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»It was summer/Now it’s autumn/I don’t know what to say/You don’t care anyway/Dabidubidii«, trällert die Kollegin aus der Geschäftsführung gutgelaunt drauflos. Mit einem dieser in ihrer Schlichtheit kaum zu überbietenden New-Order-Texte zu kommen, wenn doch eigentlich ein Herbstgedicht gefordert war – kein schlechter Versuch! Darüber hinaus müsse sie jedoch passen, trotz des Literaturstudiums, das aber genügend Möglichkeiten bot, sich erfolgreich um Lyrik herumzumogeln. »Frühling lässt sein blaues Band/Wieder flattern durch die Lüfte« wird gleich von zwei Redakteurinnen rezitiert, denen ganz offenbar egal ist, dass sie das Thema verfehlen, wenn auch nur um Haaresbreite. »Winter is coming«, sagt ein weiterer Kollege und blickt dabei herausfordernd. Zum einen, weil es sich nicht unbedingt um ein Gedicht handelt. Zum anderen natürlich, weil er überprüfen will, ob alle ihre Hausaufgaben gemacht haben und dieses Zitat richtig zuordnen können, das mittlerweile auf T-Shirts gedruckt in jeder Jahreszeit umhergetragen wird und grundsätzlich zum Wahrsten gehört, was in Fernsehserien jemals gesagt wurde. Ein weiterer Vorschlag geht so: »Herbst? Ja, Federweißer und Flammkuchen.« Auch nicht im klassischen Sinne Lyrik, dafür schmackhaft und ein unmissverständliches Bekenntnis zum Genießertum. Lassen wir durchgehen.
Menschen mit Kindern haben fast immer ein Gedicht parat. Auch die Auslandsredakteurin ist da keine Ausnahme, sie legt sofort los und kann den Reim sogar singen: »Der Herbst, der Herbst, der Herbst ist da, er bringt uns Wind, hei hussassa! Schüttelt ab die Blätter, bringt uns Regenwetter. Heia hussassa, der Herbst ist da!« Die Zuhörer sind beeindruckt von der – Google-gestützten – Textsicherheit und Musikalität der Kollegin. So auch die Themaredakteurin, die sich selbst aber partout an kein Gedicht erinnern und lediglich auf die Ost-Punkband Herbst in Peking verweisen kann. Im Übrigen sieht sie das gesamte Genre äußerst kritisch. »Herbstgedichte? Man weiß, wie es ausgeht.« Tatsächlich kennt das klassische Herbstgedicht kein Happy End. Im besten Fall steht am Ende der Winter in Gestalt eines lustigen Schneemannes vor der Tür, im schlechteren Fall drohen Ausschluss, tödliche Krankheiten, Vereinsamung und ewige Single-Verdammnis wie in Rilkes berüchtigtem Gedicht »Herbsttag«. Der Lektor empfiehlt daher, Herbstgedichte konsequent zu meiden.