Die Proteste gegen den Akademikerball in Wien

»Fürchten Sie jetzt um Ihr Leben?«

In Wien blieben die Proteste gegen den rechten Akademikerball weitgehend friedlich. Die Polizei sprach von Deeskalation und tat das Gegenteil – so richtig interessierte das aber niemanden.

Das ist er also, der militärisch organisierte Schwarze Block, der Wien in Angst und Schrecken versetzt. 20 schwarz vermummte Gestalten rennen die Neustiftgasse hoch, auf Höhe des Restaurants Bangkok werfen sie Blumenkübel auf die Straße – und räumen sie gleich wieder beiseite. Ein Auto will vorbeifahren, der Schwarze Block macht den Weg frei.
Bei allem guten Willen: Für eine Imagekorrektur ist es für die Autonomen in Wien wahrscheinlich zu spät. Im Beliebtheitsranking liegt der Schwarze Block nur knapp vor den osmanischen Truppen von Kara Mustafa Pascha, die 1683 die Stadt erobern wollten. Das hat etwas mit den Protesten gegen den rechten Akademikerball im vergangenen Januar zu tun. Da blieb es nicht bei Sprechchören; ein paar Scheiben gingen zu Bruch, ein paar Mülleimer brannten.
Das hat aber auch etwas damit zu tun, wie diese vergleichsweise milden Ausschreitungen von den österreichischen Medien aufgenommen wurden: Nicht nur die üblichen Verdächtigen vom Boulevard wüteten gegen die »Demo-Hooligans aus Deutschland«, selbst besonnene Zeitungen wie der linksliberale Falter stimmten ein. Und nun, wo die Proteste in die nächste Runde gehen, beziehen auch die Journalisten wieder Gefechtsstellung. Auf jeden umgeworfenen Blumenkübel in der Neustiftgasse kommen drei Kameras, per Liveticker geht die Nachricht raus in die Welt.
Die geballte Hysterie macht es schwer, eine einfache Frage zu beantworten: Worum geht es hier an diesem kalten Freitagabend in Wien eigentlich? Wie jedes Jahr treffen sich deutschnationale Burschenschafter, Vertreter der rechtspopulistischen FPÖ und sonstige stramme Rechte zum Tanz – und das ausgerechnet in der Wiener Hofburg, wo die k. u. k. Monarchie ihre Macht in Prachtbauten spiegelte. Das empfinden antifaschistische Gruppen als Skandal, sie organisieren seit vielen Jahren Proteste gegen den Ball. Doch die Sicherheitsdebatte überlagert ihr Anliegen.
Im vergangenen Jahr prasselte auch viel Kritik auf die Polizei ein, die konfus und zögerlich agierte. Offiziell setzt die Exekutive nun auf Deeskalation. Johann Golob ist der Mann, der die Strategie nach außen vertritt. Am Abend der Demons­tration, in der Schauflergasse, nicht weit von den Burschenschaftern in der Hofburg entfernt, schreitet der Pressesprecher der Polizei auf und ab, wie ins Diktat versunken. Mit seinem bodenlangen Mantel und den zurückgelegten Haaren sieht er ein bisschen aus wie Winston Churchill, nur die Zigarre und der Hut fehlen. Golob formuliert bedächtig, legt vor jedem neuen Satz eine Pause ein: »Jeder darf friedlich demonstrieren. Aber wir zeigen hohe Präsenz, damit wir eingreifen können, sollte sich etwas bilden.« Während er über Deeskalation spricht, dröhnt über ihm ein Polizeihubschrauber.
Nur einmal bricht Golob aus seiner Rolle aus und lacht laut auf: »Ach, Sie kommen aus Berlin? Dann ist das hier für Sie wohl alles ein Kinkerlitzchen.« Dann bemüht er sich, wieder so neutral und sachlich wie möglich zu formulieren. Niemand soll auf den Verdacht kommen, die Polizei sei parteilich. Anders als vor einem Jahr, als Polizeichef Gerhard Pürstl erst mit scharfen Worten gegen Demonstranten auffiel und dann einräumen musste, dass er selbst einmal Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Franko-Cherusker war. So zurückhaltend Golob auftritt – auf das Spiel über Bande mit der Presse kann sich die Polizei verlassen: Die Krone zitierte aus einer unveröffentlichten Umfrage im Auftrag der Polizei Wien. Das Ergebnis: 91 Prozent meinen, »radikale Berufsdemonstranten aus Deutschland« trügen die Schuld an der Gewalt im Vorjahr.
Solche Schlagzeilen sind auch heute wieder zu lesen, »Wien droht heute Straßenkrieg«, schreibt das Gratis-Boulevardblatt Österreich. Die Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt Wien, Ursula Stenzel von der ÖVP, hatte ein paar Tage zuvor angeregt, das Bundesheer einzusetzen. »Linksextremisten aus dem In- und Ausland« würden sonst die City zu ihrer »Spielwiese« machen.

Panzer gegen Demonstranten, so weit kommt es dann doch nicht. Aber am Abend des Balls sind 2 500 Polizisten in der Stadt im Einsatz, so viele wie noch nie. Sie sichern rund um die Hofburg eine Sperrzone, die außer Anwohnern, der Polizei, akkreditierten Journalisten und Ballgästen niemand betreten darf.
Ein paar hundert Meter entfernt von der Bannmeile liegt das Hauptgebäude der Universität Wien. Hier versammelt sich die Demonstration der »Offensive gegen rechts« (OGR) unter dem Motto »Burschenschafterball blockieren«. In der Menschenmasse steht auch Natascha Strobl, die Frau, die mit ihren Mitstreitern die Innenstadt »in Geiselhaft nimmt«, wie es beim Privatsender »Puls4« heißt. Die Aktivistin leiht der OGR in der Öffentlichkeit ihr Gesicht. Dafür steht sie im Fadenkreuz der Rechten: Im März fand sie ein Einschussloch in ihrem Küchenfenster, Politiker der rechten FPÖ verhöhnten sie als »Trampel«, und erst einen Tag vor de. m Akademikerball ging eine Vergewaltigungsdrohung in ihrem Mailpostfach ein.
Jetzt steht Strobl in einer grellgelben Weste vor dem Lautsprecherwagen und tut, was sie schon seit Tagen tut: Interviews geben. In einer Sendung von »Puls4« musste sie sich der Angriff des Organisators des Akadamikerballs erwehren. Der FPÖ-Politiker Udo Guggenbichler keifte, sie solle sich gefälligst vom Schwarzen Block distanzieren, Strobl ertrug es mit stoischer Ruhe. Bei einer Frage zur Sendung rollt sie halb belustigt die Augen, sie würde viel lieber über Inhalte reden. Strobl forscht zu rechten Bewegungen in Österreich, hat jüngst ein Buch über die »Identitären« geschrieben. »Wir finden es notwendig, über rechte Umtriebe in Österreich zu reden«, sagt sie. Und doch muss sie vor den Mikrophonen oft nur wiederholen, was sie schon unzählige Male ohnehin gesagt hat: Nein, von ihrem Bündnis gehe keine Gewalt aus, auch nicht gegen Fensterscheiben. Das Mittel der Wahl sei ziviler Ungehorsam – nach der Demonstration sollen mehrere Blockadepunkte die Anreise der Burschenschafter zum Ball erschweren.
Die, von denen sich Natascha Strobl ständig distanzieren soll, sind auf der Demonstration der OGR nicht zu sehen. Hier an der Universität treffen sich hauptsächlich Studenten und Anhänger linker Parteien und Gruppen, sogar ein paar Eltern laufen mit ihren Kindern mit. Vermummt ist hier kaum jemand. Der sagenumwobene Schwarze Block, von dem die Wiener in den vergangenen Tagen so viel gelesen haben, ist ein Phantom. Und er wird es bleiben.
Die autonomen Proteste hatten sich in den vergangenen Jahren unter dem Banner des Bündnisses No WKR-versammelt, dem unter anderen die Autonome Antifa Wien angehört. No WKR mobilisierte auch im Ausland, zehn bis zwölf Busse sollten aus Deutschland, Tschechien und Italien kommen. Doch in den Tagen vor dem Ball bekam das Bündnis zu spüren, was die Polizei mit Deeskalation meinte. Zuerst verbot sie die zwei beantragten Demonstrationsrouten. So eine Entscheidung hat Bestand in Österreich, eine Klage im Eilverfahren wie in Deutschland ist nicht vorgesehen. Schon 2011 hatte die Polizei die Demonstration verboten, zwei Jahre später erklärte der Verfassungsgerichthof das Vorgehen für verfassungswidrig.
»Es ist ein Skandal, dass eine Polizeibehörde über das Demonstrationsrecht entscheidet«, sagt Sven Kreuzer*, einer der Sprecher von No WKR. »Aber das ist Teil der Eskalationsstrategie.« Der nächste Schritt: Einen Tag vor dem Akademikerball erstattete die Polizei Strafanzeige gegen Unbekannte wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 278a – weil das Bündnis weiter zu Versammlungen aufgerufen habe. »Das hat uns total schockiert«, sagt Kreuzer. Tatsächlich hatte No WKR über die sozialen Medien mitgeteilt, es sei »sinnvoll«, sich im Bereich des Burgtors aufzuhalten. Dort würde die Polizei wahrscheinlich die Ballgäste zur Hofburg schleusen.

Und tatsächlich: Während die Demonstration der »Offensive gegen rechts« sich mit rund 9 000 Teilnehmern am frühen Abend noch durch die Innenstadt schlängelt, fahren Busse mit Burschenschaftern durch das Burgtor ein, begleitet von Polizeiwagen mit Blaulicht. Der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache soll sogar schon um 16 Uhr angereist sein – offiziell wird der Ball erst um 21 Uhr eröffnet. »Das ist doch schon ein kleiner Erfolg«, findet Kreuzer. »Es kann keine schöne Party sein, wenn man viel zu früh da ist.«
Gegen 19 Uhr löst sich die große Demonstration auf, nun beginnt die Zeit der Blockaden – und die Zeit der Kameras. Rund um die Bannmeile besetzen Demonstranten Kreuzungen, die als Zufahrt zur Hofburg dienen. Gezielt suchen die Protestierenden nach Taxis mit Ballgästen und kesseln sie ein, die Kamerateams immer nah dabei. Der österreichische Journalist Daniel Steinlechner beschrieb auf Twitter eine typische Szene: Am Renner-Ring setzen Demonstranten ein Auto fest, die Frage eines Reporters an die Insassen: »Fürchten Sie jetzt um Ihr Leben?«
Tote gab es keine in dieser Nacht. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben 54 Demonstranten fest und verteilte 150 Anzeigen. Weit mehr als im vergangenen Jahr, als die Zeitungen von einer »Krawallnacht« schrieben. In diesem Jahr wird die Polizei für ihren Einsatz gelobt, auch von den Parteien von den Grünen bis zur FPÖ. Das umstrittene Demonstrationsverbot? Die Anzeige wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung? Die Tatsache, dass die Polizei einen Bus von Aktivisten aus München zurück über die Grenze zwang, wegen einiger Skimasken und ein paar Böllern? Alles kein Thema. Hauptsache, es ist ruhig geblieben. »Die Polizei hat es geschafft, den Protest völlig zu entpolitisieren«, sagt Kreuzer, »zusammen mit einer willfährigen Presse.« Er klingt verbittert. »Klar haben sich viele nicht einschüchtern lassen und ein paar Taxis blockiert. Aber jetzt ein positives Resümee zu ziehen, wäre Schönfärberei.«
Als der Abend seinem Ende entgegengeht, stehen an einem Blockadepunkt in Sichtweite der Hofburg noch 50 Aktivisten. Einige tanzen, eine Sambatruppe in rosa Kostümen spielt. Ein paar Schritte weiter streckt der Besitzer eines Restaurants vorsichtig den Kopf aus dem Fenster. Er könnte hinübergehen, er hat eh keine Gäste. Aber er winkt nur und fragt: »Und, ist was passiert?« Er wird es am nächsten Morgen in der Zeitung lesen.

* Name von der Redaktion geändert