Nazi-Hipsters

Palituchtragende Nazis in Che-Guevara-Shirts mit Jutebeuteln voll linksdrehendem Joghurt

Der »Nipster« geistert durch die Presse. Können Nazis hip sein?

Die Geschichte beginnt mit einer Fotografie vom 18. Januar dieses Jahres in Magdeburg. Abgebildet ist ein lässig an die Wand gelehnter bärtiger Mann, der in den folgenden Wochen internationale Bekanntheit erlangen sollte. Eigentlich wollte der Urheber des Bildes den Teilnehmer eines Naziaufmarsches demaskieren, doch der dabei zufällig mit abgelichtete Jutebeutel schlug weit über Antifakreise hinaus Wellen.
Bei Facebook und Twitter war man sich noch am selben Abend einig: Man hatte es mit einer bis dahin unbeschriebenen Spezies zu tun, einer Kreuzung zwischen Nazi und Hipster. Der »Nipster« war geboren. Als Beleg dafür wurde in erster Linie der selbstironische Unterton des ulkigen Aufdruckes seiner Tasche herangezogen. In handgeschriebenen Lettern war dort zu lesen: »Bitte nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Beutel.« Der Spruch »Bitte nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Rucksack« stammt aus der Feder des Künstlerduos Katz und Goldt, das für die Titanic und Intro arbeitet. Nun könnte man in Betracht ziehen, dass durchaus auch Nazis über den infantilen Humor der Urheber lachen könnten. Da aber die abgebildete Person auch Bart, geweitete Ohrlöcher und rote Converse-Allstars trägt, schien die Beweislage gesichert.
Und so geisterte die Mär vom Nipster in den Wochen darauf durch die nationale und internationale Berichterstattung. Unterstützt wurde der Befund immer wieder durch dieselben Bilder: Mitglieder der »Jungen Nationaldemokraten« (JN) tanzen in einem Mobilisierungsvideo zum internationalen Internethit »Harlem Shake«. Auf Schildern fordern sie: »Multikulti wegbassen« und »Mehr Sex mit Nazis – ungeschützt«. In einem anderen Video kredenzen in einer völkischen Kochsendung zwei mit Sturmhauben maskierte Einfaltspinsel zu einem Schluck Club Mate regionale und vegane Küche.
Bei so viel hanebüchenem Unsinn könnte man meinen, dass es angebracht wäre, diese groteske Selbstentblößung mit dankbarem Gelächter aufzunehmen. Stattdessen titelte die Huffington Post »Warum ›Nipster‹ eine Gefahr sind« und warnte vor einem »Durchbruch in den Mainstream«. Dem Fernsehsender Russia Today war das Thema im Juni sogar einen minutenlangen Beitrag in einer Nachrichtensendung wert. Die internationale Resonanz spielte den Rechten in die Hände. Dankbar wurde auf Twitter der hashtag #nipster aufgegriffen. Michael Schaefer, Pressesprecher der Jugendorganisation der NPD, ist begeistert: »Wir haben den Nipster übernommen.«
Auch der Betreiber des rechten Online-Senders FSN.tv Patrick Schröder ist zufrieden. Der gutfrisierte, halbwegs eloquente und stets grinsende junge Kamerad bietet Stilberatungskurse an, um das Image der Szene aufzupolieren. Er äußert sich zuversichtlich: »Wenn die Definition des Nipsters jemand ist, der im Mainstream leben kann, dann sehe ich es als die Zukunft der Bewegung.« Das Unterwandern von Subkulturen durch Rechte stellt derweil keine sonderliche Innovation dar. Seit Jahrzehnten bedienen sich Nazis in modischen Fragen aus anderen Bereichen. So begann die extreme Rechte zu Beginn der achtziger Jahre, einen großen Teil der Skinhead-Szene zu unterwandern, und übernahm deren Ästhetik des Proletarischen. Die adaptierten Kurzhaarfrisuren und Springerstiefel prägen noch heute die mediale Repräsentation des stereotypen Neonazis. Bereits damals scherten sich die Nazis wenig um die ursprüngliche Konnotation der übernommenen Looks. So hatte der unter Neonazis in den Neunzigern populäre Code der weißen Schnürsenkel zu schwarzen Springerstiefeln ursprünglich eine ganz andere Bedeutung: In der aus schwarzen »Rude boys« und weißen »Mods« entstandenen Skinheadszene stand er für die Überwindung der ethnischen Herkunft. Dass es noch abstruser geht, bewiesen Autonome Nationalisten 20 Jahre darauf, als sie den einheitlich schwarzen Dresscode von Linksradikalen inklusive ihrer Symbolik bis in die kleinsten Details kopierten. Parallel zur Übernahme linker Kleidungscodes besetzten sie auch klassische politische Betätigungsfelder der Linken. Theoretische Versatzstücke wurden für die extreme Rechte brauchbar gemacht. Ob Umwelt- oder Tierschutz, Antikapitalismus oder Globalisierungskritik, Antiimperialismus oder Gentrifizierungskritik, mittlerweile hat man alles schon gesehen: von palituchtragenden Nazis mit Che-Guevara-Shirts, die die nationale Befreiung der Völker von Fremdherrschaft propagieren, bis zu den »Nationalen Sozialisten für Israel«, die in ihrem grotesken Ethnopluralismus die Solidarität mit dem jüdischen Volk auf »dem Weg in seine angestammte Heimat« einfordern.
Während die Übernahme des Erscheinungsbildes von Skinheads und Autonomen funktional erscheint, weil die Style-Codes für ein kämpferisches und aggressives Auftreten stehen, gestaltet sich die Adaption des Hipsters deutlich schwieriger. Weder ist bei diesem ein einheitliches Auftreten festzustellen, noch hat es ein Lifestylemagazin bisher vollbracht, das Phänomen vollkommen zu entschlüsseln. Das mag auch daran liegen, dass es schwer sein wird, jemanden zu finden, der sich selbst in der Eigenwahrnehmung das Prädikat Hipster verleiht. Verständlich könnte dies sein, wenn man das Phänomen weniger als selbstbestimmte Form des Ausdrucks denn als Negativfolie der Gesellschaft verstünde, wie ihn Robert Zwarg im Webzine Beatpunk bestimmte. Der Hipster wäre dann eher als »ein Sozialtypus in der Defensive, ein Kompensationsprodukt« in einer Gesellschaft, »in der niemand mehr jemand ist«, zu interpretieren.
Das Politische wird hierzulande immer noch kleidungstechnisch fixiert. Doch selbst an der Oberfläche fällt es schwer, gemeinsame Schnittmengen auszumachen. Ist es das orthodoxe Suhlen in der Vergangenheit? Weil der eine Opas Uniform bewundert und der andere Opas Flanellhemd? Sind es die scharfen Konturen der Führerfrisur, die wieder voll im Trend liegen? Oder gar die Renaissance des Zweifingerbartes? Vielleicht aber auch die geteilte Markenaffinität von Fred Perry und New Balance?
Vergeblich sucht man nach tiefergehenden Gemeinsamkeiten: Während der Nazi an Tradition, Blut und Ehre festhalten möchte, gibt es für den Hipster nichts Scheußlicheres als Stillstand. »Der Hipster denkt geschichtsphilosophisch: aber verfalls‑ und fortschrittsgeschichtlich zugleich«, bringt es Robert Zwarg auf den Punkt.
Während ethnopluralistische Konzepte beim Nazinachwuchs an Bedeutung gewinnen, wird für den durch und durch kosmopolitischen Hipster die rastlose Entgrenzung groß geschrieben. Er negiert dabei permanent das Allerheiligste des Faschisten: dessen Suche nach der Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Reinheit. Stattdessen spielt er mit Beliebigkeit und inhaltsleerer Ironie, androgynem Auftreten und einem dezidiert unpolitischen Habitus. Und vor allem will er kein Mainstream sein. Von Portland bis zum Prenzlauer Berg schlägt ihm dafür Antipathie und Hohn entgegen. Immerhin: Auf der Beliebtheitsskala nähert er sich derzeit rapide der Popularität von Neonazis an. Zugegeben, es wäre reizvoll zu beobachten, wenn Thor Steinar in den kommenden Jahren die Produktpalette mit Hornbrillen und Wollpullovern in Übergrößen erweitert oder Jungnationale verzweifelt darüber nachsinnen, welche deutschen Äquivalente es für »Hashtag« oder »Fixgear« gibt. Doch auch wenn die Begrifflichkeit letztlich unsinnig erscheint, verweist die Furcht vor dem Nipster auch auf eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Tendenz: Aus ihr spricht das Verlangen des identifizierenden Denkens nach äußerlichen Wiedererkennungsmerkmalen. Es scheint, als wünschte man sich die Zeiten zurück, in denen Springerstiefel und Bomberjacke eine eindeutige Lokalisierung des Bösen zuließen. Derweil trägt das Ressentiment hierzulande schon lange Hemd und Krawatte.
Die Angst, dass sich Nationalismus zunehmend in freundlichem Gewand kleidet, ist selbstverständlich berechtigt. Dazu muss man sich aber nicht ein neues Feindbild konstruieren. Derzeit reicht allemal wieder ein Blick auf die Fanmeilen dieses Landes. Und manch antisemitisches Ressentiment verbirgt sich zuweilen auch einfach hinter Schnauzbart und Pfeife. Dieses Denken hat Zukunft, auch ohne Undercut, Jutebeutel und Röhrenjeans.