Bestechungsskandal in Rumänien

Rechner rechnen sich

Internationale IT-Konzerne sollen Ministern in Rumänien für Auftragsvergaben Bestechungsgelder in Millionenhöhe gezahlt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Multinationale Unternehmen hatten in Rumänien bis vor kurzem einen ziemlich guten Ruf. Vor allem in der IT-Branche trügen sie zur schnellen Modernisierung des Landes bei, so das gängige Argument. Sie würden Arbeitsplätze hoher Qualität schaffen und nicht nur neue Technologien mitbringen, sondern auch eine solide, korrekte und westliche Geschäftskultur, die die rumänische Gesellschaft dringend brauche. Diese Sicht der Dinge hat sich jedoch nun als falsch erwiesen. Die Staatsanwaltschaft in Bukarest nahm Anfang Oktober Ermittlungen gegen neun ehemalige Minister auf, die von Konzernen wie Microsoft und Fujitsu Siemens Schmiergelder in Millionenhöhe erhalten haben sollen, um diesen lukrative Aufträge zu erteilen. Zeugenaussagen zufolge sind ranghohe Politiker aller Parteien und eine ganze Reihe namhafter internationaler Hardware- und Software-Unternehmen in die Korruptionsaffäre verstrickt.

Die unter Verdacht stehenden Personen sind in erster Linie ehemalige Minister, die Aufträge im IT-Bereich vergeben haben. Weil es sich bei den meisten Verdächtigen um heutige Mitglieder des rumänischen oder des Europäischen Parlaments handelt, mussten die Staatsanwälte in Bukarest die Aufhebung der Immunität beantragen und damit die Akten öffentlich machen. Der Antrag ist auf der Website der Staatsanwaltschaft zu finden. Auf 77 Seiten beschreiben zahlreiche Zeugen die Mechanismen, die offensichtlich jahrelang ungestört funktioniert haben. Jedes Mal, wenn eine Verlängerung der Lizenzverträge anstand, hätten sich die rumänischen Tochterfirmen der IT-Konzerne mit der neuen Regierung in Verbindung gesetzt, um sich den neuen Auftrag zu sichern. Oft sollen auch Preisabsprachen und illegale Geldzahlungen zwischen den Unternehmen stattgefunden haben.
Aus den Akten der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass in den vergangenen 15 Jahren praktisch jede Anschaffung von Computersystemen für die öffentliche Verwaltung durch Schmiergeldzahlungen ermöglicht wurde. So soll etwa Microsoft systematisch Ministerialbeamte und Minister bestochen haben, um der rumänischen Regierung Software-Lösungen für Ämter und Behörden, Schulen und die staatliche Krankenkasse verkaufen zu können. Bei der Anschaffung von Rechnern seien die Produkte von Fujitsu Siemens bevorzugt worden, nachdem damalige Konzernvertreter aus eigener Initiative mehrere Minister aufgesucht und ihnen Schmiergeld in Aussicht gestellt hätten. Unter Umgehung der gesetzlich vorgeschriebenen Ausschreibung der Aufträge oder durch Manipulation der Auswahlverfahren sollen seit dem Jahr 2000 alle Regierungen immer wieder Verträge unterzeichnet haben, die die rumänischen Steuerzahler zwei- oder dreimal so viel gekostet hätten, wie es gemäß den marktüblichen Preisen für Computer- und Software-Systeme erforderlich gewesen sei. Den Aufpreis hätten die Unternehmen teils als Gewinn eingesteckt, teils über Umwege an die hochrangigen Beamten und Politiker weitergeleitet.

Alles soll kurz nach der Jahrtausendwende angefangen haben, als der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Adrian Năstase die marode und veraltete Technologie in den Büros der öffentlichen Verwaltung grundlegend modernisieren wollte. Der Politiker, der in den vergangenen Jahren bereits zweimal wegen Korruption zu Haftstrafen verurteilt wurde, habe auch in diesem Fall ein kompliziertes, aber effizientes System aufrechterhalten, das ihm und anderen Kabinettsmitgliedern einen ständigen Zufluss an Schmiergeld garantiert habe. Als Mittelsmänner hätten sich bekannte Unternehmer aus seinem Umfeld angeboten, die unter dem Vorwand fiktiver Dienstleistungs- und Beratungsaufträge die Millionensummen über Bankkonten in der Schweiz und auf Zypern transferiert hätten, um sie dann oft in bar nach Rumänien zurückzubringen und an die beteiligten Politiker zu verteilen.
Die gleichen Geschäftsleute sollen später nach diesem Prinzip auch Mitgliedern des wirtschaftsliberalen Kabinetts von Ministerpräsident Emil Boc (2008 bis 2012) dabei geholfen haben, Schmiergeld von Microsoft und Fujitsu Siemens zu erhalten. Es waren diese Unternehmer, die in der Akte wichtige Aussagen gemacht und den Staatsanwälten die Details der Affäre beschrieben haben. Nicht unwesentlich für das Bestechungssystem sei auch die Beteiligung der österreichischen und deutschen Tochterfirmen von Fujitsu Siemens Computers gewesen, deren Manager von den Straftaten gewusst und daran teilweise aktiv teilgenommen haben sollen, indem sie zusammen mit rumänischen Akteuren Zweckgesellschaften gegründet hätten. Wichtige Anlaufstelle für das ganze Geschäft sei die Leu Bank in Zürich gewesen, über die die Geldwäsche abgewickelt worden sei.

Der Skandal wurde kurz vor den für November vorgesehenen Präsidentschaftswahlen bekannt und könnte dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Victor Ponta, der derzeit als aussichtsreichster Kandidat gilt, erheblich schaden. Zwar wurden gegen ihn noch keine Ermittlungen aufgenommen, aber einer Zeugenaussage zufolge soll auch er als früherer Leiter eines Kontrollgremiums der Regierung Năstase in die Affäre verstrickt sein. Doch auch für die heutige wirtschaftsliberale Opposition ist die Akte unangenehm: Ebenfalls beteiligt seien wichtige Politiker und Geschäftsmänner aus dem Umfeld des Staatspräsidenten Traian Băsescu, der mit dem Versprechen, die Korruption zu bekämpfen, zweimal die Wahlen gewonnen hat und nun die kleine Partei »Volksbewegung« (PMP) und deren Kandidatin Elena Udrea unterstützt. Udreas früherer Ehemann und Băsescus enger Freund, der Unternehmer Dorin Coco, spielte der Staatsanwaltschaft zufolge eine wichtige Rolle bei den Absprachen über die Schmiergeldzahlungen.
Fast täglich berichten rumänische Medien über neue Enthüllungen in diesem Skandal. Die mächtige Sonderabteilung für die Bekämpfung der großen Korruption (DNA) der rumänischen Staatsanwaltschaft nahm Pressemitteilungen zufolge am Donnerstag vergangener Woche weitere Personen und Unternehmen ins Visier. Über 50 Privatwohnungen und Firmensitze wurden an einem einzigen Tag durchsucht. Unter Verdacht stehen nun auch die Verträge des Innenministeriums mit EADS Deutschland. Bei der Vergabe des Auftrags für die Lieferung elektronischer Sicherheitssysteme im Bereich Grenzschutz und -überwachung soll von der Gesamtsumme in Höhe von mehr als 700 Millionen Euro ein Teil ebenfalls als Schmiergeld in den Taschen diverser Politiker und Ministerialbeamter gelandet sein. In den vergangenen Jahren musste Rumänien auf Druck der EU stark in die Sicherung seiner Grenzen investieren, ein Beitritt in den Schengen-Raum gilt als oberste politische Priorität.
Der Skandal könnte neben juristischen auch wichtige politische Folgen haben. Zum einen wird die Befürchtung vieler Rumäninnen und Rumänen bestätigt, dass die gesamte sogenannte politische Klasse systematisch in Korruptionsaffären verstrickt ist, die erhebliche Auswirkungen auf die strapazierten öffentlichen Haushalte haben. Diese sich weiter ausbreitende Skepsis könnte politischen Außenseitern nutzen – Vertretern der Protestbewegungen, aber auch Technokraten oder Rechtspopulisten. Überdies zerstört die Affäre einen vor allem in der wirtschaftsliberalen Bukarester Mittelschicht verbreiteten Mythos: Es kann nicht mehr behauptet werden, die Öffnung des Landes für internationale Konzerne werde automatisch die Korruption beseitigen.