Talmi

V-Day

Das Leben ist eine teure Angelegenheit. Schuld daran haben meist die Lebensmittel. Um 18 Prozent steigen die Getreidepreise, um vier Prozent die für Lebensmittel allgemein, und jedes Jahr drehen die selbsternannten »Versorger« noch etwas am Preisschräubchen. Da die Löhne in Deutschland seit Jahren stagnieren, muss der Arbeitnehmer, der zu blöd zum Protestieren und Managerentführen, aber schlau genug zum Sparen ist, zu Tricks greifen, und die Versorger helfen ihm auch dabei: indem sie ihm ihre Abfälle unterjubeln. Was die grässlichen »Tafeln«, deren Existenz teilweise schon mit der Sozialhilfe verrechnet wird, im großen Stil leisten, was sich der Student, der stolz containern geht, als subversiv und voll gegens System anrechnet, schafft der Bäcker an der Straßenecke tütchenweise. Wie in den Nachkriegsjahren preist er wieder »Brötchen vom Vortag« an. Nicht heimlich-verdruckst unter der Hand oder der Ladentheke, ausnahmsweise für einen besonders höflichen Obdachlosen, sondern ganz offen und stolz, mit Schildern vorm Geschäft.
Der schlimmste Tag der Woche, nämlich der Vortag, kehrt in den Kalender zurück. An einem Vortag passieren ausschließlich schreckliche Dinge: Botschafter geben hinfällige diplomatische Erklärungen ab, giftige alkoholische Getränke werden getrunken, frische Lebensmittel werden zum Verfaulen in die Kühlschränke gestellt. In einer Art Verschwörung zwischen Konsument und Industrie werden die Lebensmittelstandards, auf denen sich dieses Land so viel einbildet, systematisch untergraben, indem schleichend die ganze Produktion nur mehr vortags stattfindet. Oh, wie opferbereit diese Mittelschicht! Wie heroisch sie trockene Brotrinden und abgelaufene Milch schluckt! Möge sie eines schönen Vortags einen ordentlichen Klaps aufs Köpfchen kriegen.