Das englische Punk-Duo Sleaford Mods auf Tour

Stänkernde Chronisten der Vorstadthölle

Das nordenglische Duo Sleaford Mods ist das, was Punk hätte werden können – würde er nicht seit vier Jahrzehnten an seiner ­eigenen Konservativität ersticken.

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Punk war zweifelsohne wichtig in der Geschichte der Jugendkulturen, und ist es nach wie vor – als Tape im Auto, kecker Modetipp und Zutat für die individuelle Charakterbildung. Und zumindest weißen Mittelstandsjungs kann in ihrer adoleszenten Sinnsuche kaum Besseres passieren, als mit dem Geschepper anderer wenig älterer weißer Mittelstandsjungs in Kontakt zu kommen. Allein, als Sprachrohr der Kritik an gesellschaftlichen Missständen dient Punk – seien wir ehrlich – schon lange nicht mehr. So wie die Popkultur generell seit einer Weile unfähig scheint, relevante Kommentatoren des Status quo hervorzubringen. Entweder äußern sich die Künstler auf banale Weise oder sie wissen schlicht nicht, wovon sie sprechen. Umso begrüßenswerter, wenn sie mal wieder auftaucht, die musikalische outsider art, die in abgehängten, miefigen Vorstädten so etwas wie ein – wenn auch mieses – Lebensgefühl treffend vertont. Sleaford Mods tun so etwas.
Angefangen haben sie vor wenigen Jahren im drögen Großraum Nottingham. Mit einer handvoll CD-Rs und Veröffentlichungen auf Kleinstlabels sind sie bisher glücklicherweise nicht von der Musikindustrie vereinnahmt worden und bewegen sich bewusst in den Überresten der britischen und nun erstmals auch kontinentaleuropäischen DIY-Strukturen. Sleaford Mods, benannt nach einem Nachbarkaff, aus dem die beiden Bandmitglieder nicht kommen, und einer britischen Subkultur, der sie längst nicht mehr angehören, fabrizieren nichts Spektakuläres. Dass sie dennoch einzigartig sind, liegt an ihrem Talent, der Misanthropie von Punk, dem »Fuck Off« der ersten Generation, wieder Leben einzuhauchen – selbst wenn diese kategorische Absage in den vergangenen fast 40 Jahren immer wieder recycelt wurde, bis die Protagonisten der Szene selbst sich in ihre Vorgärten erbrachen, die auch, nebenbei bemerkt, mit viel dekorativem Leergut überhäuft nichts weiter als spießige Vorgärten geblieben sind. Sleaford Mods zelebrieren den rotzigen Nihilismus der Anfangsjahre von Punk mit all seinen Brüchen. Aber mit anderen Mitteln.
Eine simple Bassline gibt es pro Stück, dazu einen spartanischen, post-punkig treibenden oder billigen Plastik-Drumbeat, der klingt, als wäre der für die Sounds zuständige Andrew Fearn großer ESG-Fan, aber mehr mit Trinken als Programmieren beschäftigt. Nichts soll ablenken von Jason Williamsons halb gesprochenem, halb gesungenem monotonem Pöbeln, das mit seiner prätentiösen Nöligkeit die Leerstelle zwischen Mike Skinner (The Streets) und Mark E. Smith (The Fall) füllt. Sleaford Mods bekennen sich selbstsicher zu ihrem fischgesichtigen Weißbrot-Rap, der von Ex-Punks ­gemacht wurde, die nicht tanzen können und es auch nicht wollen.
Verstehen muss man das nordenglische Idiom nicht immer, um zu wissen, dass man gerade mit dem überzogen wird, was die englische Sprache so herrlich schwer übersetzbar »Rant« nennt: Ein ungefiltertes Stakkato-Abkotzen über alles und jeden, über die sich gegenseitig erniedrigenden Schluckis im Park, den Rapport beim Sozialarbeiter, überhaupt: Arbeit, die schlechte Qualität der letzten Drogenlieferung, die lähmende Penetranz der wischenden Smartphone-Zombies – die Liste ließe sich fortsetzen.
Williamson macht in der Beschreibung der eigenen verkrachten Existenz und derer seiner Figuren keinen Unterschied. Er belehrt, analysiert und fordert nicht, sondern dokumentiert nur die Hässlichkeit unseres Siechtums. Es ist, als fände man sich auf der klebrigen Rückbank eines aufgebrochenen, nach Pommesfett stinkenden Ford Escort wieder – inmitten einer Bande viel zu alter Crashkids, die ihre Umwelt so lange beschimpfen, bis die Amokfahrt abrupt in der Glasfront des Arbeitsamts endet.
Zwischen all den Kraftausdrücken findet sich eine lebendige, bildhafte Komik, die aus einer Irvine-Welsh-Parodie von David Sedaris entsprungen sein könnte: »The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon, Kevin’s gettin footloose on the overspill … «, »History repeats like BBC 2 … «. Mehrere britische Musikkritiker zogen den inzwischen versackten Punk-Poeten John Cooper Clarke als Referenz heran, den Williamson nach eigener Aussage nicht kennt, von dem er aber trotzdem schon gelangweilt ist.
Als radikal bezeichnet er sich nicht. Vielmehr sieht er sich als Chronist des Kleinstadtmiefs, der ihn auch täglich bei der Arbeit als Steuerbearbeiter in der lokalen Verwaltung umgibt. Er ist weit davon entfernt zu romantisieren, und sagt, er repräsentiere nur die durchschnittlichen Leute um ihn herum. »Tied up in Nottz« ist so etwas wie das Update von »Streets of London«, einem Song, der sowohl in Ralph McTells Version von 1969 als auch eine Dekade später bei den Punks der Anti-Nowhere League das Elend der englischen Metropolen treffend beschreibt.
Die exzessive Verwendung von Schimpfworten verteidigt Williamson als situationistischen Akt der Provokation und einzig adäquaten Ausdruck seiner permanenten Frustration. Depression und Hoffnungslosigkeit seien der Kern ihrer Musik, über etwas anderes zu singen wäre i­gnorant und unnütz, wie so vieles. »Es wird immer alles frustrierend sein. Selbst eine leichte Verbesserung der sozialen Umstände würde da nichts bringen.« Es gibt kein Entkommen aus dem Milieu.
Selten schafft es Popmusik, noch dazu weiße, den Alltagshorror des prekären Dahindarbens so präzise und unpeinlich zu bebildern, ohne in Klischees und Pathos zu verfallen oder gar mit Durchhalteparolen zu nerven. Während die benachbarten Gebiete der Popkultur, die Slam Poetry beispielsweise, sich damit begnügen, »der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten«, bis »einem das Lachen im Halse stecken bleibt« – abgeschmackte Formulierungen, die immer wieder nur auf die Unzulänglichkeiten der Kritik hinweisen –, bekommen wir hier den Spiegel einmal quer durchs Gesicht gezogen. Und auf die blutigen Splitter wird noch ein abgestandenes Brown Ale gekippt. Williamsons einziger Ratschlag: »Höre niemals auf, dem Kapitalismus zu misstrauen!«
Dass Sleaford Mods trotzdem gefällig sind und sich dem Risiko aussetzen, aufgrund ihrer vordergründigen Banalität nicht ernst genommen oder vereinnahmt zu werden, sei ihnen verziehen. Sie brechen zwar nicht mit Hörgewohnheiten, stimmen aber auch in keinen Trend ein. Bei allem Witz und Zynismus ist das Duo zu keinem Zeitpunkt ironisch, was in der Popkultur, gerade der unkommerziellen, eine seltene Wohltat ist. Ihre in all den Schimpftiraden verpackte affirmative Kritik an dem, was Aufkleber an deutschen WG-Kühlschränken mit »Kackscheiße« bezeichnen, ist eindringlich und unmittelbar. Das lässt die beiden Stänkerer nicht nur empathisch, sondern geradezu sympathisch erscheinen.

Sleaford Mods: Divide and Exit (Harbinger Sound/Cargo)
Live: 9.5. Aachen, Musikbunker; 10.5. Bremen, Die Friese; 11.5. Köln, Tsunami Club; 12.5. Esslingen, Komma; 13.5. Duisburg, Djäzz Jazzkeller; 14.5. Siegen, VEB; 15.5. Münster, Gleis 22; 16.5. Hamburg, Golden Pudel Club; 17.5. Hamburg, Markthalle; 18.5. Berlin, Bei Ruth