheint (der Film spielt in einem maximal gentrifizierten und homogenisierten Los Angeles; gedreht wurde allerdings, das wäre die gelungene geopolitische Pointe des Films, ­
in Shanghai); und es wiederholt sich in jeder einzelnen sozialen Interaktion: Wenn man nicht ohnehin schon von Natur aus nett zueinander ist, schleifen harmloser Humor und allgegenwärtige Quirkyness alle Kanten mühelos stumpf.
Sogar die Wahrnehmung ist auf ähnliche Art gedämpft: Theodores Erinnerungen an eine soeben zu Ende gegangene Beziehung manifestieren sich ausschließlich in hochgradig lieb­lichen Aufnahmen einer fast schon geisterhaft ätherischen Rooney Mara. Die Frage, wie in eine derart stromlinienförmige, vorformatierte Erfahrungswelt doch noch einmal eine große, romantische Liebesgeschichte einbrechen kann, ist erst einmal nicht ohne Reiz. Und auf den ersten Blick ist auch die Antwort, die der Film gibt, nicht uninteressant: durch eine Liebe, von deren Objekt sich Theodore kein Bild machen kann – und der Film auch nicht.
Theodore verliebt sich in »Samantha«, das neue Betriebssystem seines Computers. Samantha besitzt zwar keinen Körper, noch nicht einmal einen Avatar als Surrogat, ist jedoch mit einem Bewusstsein ausgestattet und lernt aus Erfahrung. Theodores erster Sex mit Samantha ist die mit Abstand beste Szene des Films; bezeichnenderweise bleibt die Leinwand da komplett schwarz. Allerdings verfügt Samantha auch über Sinnesorgane – zumindest, wenn Webcam und Laptop-Mikrophon aktiviert sind – und vor allem über eine hochexpressive Stimme (in der der Originalfassung: über die von Scarlett Johansson). Diese Stimme vergegenständlicht die in der Sexszene regelrecht weltverschlingende Intimität schnell wieder – und ist ein geradezu ideales Liebesobjekt: Theodore kann sie überallhin mitnehmen, sie spricht ihm direkt ins Ohr, und vor allem spricht sie – das denkt er zumindest zunächst – nur zu ihm und nur für ihn. Als ideales Objekt seines Narzissmus flüstert sie ihn manchmal verführerisch an, denkt sich im nächsten Moment höchst private Scherze aus und gibt sich dann auch noch spielerisch erstaunt über die eigene Schlagfertigkeit.
Kurz und gut: Samanthas Stimme ist genauso ranschmeißerisch gefällig wie Jonzes Film. Glücklicherweise hat man im Kinosaal die Freiheit, es Theodore nicht gleichzutun: Der Film möchte ganz unbedingt, dass man sich Hals über Kopf in ihn verliebt – und lässt dafür, wenn sonst nichts mehr hilft, den sonst so großartigen, hier aber irgendwann nur noch bedauernswerten Joaquim Phoenix grundlos durch die Gegend tänzeln oder andere Kunststücke aufführen. Dem Zuschauer (denn auf einen männlichen Zuschauer scheint das alles doch recht eindeutig zugeschnitten) steht es frei, ein derart penetrant vorgetragenes Liebesangebot abzuweisen – schon weil wohl nur we­nige Kinogänger emotional so ausgehungert sein dürften, wie Theodore es ist.
Wenn man den digitalen Schmeicheleien nicht erliegt, bleibt leider nur ein überproduzierter Liebesfilm, dessen interessante Idee weitgehend verschenkt ist an eine dann wieder völlig uninteressante Dramaturgie. Denn die digi­tale Liebe folgt, glaubt man »Her«, exakt jenen Schemata, in die unzählige Romantic Comedys und Melodramen die romantische Zweierbeziehung schon seit Jahrzehnten pressen. Am Anfang steht ein rauschartiger Gefühlsüberschwang, man bezieht gemeinsam eine eigene Welt, bald folgen die wechselseitige Gewöhnung und die Enttäuschung über die sich abzeichnende Routine, bis die Eifersüchteleien einsetzen und man sich langsam auseinanderzuleben beginnt. Da war sogar schon in den achtziger Jahren der Paso-Doble-Hit »Computerliebe« weiter, in dem die Module noch verrückt spielen durften: »Die Verwaltung/warnt besonders/in den Nächten/vor Visionen«.

»Her« (USA 2013). Regie: Spike Jonze, Darsteller: Joaquin Phoenix, Amy Adams. Start: 27. März