Das Gedankenkonstrukt Münkler-Watch

Unbehagen in der Bewusstseinsindustrie

Ein Berliner Professor wird kritisiert und die halbe Republik interessiert sich dafür. Was hat es mit dem Gedankenkonstrukt Münkler-Watch auf sich?

Eine Gruppe von Bachelor-Studierenden echauffiert sich auf einem eigens eingerichteten Blog im Internet über eine Vorlesung von Herfried Münkler, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Humboldt-Universität Berlin; darüber wiederum echauffiert sich dieser, das Feuilleton bekommt Wind davon und echauffiert sich ebenfalls über die Studierendengruppe.
Die Aufregung über die Aufregung ist Programm, das Spektakel wird mit harten Worten inszeniert. Die Bachelor-Studierenden protokollieren fleißig Münklers Sommersemestervorlesung »Einführung in die Politische Theorie und Ideengeschichte«, zumindest die ersten Sitzungen seit dem 15. April. Was Münkler präsentiert, ist nach den Gepflogenheiten des positivistischen Betriebs nicht weiter auffällig – nur: In der Mischung aus Lehrbuchstoff und Vortragsstil wittert die Studierendengruppe den »Extremismus der Mitte«, überdies Rassismus, Sexismus, Militarismus et cetera. Allerdings, der Sache nach sind die Affronts erst einmal nichts anderes als das, was im nicht über das Akademische skandalisierungsfähigen Berufsleben als »Mobbing« bezeichnet wird. Münkler spricht jedoch von Denunziation, fordert die Universitätsleitung auf einzugreifen, sieht sogar seine Theorie der »asymmetrischen Kriegsführung« bestätigt. Zu dieser gehört die »mediale Inszenierung der Opfer«, die Münkler freilich selbst betreibt, ja betreiben muss, wenn er sich auf diesen »Krieg« einlässt; ohnehin bietet das Internet, erst recht das Web 2.0 strukturell eine Technik der »Automatisierung kriegerischer Gewalt«, von der Münkler in seiner Theorie spricht.
Bis zu diesem Punkt ist das alles relativ stupide. Ein Blick in die Kommentare auf dem Blog Münkler-Watch macht sofort klar, dass Münkler sich um seinen Ruf keine Gedanken zu machen braucht; wie selbstverständlich funktioniert die Feedback-Schleife – das bedingt die fehlende »Gate Keeper«-Position, aber auch der vorauseilende Gehorsam der Kommilitonen –, und die Studierendengruppe wird mal lustig, mal beleidigend an ihren eigenen Pranger gestellt. Der Extremismus der Mitte, die »neuen hässlichen Deutschen«, die »debilen Schwachmaten«, »unterirdisch peinlich« und so weiter – das seien sie selbst.
Im Feuilleton, das sich – allein um die Regeln dieses Diskurses bestimmen zu können oder um dies zumindest zu suggerieren – schnell in das Spiel einschaltet, wird die Initiative von Münkler-Watch im großen Stil moniert, wortgewandt und thesengewaltig: Selbstverständlich weiß die FAZ klug, dass die Studierendengruppe »Rebellen« sind, die sich »als brave Funktionsträger tarnen« (und nicht mehr wie früher und FAZ-kompatibel »als Rebellen maskierte Angestellte«). Und ebenso selbstverständlich wird aus der zweiten Liga der deutschen Tagespresse geunkt: »Die Meinungsfreiheit wird von ihren Freunden beiläufig ausgehöhlt und kaum verschämt abmontiert«, weiß eine Wirtschaftsjournalistin im Tagesspiegel zu resümieren. »Wäre das immer schon so gewesen, wäre die Erde heute noch eine Scheibe.« Kurze Info hierzu: War sie nie. Und sowieso waren Wissenschaft und Forschung – zumindest ihrem aufgeklärten Begriff nach, wenn auch kaum in der Praxis – eben gerade nicht »Meinung« beziehungsweise die dummdemokratisch reduzierte »Freiheit«. Die Süddeutsche Zeitung glaubt in Münkler-Watch und überhaupt »#Aufschreie-Effekte« einer »immer übertourig laufenden Erregungsmaschinerie« zu erkennen, charakterisiert den »Versuch, eine Öffentlichkeit auf die eigene kleine Erregungsbaustelle zu locken, als das Konformitätsschema des digitalen Diskursrahmens«. Die Zeit schreibt lustig-sachlich über »Münkler und die Detektive«, Georg Diez schließlich bringt die ganze Angelegenheit auf Spiegel Online auf den Punkt: Münkler-Watch und die daraus resultierte »Debatte« seien weitere Beispiele von »Placebos für die Populisten«: »Es ist eben sehr viel einfacher, auf ein paar Studenten einzuhauen, die objektiv machtloser sind als ihr Professor und auch als die etablierten Medien, die sich sehr direkt und nicht ohne eigene Interessen auf die Seite der Macht stellen. Es ist sehr viel unangenehmer, sich mit realen Fragen auseinanderzusetzen, auf die man nicht so leicht eine Antwort findet: Wer sind diese 1,2 Millionen Menschen zum Beispiel?« Diez fragt nach den 1,2 Millionen Lesern der Bild-Zeitung, danach, was »die sonst noch so machen«.
Nunja, bei den circa zehn Studierenden, die Münkler-Watch betreiben, ist das bei der mutmaßlichen Gefährdung sowohl von Münklers Karriere im Besonderen als auch des Abendlandes im Allgemeinen recht überschaubar. Sie studieren halt, wie man das so unter Bachelor-Bedingungen macht, emsig und leistungsbereit. Als angehende Funktionselite »möchten wir alle einen Abschluss, einen Job und uns den Zugang zu Einkommen wahren. Wir möchten eine Zukunft mit unseren Kindern und Wohnraum und so weiter, um das hier entworfene Gedankenkonstrukt zu reproduzieren, damit unsere Nachkommen dies weiter kultivieren können«, begründet die Gruppe ihre Anonymität. Ergibt das Sinn?
Wenn, dann doch nur diesen: Die Klarnamen will man für Abschluss, Arbeits- und Mietvertrag verwenden. Denn die Gruppe geht davon aus, dass die Münkler-Watch-Aktion ihnen irgendwann so oder so auf die Füße fällt; und das droht ja nur dann, wie es sich bereits jetzt im Medienrummel anbahnt, wenn dieses »hier entworfene Gedankenkonstrukt« eben keinen wie auch immer kritischen Einfluss auf sei’s einzelne Vorlesungen, sei’s den universitären Gesamtbetrieb hat, also aus keinem Funken ein Steppenbrand wird, der den Blog-Aktivisten dieser Bachelor-Generation einen Marsch durch die Institutionen ermöglicht wie ehedem den Achtundsechzigern und ihren Nachfolgern. Mit anderen Worten: Die »Jobs«, die sich die Gruppe »wahren« will, sind eben Professorenstellen oder Journalistenpositionen, mit denen in zehn, 20 Jahren baugleiche Ideologeme produziert werden wie die, gegen die die Gruppe heute vorgeht. Nicht umsonst wurde sich entschieden, ein politikwissenschaftliches Studium an der Humboldt-Universität aufzunehmen. Lektionen in Carl Schmitt, den überzubewerten Münkler auch vorgeworfen wird, können dabei durchaus hilfreich sein.
Die formal und inhaltlich unbeholfenen Versuche der kleinen, argumentativ wie medial völlig unscheinbaren Gruppe von Studierenden, die wie alle Studierenden angehalten sind, sich im zweiten Semester schon um den Studienabschluss und das berufliche Fortkommen zu kümmern, könnten sich letzthin als Bärendienst für den Wissenschaftsbetrieb erweisen. Was die jungen Leute hier als Kritik formulieren wollen, ist keine, jedenfalls keine systematische, die sich etwa mit dem Status von Fächern wie Politikwissenschaft unter Bedingungen der fortschreitenden Neoliberalisierung des Wissenschaftsbetriebs auf allen Ebenen auseinandersetzt, auch keine immanente Kritik, die sich explizit auf Münkler bezieht, schließlich keine Herrschaftskritik, die emanzipatorisch ausgerichtet ist. Das subjektive Element, freilich bei Kritik von Rassismus, Sexismus et cetera unerlässlich, kommt über die reine Befindlichkeit nicht hinaus, das »hier entworfene Gedankenkonstrukt« bietet, wenn auch paradox kommunikativ und gleichzeitig nicht kommunikabel, eigentlich nicht mehr als methodische und didaktische Verbesserungsvorschläge an Münklers Vorlesungs-Script und -Stil.
Genau darin erweisen sich die Münkler-Watch-Blogger – die für sich übrigens das sehr traditionsdeutsche Pseudonym Caro Meyer gewählt haben und nicht etwa, trotz »Wir« (»Wir studieren mit Euch«), als Kollektiv auftreten – als eben je individuelle Leistungsträger einer Funktionselite. Ihrem Ansinnen wären sie näher und vermutlich auch für das erboste Feuilleton sympathischer, wenn sie sich wenigstens in ihrer Leistungsbereitschaft, der es erst einmal darum geht, bloß zum politisch korrekter gefärbten Bachelor zu kommen, als Verantwortungselite inszeniert hätten – und zwar selbstbewusst, statt duckmäuserisch zu behaupten: »Wir stehen zusammen mit Euch allen am untersten Ende der akademischen ­Hierarchie.« (Ganz unten stehen die Putzkräfte und Kantinenangestellten; dann kommen Lehrbeauftragte und so weiter, wohin die Studierenden erst einmal abrutschen müssen). Was der Münkler-Watch-Gruppe also fehlt, ist zumindest eine Prise Klassenbewusstsein, nämlich der Stolz, eigentlich mit Leuten wie Professor Münkler bereits in einem ideologischen Boot zu sitzen. Ein bisschen Bourdieu-Rezeption könnte dabei ebenso hilfreich sein wie die Lektüre von Reinhart Kosellecks »Begriffsgeschichten«.
Perfide ist überdies, dass Münkler-Watch wie auch das aufgebrachte Feuilleton so tun, als werde hier das erste Mal in der bürgerlichen Universitätsgeschichte akademische Kritik formuliert; beschämend mithin, dass im nivellierten Bildungsbetrieb mittlerweile selbst solche spärlichen Anmerkungen, ganz folgsam mithilfe von Social Media gepostet, so leicht zum Skandalon aufbauscht werden können (kaum ein Wort übrigens darüber, wie weitreichend etwa in den USA solche Watch-Blogs in die Mechanismen akademischer Optimierung eingebaut sind).
Statuiert wird ein Exempel, das schließlich Beispiel für den Gesamtbetrieb ist, nicht für die Frechheit der »erbärmlichen Feiglinge« (Münkler); Beispiel für einen Gesamtbetrieb, dessen Strukturen Hans Magnus Enzensberger 1962 (im noch zurechnungsfähigen Alter von Anfang 30) als »Bewusstseinsindustrie« beschrieb: »Aufklärung, im weitesten Sinn, ist die philosophische Voraussetzung aller Bewusstseins-Industrie. Sie ist auf den mündigen Menschen auch dort noch angewiesen, wo sie seine Entmündigung betreibt.« Und: »Erst die Fiktion, als habe jeder Mensch das Recht, über die Geschicke des Gemeinwesens und über sein ei­genes zu verfügen, macht das Bewusstsein, das der einzelne sowie die Gesellschaft von sich selber hat, zum Politikum und dessen industrielle Induktion zur Bedingung einer jeden künftigen Herrschaft.« Im Medienverbund, der seit den achtziger Jahren immer mehr mit den akademischen Institutionen verknüpft ist, der heute quasi von Web 2.0 und Bachelor-Studium umklammert wird, tritt »an die Stelle der materiellen (…) eine immaterielle Verelendung, die sich am deutlichsten im Schwinden der politischen Möglichkeiten des einzelnen ausdrückt«. Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich mit dem Gedankenkonstrukt Münkler-Watch ein Unbehagen an der Bewusstseinsindustrie gerade im Kontext der Politikwissenschaft regt, zudem noch in einer Vorlesung zur Politischen Theorie und Ideengeschichte.