Die NSA-Enthüllungen wurden verfilmt, haben aber wenig bewirkt

Lost in Data

Wenn in diesen Tagen der Dokumentarfilm »Citizenfour« startet, dürfte endgültig klar werden, dass die NSA-Affäre Geschichte ist. Edward Snowden ist schon jetzt eine historische Figur. Bewirkt haben seine Enthüllungen wenig.

Wer in einem Provinzkaff aufgewachsen ist, kennt diese Paranoia: Mit Vorhängen und Gardinen verhangene Fenster lösen ein Unwohlsein aus. Die Stoffstücke dienen nicht als Sichtschutz. Wenn man genau hinschaut, dann bewegen sie sich wie von Geister­hand,­ und man weiß: Hier wird beobachtet. Beobachtet, wer die Straße entlang geht, wer vielleicht mit einem neuen Auto nach Hause kommt, was das Nachbarskind wohl wieder für einen Blödsinn verzapfen will. Natürlich können diese Hobbyschnüffler hinter den Gardinen mit der Goldkante keine Gespräche abhören, nicht in die Häuser der Nachbarn reinschauen. Was ihnen bleibt sind Metadaten: Wer kam wann, wie, mit wem nach Hause. Sie nutzen ihre Beobachtungen, um ein Netz aus Gerüchten zu spinnen, die wenig mit der Realität gemein haben müssen.
Das Internet, so hieß es einmal, verwandele die Welt in ein Dorf. Dass es nicht dieses romantische Dorf geworden ist, in dem jeder jedem hilft und Fremde bereitwillig in die Gemeinschaft aufgenommen werden, sondern ein graues, spießiges Kaff, in dem jeder Schritt von argwöhnischen Menschen beobachtet wird und jeder so zu einer Gefahr für die Gemeinschaft werden kann, ist seit mehr als einem Jahr sicher. Denn zu diesem Zeitpunkt, im Sommer 2013, tauchte überall ein Namen auf, der Gewissheit brachte, wie es um den Zustand des Internet bestellt ist. Edward Snowden, ein ehemaliger, und wie man mittlerweile weiß, hochrangiger NSA-Agent, hatte der Welt Einblicke in ein Paralleluniversum verschafft, das so manche paranoide Wahnvorstellung um den Faktor X übertraf. Die Dokumente, die er durch die Journalisten Laura Poitras und Glenn Greenwald in Umlauf brachte, beerdigten die Vision eines freien Kommunikationsmittels namens Internet. Die »Five Eyes«, so heißt der Spionageverbund der Geheimdienste in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland, hatten aus einem als klassisches Medium gedachten Werkzeug eine Abhörmaschine gemacht.
Die unzähligen Enthüllungen, die fast täglich publiziert wurden, sorgten beim Publikum für ein stetes Sättigungsgefühl. Viele Details verschluckte der tägliche Newsstrom. Vereinzelt verschwanden Kontakte aus Whatsapp, weil einige Bekannte neue, angeblich abhörsichere Apps nutzen wollten. Doch sie kamen meist wieder, da es ihnen nur wenige gleichtaten. Das lag zum einen an der Komplexität der Materie, zum anderen wurden die veröffentlichteten Informationshappen immer kleiner. Das große Problem wurde sukzessive enthüllt, um immer wieder die Seiten der Zeitungen zu füllen. Und irgendwann wurde aus einer eigentlich politischen Diskussion eine feuilletonistische. Dabei hätte es nicht erst der Meldung bedurft, dass die NSA auch bei »World of Warcraft« mitliest. Snowden hatte sehr früh deutlich gemacht, dass die Überwachungsmaschine nicht ein Teil des Internet ist, sondern das Internet selbst.
Denn ob man als Wissenschaftler oder Programmierer bei einem Geheimdienst oder einem Internet-Startup landet, macht kaum mehr einen Unterschied. Ob Google oder NSA: Sie alle benutzen dieselben Techniken, sie rekrutieren ihre Angestellten aus den gleichen Universitäten. Wenn man es platt ausdrücken will: Sie sprechen dieselbe Sprache. Dass es im Zuge des »War on Terror« möglich wurde, Gerichtsurteile unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu sprechen, um die datentechnische Zusammenarbeit von Telekommunikationsunternehmen wie Verizon mit der NSA zu fördern, zeigt, in welchem Ausmaß abgehört wurde und wird.
Zum Glück versucht die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die erste Journalistin, die auf Snowdens kryptische Mails antwortete und die Sensation dahinter erkannte, nun nochmal den gesamten Komplex aus Enthüllung und Überwachung darzustellen. In dem von Steven Soderbergh produzierten Film »Citizenfour« erzählt sie, wie Edward Snowden alles aufgab, und rückblickend betrachtet den Medien einen Coup nach dem anderen bescherte.
Auch wenn Snowden immer wieder betonte, er sei nicht die Geschichte, sondern nur der Überbringer, nutzt auch Poitras den gefallenen Agenten und Staatsfeind der USA, um die technische Seite der Enthüllung zu vermenschlichen. Jede Story braucht ihren Helden, um verkauft und gehört zu werden. Und Snowden ist ein tragischer Held. Der Film zeigt ihn zu anfangs als optimistischen Menschen, der für die Meinungsfreiheit und die Freiheit auf Privatsphäre kämpfen will. Die Bilder zeigen einen jungen Mann in einem Hotelzimmer in Hongkong. Er erzählt den Journalisten die skandalöse Geschichte und bleibt dabei so sachlich, wie er es in seiner Ausbildung als Analytiker gelernt hatte. Doch am Ende des Films wird er in einem Haus in Russland gezeigt. Er wirkt älter, ernster, die Euphorie ist verblasst. Es ist eine Geschichte ohne Happy End. Seine Enthüllungen konnten bisher keine Wirkung entfalten.
Doch woran liegt es, dass diese Geschichte kein gutes Ende genommen hat? Liest man die Interviews mit Poitras, geht es immer wieder um Verschlüsselung. Aber wer verschlüsselt schon? Eine zutiefst korrumpierte Technik wird weiterhin genutzt, als sei nichts passiert. Ist das der letzte Beweis, dass wir in einer Postdemokratie leben, in der der #aufschrei ausbleibt, da er nicht ins Entertainmentprogramm passt?
Aber selbst wenn mehr Menschen nur noch verschlüsselt untereinander kommunizieren würden: Was wäre gewonnen? Die Kryptotechnik ist schließlich seit Alan Turing und Enigma untrennbar mit Militär und Geheimdiensten verbunden. Und wer verschlüsselt, macht sich erst recht verdächtig. Was vielleicht bleibt, ist zurück auf die Analogie des spießigen Dorfs zu blicken. Das Einzige, was damals wirklich half, die Paranoia irgendwann abzulegen und die sich bewegenden Vorhänge zu vergessen, war eine symbolische Rebellion: Wer wusste, dass er stets beobachtet wurde, setzte auf Provokation. Die Menschen hinter den Vorhängen bekamen den Mittelfinger entgegen gereckt und es wurde nur noch gemacht, was provozierte. Vielleicht braucht es also eine Art Internetpunk-Bewegung, die das Internet noch nur als Ort der Provokation sieht, aber nicht mehr als persönlichen und privaten Ort. »Fuck the Internet« statt »Fuck the System«.