Der Einsatz westlichen Militärs ist keine Lösung

Sie können es nicht

Die Armee ist durch ihr brutales Vorgehen ein Teil des Problems in Nigeria. Aber auch westliche Armeen haben kein Konzept gegen Guerillagruppen, die wie Boko Haram vor allem Zivilisten angreifen.
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Die Entführung von mehr als 200 jungen Frauen durch die Islamistengruppe Boko Haram erfährt zu Recht große Aufmerksamkeit in internationalen Medien. Dass alles versucht werden muss, um die Verschleppten zu retten, ist selbstverständlich. Auch die Wiederherstellung der Sicherheit im Nordosten Nigerias, wo Boko Haram wiederholt Massaker in Schulen, Dörfern und Städten angerichtet hat, gehört zu den Aufgaben der Regierung. Allein, der Einsatz von Soldaten wird wohl auch trotz der versprochenen internationalen Unterstützung mit Drohnen und Beratern weder das eine noch das andere erreichen.
Das nigerianische Militär agiert wie mit dem Vorschlaghammer, wo Fingerspitzengefühl gefragt ist. Boko Haram gehem die freiwilligen Rekruten nicht aus. Der Mobilisierungserfolg hängt unmittelbar mit dem brutalen Vorgehen der Armee zusammen. Wer junge Männer unter Generalverdacht stellt und ohne Anlass verprügelt, foltert und tötet, muss sich nicht wundern, wenn sie bei der Gegenseite Schutz suchen. Die Radikalisierung der Gewalt von Boko Haram – die Gruppe greift statt Repräsentanten des Staats, wie zu Beginn ihrer Existenz, inzwischen fast nur noch Zivilisten an – ist zwar ein Zeichen dafür, dass der Staat sich inzwischen besser zu schützen weiß und Boko Haram militärisch in der Defensive ist. Doch damit wurde die Gewalt der ­Islamisten auf Zivilisten umgelenkt. Bombenanschläge, Massaker und Entführungen machen nun das Repertoire der Gruppe aus und Regierung und Armee haben keine Idee, wie sie dagegen effektiv vorgehen könnten.
Militärische Brutalität, die Konflikte nicht löst, sondern verschärft, ist nichts Neues in Nigeria. Im südöstlichen Niger-Delta, wo sich die Ölquellen des Landes befinden, entstand vor 25 Jahren eine zivile Protestbewegung gegen Armut und Umweltzerstörung. Das damalige Militärregime reagierte mit Repression. Einige Jahre später stand die Armee gut gerüsteten Rebellenkämpfern gegenüber. Jahrelange brutale Kämpfe, die die Region weiter verwüsteten, blieben ergebnislos. Erst ein für die Rebellenführung finanziell lukrativer Friedensvertrag führte zu einem Ende der Kämpfe. Auch die sogenannten Friedens­einsätze der nigerianischen Armee in den Bürgerkriegen in Westafrika in den neunziger Jahren und die Massaker an den Einwohnern des kurzlebigen Sezessionsstaats Biafra in den Sechzigern, die das Land bis heute traumatisiert haben, zeigen eines: Mit der nigerianischen Armee ist kein Frieden und keine Sicherheit zu machen.
Doch westliche Armeen, die nun ihre Berater schicken, haben eine ebenso negative Bilanz im Umgang mit Guerillakriegern, wenn diese vornehmlich Zivilisten angreifen. In der Zentralafrikanischen Republik hat ein französisches Kontingent kürzlich zwar die stärkste Warlord-Fraktion zum Rückzug aus der Hauptstadt gezwungen. Die Racheakte der Gegenseite – Mord und Vertreibung von Zivilisten – lässt sie aber geschehen. Ob in Irak oder Afghanistan, das westliche Militär hat keine erfolgreichen Strategien gegen Guerillas. Einige tausend Kilometer östlich von Nordnigeria jagen US-Soldaten seit Jahren erfolglos den Anführer der ugandischen Lord’s Resistance Army (LRA), Joseph Kony, dessen Leute weiterhin Zivilisten berauben, entführen und massakrieren.
Zum LRA-Führer Kony gab es eine aufsehenerregende Kampagne in sozialen Medien, die das Problem bis zur Unkenntlichkeit auf die Formel »afrikanischer Monster-Warlord versklavt unschuldige Kinder« zuspitzte. Die Internetaktivisten forderten die US-Regierung auf, Soldaten zur Jagd auf Kony zu schicken. Die Twitter-Kampagne »#BringBackOurGirls« läuft in eine ähnliche Richtung. US-Präsidentengattin Michelle Obama, prominentestes Sprachrohr der Kampagne, sprach zum Muttertag vergangene Woche davon, dass ihr Mann befohlen habe, »alles Mögliche zu tun«, um die Entführten zu befreien. Damit waren offensichtlich militärische Berater für das nigerianische Militär und möglicherweise Drohnen gemeint, doch diese werden das Problem – wie die jüngere Militärgeschichte zeigt – nicht lösen.