Die Eröffnung der neuen Primark-Filiale in Berlin

Erst kommt die Fashion, dann die Moral

Vorige Woche hat eine neue Primark-Filiale in Berlin eröffnet. Die Jungle World war beim Pre-Opening dabei und hat sich bei Kunden und Kritikern umgehört.

Der Alexanderplatz ist um halb zehn Uhr morgens bereits gut gefüllt. Touristen, Schulklassen und Familien mit kleinen Kindern schlendern in der Sonne umher oder laufen emsig zur U-Bahn. Freundliche junge Menschen in schwarzen T-Shirts mischen sich unter die Besucher. Sie haben kleine Körbchen in der Hand, aus denen sie lustige Bonbons verschenken. »I love Primark« steht da­rauf. »Möchtet ihr vielleicht ein Bonbon?« lächelt uns eine blonde Frau freundlich an. Möchten wir. »Wir feiern heute die Eröffnung der neuen Primark-Filiale«, freut sie sich und deutet zum Kaufhaus auf der anderen Seite des Platzes, wo auch zwei Mannschaftswagen unauffällig postiert sind. Was die Leute mit dem Kleinbus und den weißen Zelten davor denn machen, möchten wir wissen. »Wir feiern heute die Eröffnung des neuen Primark-Filiale«, wiederholt die junge Frau mechanisch und ihr Lächeln friert ein wenig ein. Mit langen, langsamen Schritten geht sie rückwärts in Richtung des Kaufhauses, auf der Suche nach weiteren, weniger neugierigen Passanten, die die Primark-Bonbons ohne großes Nachfragen annehmen.
Vor dem Eingang des Kaufhauses stehen bereits einige junge Leute in der Schlange. Sie warten darauf, dass sich die Türen des irischen Textil-Discounters öffnen. Während ihnen die Sonne ins Gesicht scheint, bekommen sie Wasser von den netten Menschen mit den schwarzen T-Shirts gereicht.
Robert lehnt lässig in der ersten Reihe und stützt sich auf das Absperrgitter wie bei einem Rockkonzert. »Ich hoffe, ich kann heute ein paar Extra-Schnäppchen machen«, grinst er. Das T-Shirt, das er heute trägt, sei auch von Primark, mit der Qualität sei er »sehr zufrieden«, sagt er, bevor die Nachfrage kommt, die er offenbar erwartet. Robert zupft an seinem Hogwarts-Shirt und blickt hinüber zur Kundgebung der »Kampagne für Saubere Kleidung«, die sich langsam mit Menschen füllt. Ja, er weiß, warum sie hier sind, und er findet ihren Protest auch legitim, auf der falschen Seite fühlt er sich trotzdem nicht. Schlechtes Gewissen? Warum auch: »Die Leute ­in den Herstellerländern sind sicher auch froh, dass sie überhaupt Arbeit haben.« Ja, schon widersprüchlich, die Sache mit der Arbeit in den Ländern, wo die Primark-Kleidung hergestellt wird, die neuesten Nachrichten mit den eingenähten Hilferufen habe er schließlich auch mitbekommen. »Über die Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern sollte man einfach nicht nachdenken«, lautet die Lösung des 28jährigen, der aussieht, als wäre er höchstens 20, und daher kaum in der noch relativ kleinen Gruppe wartender Teenager auffällt.

Es ist noch früh, das Geschäft öffnet erst in zwei Stunden, aber die Presse darf bereits vor den Kunden einen Blick auf die bunten Kleider und Accessoires im Inneren werfen. Während an der einen oder anderen Stelle noch immer geputzt und poliert wird, steht im Eingangsbereich schon ein kleines Buffet mit Häppchen und Getränken bereit. Den Journalisten, die an diesem Tag zahlreich erschienen sind, soll es an nichts fehlen. Großzügig wird jeder akkreditiert und bekommt zur Begrüßung auch noch eine hippe Jutetasche mit dem Aufdruck »I love Primark« geschenkt. Neben dem aktuellen Katalog und einer Pressemappe befindet sich in den Taschen auch eine DVD mit einem siebenminütigen Image-Film. In einem schick verpackten Geschenkkästchen bekommt jeder auch noch einen Einkaufsgutschein über 50 Euro in die Jutetasche gelegt. Der Laden ist riesig: 5 230 Quadratmeter Verkaufsfläche auf drei Etagen, rund 800 Mitarbeiter, ein Großteil von ihnen scheint heute hier zu sein. Zur Eröffnungsrede von Primark-Chefin Breege O’Donoghue wird auch der irische Ministerpräsident Enda Kenny erwartet, bis dahin schlängeln sich die Pre-Opening-Gäste mit einem Häppchen in der einen Hand und dem Fotoapparat in der anderen durch die Regale und Kleiderstangen. Die Klamotten sind extrem bunt, extrem jugendlich und extrem billig. Ein T-Shirt oder ein »lässiges Top« bekommt man hier schon für zwei Euro. »Amazing fashion for amazing prices«, verspricht die Werbetafel über den Umkleidekabinen.
Draußen sammeln sich weiterhin die Protestierenden. Fast verliert man den Überblick, so viele Plakate werden hier hochgehalten, Transparente entrollt und Flyer verteilt. Die Designer vom Veränderungsatelier »Bis es mir vom Leibe fällt« machen durch das Verteilen fiktiver Jobangebote im Namen von Primark auf sich aufmerksam. »Wir stellen ein«, steht auf dem Zettel, den sie Passanten etwas aufdringlich in die Hand drücken: »Wir bieten Dir: körperlich extrem harte Arbeit, einen Stundenlohn zwischen fünf und zehn Cent, keinen Urlaubsanspruch«, die Liste geht weiter mit all den bekannten Missständen, die in Sweatshops herrschen. »Findest Du das etwa unfair? Falls ja, dann darfst Du bei uns leider nichts einkaufen, denn mit jedem Kauf akzeptierst und förderst Du genau diese Art der Ausbeutung in den Produktionsländern.« Der moralisierende Ton kommt nicht bei jedem gut an: »Kümmert Euch lieber darum, dass es Hartz-IV-Beziehern hier besser geht, anstatt um die Arbeiter in China«, brüllt ein Passant Elisabeth Prantner hinterher. Die Designerin und Inhaberin des Berliner Veränderungsateliers regt sich sichtlich über die »Mörderpreise« von Primark auf. Ihr gehe es nicht nur um die Näherinnen in Bangladesh. »Darunter müssen wir leiden«, sagt sie, und das meint sie nicht nur finanziell, wie ihre Mitarbeiterin Esther erzählt: »Ich habe Jeans von Primark zum Verändern in die Werkstatt bekommen, und nach nur einmal Bügeln waren meine Hände schwarz, so viele Giftstoffe sind in dieser Kleidung enthalten.« »Eigentlich sollte man das den Kunden zurückgeben und sagen: So etwas fasse ich nicht an«, fällt ihr ihre Chefin ins Wort. Auch das Wasser, das ihr von einem Primark-Mirabeiter freundlich gereicht wird, gibt sie zurück. »Ist bestimmt vergiftet«, sagt sie laut und theatralisch.

Nicht alle Protestierenden sehen Primark als das Böse an sich. »Eigentlich könnte man jeden Tag vor irgendwelchen Geschäften stehen und protestieren, aber das hier ist natürlich ein echt guter Anlass«, sagt etwa eine der fünf jungen Frauen, die derweil vor dem Eingang ein rotes Transparent mit der Aufschrift »Gleichberechtigt, selbstbestimmt, frei«, entrollen. Die fünf sind Praktikantinnen von »Terres des Femmes«, die nicht gegen Primark protestieren, sondern sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzen. »In der Textilindustrie arbeiten ja meistens Frauen als Näherinnen«, erklären die Praktikantinnen. Ihr Praktikum sei übrigens vergütet, betonen sie stolz.
Auch Julia Otten von Germanwatch weiß, dass die Verteufelung von bestimmten Marken wenig bringt und der Schwerpunkt eher auf die Arbeitsbedingungen bei den globalen Lieferketten gelegt werden muss. »Der Anlass heute ist ganz klar, wie Primark produziert, aber wir wollen mehr mit den Leuten ins Gespräch kommen und nicht nur herumstehen und Flyer verteilen«, sagt sie. »Wir möchten auch über das Thema Fast Fashion sprechen, diesen ständigen Konsumdruck, der nur über Ausbeutung funktionieren kann. Da ist Primark nur ein Beispiel von vielen.«
Vor dem Kleinbus, an dem eine Kleidertauschaktion stattfindet, bildet sich in der Zwischenzeit eine riesige Schlange. Fast hat man den Eindruck, als wollten an diesem Vormittag mehr Leute ihre Kleider eintauschen als sich neue bei Primark kaufen. In der Schlange steht auch Miriam. Auf ihrem selbstgebastelten Schild steht: »Drei Euro für ein Menschenleben.« »Wegwerfmode finde ich blöd. Verbraucher müssen eben auch Verantwortung übernehmen, wenn es darum geht, Ausbeutung zu verhindern«, sagt die 26jährige. Sie selbst kauft lieber Second-Hand-Kleidung: »Das ist fair und meistens sogar billiger.«
Auch zwei schrill verkleidete Personen reihen sich in die Schlange ein. Mit ihren bunten Kostümen sehen sie aus, als kämen sie von einem fernen Hippie-Planeten. Aurora schwenkt ihre Fahne und hüpft aufgeregt auf und ab. Ihr Verein, Kulturersatz, organisiert schon zum zweiten Mal die »Butt and Better«, eine Demonstration gegen »Fashion-Terror« und Ausbeutung. »Ich trage heute Trashion«, sagt Aurora, die aus Müll (trash) Mode (fashion) macht. Gemeinsam mit dem Netzwerk Inkota und der »Kampagne für Saubere Kleidung« ruft Kulturersetz am 12. Juli zur »Butt and Better« auf. Die Parade soll von Berlin-Mitte zum Flughafen Tempelhof ziehen, auf dessen Gelände die Street- und Urbanwear-Messe Bread and Butter im Rahmen der Berliner Fashion Week stattfindet.
Als um viertel vor zwölf die Türen endlich aufgehen, drängen die Massen laut johlend in den Laden. Robert ist ganz vorne mit dabei. Seine Extra-Schnäppchen hat er bestimmt bekommen.