SS-Gräber als »zeitgeschichtliches Dokument«

Friedhofsruhe für die Täter

Im fränkischen Offenhausen wurde jahrzehntelang das Grab dreier SS-Soldaten gepflegt – Sigrunen, Stahlhelme und völkische Poesie eingeschlossen. Mit der Kritik daran tut sich die Dorfgemeinschaft schwer.

Hannes Linhard will weg. Vor zehn Jahren zog der 18jährige mit seinen Eltern in das 1 600 Einwohner zählende Offenhausen. »Wenn du hier nicht in die Dorfgemeinschaft hineingeboren wirst, hast du nichts mit den Leuten zu tun«, sagt der Abiturient im Gespräch mit der Jungle World. »Hier sitzen im Gottesdienst Frauen und Männer noch getrennt«, beschreibt er die Gepflogenheiten im Dorf. Linhard ist froh darüber, der Idiotie des Landlebens bald den Rücken in Richtung Berlin kehren zu können. Offenhausen wird ihn wohl auch nicht vermissen.

Denn mit einem Leserbrief im Lokalblatt hat Linhard den Zorn der mittelfränkischen Gemeinde im Nürnberger Land auf sich gezogen. Darin kritisiert er den Umgang der Bevölkerung mit einem Grab auf dem kirchlichen Friedhof. In diesem liegen drei Soldaten der Waffen-SS, wahrscheinlich von amerikanischen Soldaten 1945 in Gefangenschaft erschossen. Das Birkenkreuz auf dem Grab war bis vor kurzem noch mit grünen Stahlhelmen geschmückt, auf der Grabinschrift war den Dienstgraden der damals 18- und 19jährigen die doppelte Sigrune vorangestellt, also das Symbol der SS. Auf der Grabplatte ist weiterhin dieses Gedicht eingraviert: »In Deutschlands blutig düstrer Nacht/gefangen nach verlorener Schlacht/da warfen euch der Waffen bar/auf den entheiligten Altar/verbrecherisch die Feinde nieder. Wenn unser Herr beim Weltgericht/dereinst die feigen Mörder straft/dann leuchtet euch schon ewiges Licht/denn es ist süss und ehrenhaft/fürs Vaterland zu sterben.«
Offenhausen liegt wenige Kilometer von der Kleinstadt Hersbruck entfernt. Von Frühjahr 1944 bis April 1945 befand sich dort das größte Außenlager des KZ Flossenbürg. Insgesamt 10 000 Häftlinge trieben Stollen in einen Berg in der Nähe des Dorfs Happurg. Die unvollendet gebliebene unterirdische Anlage, auch als »Doggerwerk« bekannt, war zur Produktion von BMW-Flugzeugmotoren vorgesehen. Ungefähr 4 000 Menschen starben während der Arbeiten. Im angeschlossenen Krematorium kam die SS mit dem Einäschern der Leichname bald nicht mehr hinterher und ging deshalb dazu über, die Toten massenhaft unter freiem Himmel zu verbrennen. Überlebende trieb die SS im April 1945 auf mehreren Todesmärschen in Richtung des KZ Dachau. Möglicherweise waren die drei in Offenhausen begrabenen SS-Männer an solch einem Todesmarsch beteiligt. Zeitzeugen zufolge sollen die jungen Männer im Dorf oder im Gefangenenlager, das sich im Schulhaus des Ortes befand, mit ihren Taten geprahlt haben, wovon US-Soldaten wider Erwarten Notiz nahmen.
Seit Kriegsende kümmert sich die Dorfgemeinschaft um das Grab, allen voran der Soldaten- und Kriegerverein, der derzeit 170 Mitglieder hat. Alle zehn Jahre wurde das Birkenkreuz erneuert. Erst vor zwei Jahren erhielt die Ruhestätte auf Initiative des damaligen Pfarrers Georg Polster eine Generalüberholung, die der Süddeutschen Zeitung zufolge 2 000 Euro kostete.

Bereits 2008 war der pensionierte Hauptschullehrer Alfred Schermann aus Fürth während einer Wanderung auf das Grab aufmerksam geworden. Dem damaligen Pfarrer und dem Soldaten- und Kriegerverein hatte er empört Briefe geschrieben. Bis vor wenigen Monaten blieb es jedoch ruhig im Dorf. Als die Pfarrerin Barbara Meister-Hechtel 2014 ihre neue Stelle in Offenhausen antrat und das SS-Grab entdeckte, versuchte sie, die Dorfbewohner davon zu überzeugen, das Grab zu verändern. Doch erst ein Machtwort des Regionalbischofs bewegte den Bürgermeister und den Kirchenvorstand dazu. Die Sigrunen wurden abgeschliffen, die Stahlhelme entfernt.
Es folgten öffentlich geäußerte Gewaltphantasien von Dorfbewohnern, die sich in ihrer Land­idylle gestört fühlten. Einem Kirchenvorsteher habe man damit gedroht, ihm die Hände abzuhacken, berichtete Pfarrerin Meister-Hechtel in einem Beitrag des TV-Magazins »Quer«. Der anonyme Verfasser eines Hassbriefs bezeichnete Hannes Linhard als »Oberarschloch von Offenhausen«. In dem in der Hersbrucker Zeitung abgedruckten Leserbrief schreibt Linhard: »Die Bürger von Offenhausen aber gedenken nicht den Opfern, sondern betrauern lieber ihre Täter.« Das wollte die zweite Bürgermeisterin nicht auf sich sitzen lassen und meldete sich bei Linhard. »Sie hat sich persönlich davon angegriffen gefühlt, dass hier alle als Nazis abgestempelt würden«, sagt der 18jährige.
Wegen des steigenden Medieninteresses musste die Gemeinde irgendwann Stellung beziehen. Der parteilose Bürgermeister Georg Rauh will das Grab als Mahnmal und »zeitgeschichtliches Dokument« verstanden wissen. Er sei bereits häufiger mit Jugendlichen »aus dem Nazibereich« zur Grabplatte gegangen und habe sie gefragt, ob sie wirklich den »süßen Tod« fürs Vaterland sterben wollten, sagte Rauh der Süddeutschen Zeitung.
Die angeblich kritischen Motive des Bürgermeisters nimmt Linhard nicht ernst. »Das hört sich für mich danach an, als suche man sich jetzt eine Rechtfertigung. An das Grab als Mahnmal hat man davor, glaube ich, nicht gedacht«, sagt er. Während das »Mahnmal« 70 Jahre lang in Schuss gehalten wurde, konnte erst 2014 die Finanzierung einer KZ-Gedenkstätte in Hersbruck gesichert werden. Ulrich Fritz von der »Stiftung Bayerische Gedenkstätten« zeigt kein Verständnis für die Ausführungen des Offenhausener Bürgermeisters. Im Bayerischen Rundfunk sagte er: »Mit dieser Argumentation kann man ja alles rechtfertigen. Dann hätte man alle baulichen Überreste des Nationalsozialismus eins zu eins so belassen können.« Fritz wies zudem darauf hin, dass es nationalsozialistische Hinterlassenschaften wie in Offenhausen überall in Deutschland gebe – vielleicht aber nicht immer mit derart expliziter Gestaltung.

Pfarrerin Meister-Hechtel hat angesichts der herrschenden Zustände aufgegeben und sich auf eine andere Stelle beworben, die sie im September antreten möchte. Die Meldung von ihrer Kapitulation vor der Dorfgemeinschaft verstärkte den Medienrummel im Mai nochmals. Im Ort war man besorgt, schließlich stand der 125. Geburtstag der Freiwilligen Feuerwehr auf dem Programm. Die noch amtierende Pfarrerin nahm Rücksicht und ging in ihrer Predigt während des Festgottesdienstes nicht auf die unschönen Vorgänge ein. »Zu den flotten Klängen von ›Red Bag’d Farmer 5‹ tanzte und feierte die ganze Gästeschar ausgelassen«, berichtete die Hersbrucker Zeitung wohlwollend. Demnächst soll aber das Gedicht auf dem Grabstein der SS-Männer entfernt und möglicherweise sogar eine Informationstafel angebracht werden.