Berlin Beatet Bestes. Folge 319

Israelische Uzis in Kreuzberg

Berlin Beatet Bestes. Folge 319. Chants Militaires d’Israel (1967).

Im Sommer hat in meiner Nachbarschaft mal wieder ein neuer Second-Hand-Plattenladen eröffnet. Allerdings, so richtig neu sieht der Laden nicht aus. Draußen hängen statt eines Schildes lediglich ein paar alte Platten an der Fassade und drinnen hängen alte Männer ab – alte Berliner Rock-Fans.
»Ick glob, ick muss Matze Hausvabot jehm. Weeste, Matze, den Kleenen. Kennste den?« Der Besitzer des Plattenladens, ein drahtiger Mittfünfziger, sitzt am Tisch und putzt Platten. Vor ihm sitzt ein dicker weißhaariger Mann in ­einer Winterjacke: »Wieso? Wat hattn der jemacht?« »Naja, wie der die Platten anfasst, dit jeht janich! Imma wenn der die anhört, sind da späta sonne Kratzer druff. Und neulich hattick ’ne rare Beatles-LP und er reißt die uff! Reißt die einfach so uff, wie ’ne Tüte! Zum Glück konnt ick die noch kleem und ick hab die soja späta für 300 Euro verkooft, aber wat solln dit? Der kann die Teile do nich so uffreißn.«
Der Weißhaarige versperrt mit seinem massigen Körper den Weg. Ich schlängele mich an ihm vorbei in den hinteren Teil des verwinkelten Ladens.
»Wat willste für die LP?« fragt der Weißhaarige. »100 Euro. Weil dit ne seltene Scheibe is. Is dit okay?« »Ja, is in Ordnung, aber ick hab bloß 80 mit bei. Den Rest bring ick dir denn morjen.«
Im hinteren Teil des Ladens sind nur LPs, also schlängele ich mich wieder zurück nach vorne zu den Single-Kisten.
»Haste Facebook?« fragt der Ladenbesitzer. »Nö, ick brauch sowat nich. Ick hab keen Compjuta, keen Handy und ooch keen SMS, oda wie dit heißt. Wozu ooch, wer soll ma schon anrufn? Dit einzje, wat ick hab, is’n oller Schachkompjuta.« »Naja okay, denn kommste eben im Laden vorbei.« »Ja, ick bring dir den Rest morjen«, sagt der Weißhaarige. »Aber bring ooch noch ’n paar Platten!« »Ick wees nich …« »Ja, ick wees, du gloobst nich an Kommission, aber bring trotzdem ma welche mit.«
Der Ladenbesitzer scheint ganz scharf auf die Platten des Dicken zu sein, der sich in diesem Moment wohl unglücklich bewegt. »Mensch, pass do uff!« ruft der Ladenbesitzer. Die LP, die er geputzt hat, ist runtergefallen. »Ick hab do janischt jemacht«, erwidert der Alte. »Mann, pass do uff!« wiederholt der Jüngere. »Ick weeß nich, ob ick die Kratzer wieda wegkrich.« Der Dicke seelenruhig: »Och, dit sin do bloß Hairlines oda wie dit heeßt.«
So geht es noch eine Weile zwischen den beiden hin und her. Dann trudeln noch mehr weißhaarige Berliner in Lederjacken im Laden ein. Als ich meine LP vorsichtig auf den Tisch lege, gucken mich alle mitleidig an: kein Rock. Dann bezahle ich drei Euro für eine Platte, die ich nie hören werde, denn Märsche und Hymnen finde ich prinzipiell doof, auch die von Effy Netzer, Reuven Sheffer, Nechama Hendel und den Beit Rothschild Singers. Aber das 30,8 mal 30,8 Zentimeter große Cover ist mir den Preis schon wert. Aufgenommen 1967, als Israel im Sechs-Tage-Krieg gegen Ägypten, Jordanien und Syrien kämpfte, zeigt es berockte und behelmte israelische Soldatinnen mit Maschinenpistolen. Israelische Uzis, Alta! Cool.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.