Berlin Beatet Bestes. Folge 245.

Früher war man sportlicher

Berlin Beatet Bestes. Folge 245. Tip & Tap: Ein Fuß, ein Ball, ein Schuss, ein Tor (1974).

Mir fehlt wohl eine Tüte Testosteron. Ich kann den Fußball, die Massen und den Männerkult nicht ausstehen. Aber das mit dem Fußball war nicht immer so. Als Kind habe ich es geliebt, mit meinen Freunden Fußball zu spielen. Meistens trafen wir uns auf der Moorweide, einer Wiese gegenüber dem Bahnhof Hamburger Dammtor. Stundenlang rannte ich sinnlos dem Ball hinterher und kam abends völlig erschöpft, aber glücklich nach Hause. Einige meiner Freunde waren natürlich schon damals richtige Fußballfans, spielten im Verein, lasen Kicker und dekorierten ihre Kinderzimmer mit Postern von Fußballervisagen. Mein Vater war Seemann und deshalb nur selten zu Hause. Wenn er da war, spielte auch er gern Fußball. Oder er nahm mich und meinen Bruder mit ins Volksparkstadion zu einem Spiel des HSV. So richtig Feuer fing ich allerdings nicht für die Sache. Ich begeisterte mich für Bücher und Comics und war in einem Ruderverein, dem Ruderclub Favorite Hammonia. Mein Bruder, meine Mutter und ich wohnten im vierten Stock eines Hauses aus roten Backsteinen in der Hansastraße. Bis ich 13 war, teilte ich mir mit meinem Bruder ein Zimmer. Beim Rudern auf der Alster konnte ich der Enge unserer kleinen Wohnung entfliehen. Ganz in der Nähe, an der Rothenbaumchaussee, befand sich auch ein Spielplatz, der direkt an den Tennisclub grenzt, in dem das berühmte Tennisturnier stattfindet. Oft guckten wir über den Zaun, um zum Beispiel Björn Borg zu sehen. Oder wir spielten Fußball.
Einmal traten meine Freunde und ich gegen ein paar besonders ruppige Typen an. Mein kleiner Bruder musste wie immer ins Tor. Als eines von den gegnerischen Kindern meinen Bruder besonders hart anschoss, schrie der wie verrückt auf. Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob er das Tor gehalten hat oder nicht, aber mitten im Spiel wollte er plötzlich nach Hause. Noch völlig mitgerissen vom Spiel, konnte ich nicht verstehen, warum er nicht aufhörte zu weinen. Ich wollte weiterspielen. Wütend gab ich nach. Nicht ohne ihm auf dem zähen Weg nach Hause ohne Unterlass Vorhaltungen zu machen. Als meine Mutter den Arm meines Bruders sah, war ihr sofort klar, dass er gebrochen war. So wie damals habe ich mich nie wieder geschämt.
Die Fußballweltmeisterschaft 1974 verfolg­ten wir meist bei der Familie unserer Freunde Angelika und Peter. Die wohnten in der Rothenbaumchaussee in einer richtigen Villa und hatten einen Farbfernseher. Meine Lieblingsspieler waren Berti Vogts und Sepp Maier, die fand ich am lustigsten. Ich war acht und mein Bruder sechs Jahre alt, im Pumuckl-Alter. Hans Clarin, die Stimme von Pumuckl, sang auch die völlig unkämpferische und unpariotische WM-Hymne von Tip & Tap: »Ein Fuß, ein Ball, ein Schuss, ein Tor«.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.