Mauricio de Miranda Parrondo im Gespräch über die Währungsreform in Kuba

»Das Lohnniveau ist extrem niedrig«

Anfang Januar war der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit einer Delegation in Kuba zu Besuch, um die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Land auszubauen. Seit Jahren strebt Kuba wirtschaftliche Reformen an, denn die Produktivität ist niedrig und die Grundversorgung kann nicht immer gewährleistet werden. Unter anderem will man die Planwirtschaft um einen privaten Sektor ergänzen, Sozialausgaben sollen reduziert werden. Die Jungle World sprach mit dem kubanischen Ökonomen Mauricio de Miranda Parrondo insbesondere über die angestrebte Währungsreform und ihre Folgen. Der 53jährige kommt aus Havanna, hat in Madrid promoviert und lehrt Wirtschaft an der Pontifica Universidad Javeriana im kolumbianischen Cali.

Auf dem Parteitag der kommunistischen Partei (PCC) im Jahr 2011 wurde mit den Lineamientos Económicos y Sociales ein Reformpaket verabschiedet, das die kubanische Wirtschaft fit für die Zukunft machen soll. Wie lautet die Bilanz?
Die Reformen haben anders als erhofft keine große wirtschaftliche Dynamik gebracht. Wir haben einige kleine Schritte erlebt, aber keinen strukturellen Wandel.
Ein Element dieses Reformpakets ist eine Währungsreform. Diese soll bis zur Eröffnung des nächsten Parteikongresses, der im April stattfinden soll, eingeleitet sein. Glauben Sie, dass die Regierung ihr Vorhaben in die Tat umsetzen kann?
Es gibt ein großes Problem: die Gehälter in Kuba. Sie werden in Peso nacional gezahlt und nicht in Peso convertible (CUC; an den Wert des US-Dollars gebundene Währung, Anm. d. Red.). Das hat der Regierung erlaubt, ein extrem niedriges Lohnniveau zu erhalten – umgerechnet in Devisen ist das Lohnniveau auch im regionalen Vergleich extrem niedrig. Das heißt allerdings im Umkehrschluss nicht, dass die kubanische Arbeitskraft billig ist. Die ausländischen Unternehmen, die ab Mitte der neunziger Jahre in Kuba investierten, mussten trotzdem hohe Löhne zahlen, die deutlich über dem lagen, was die Arbeiter letztlich erhielten.
Die doppelte Währung hat also dafür gesorgt, dass das Lohnniveau niedrig bleibt.
Ja, genau, aber mit vielen negativen Effekten, denn die Motivation der Arbeiter und Angestellten im staatlichen Sektor ist gering und die Veruntreuung staatlichen Eigentums ist eher die Regel als die Ausnahme. Das ist ein Grund, weshalb man die Löhne von Ärzten, Krankenschwestern, Lehrern und Angestellten in anderen Berufen in den vergangenen Jahren angehoben hat, um für mehr Motivation zu sorgen. Doch an den Strukturen hat das wenig geändert: Kuba ist das Land mit dem niedrigsten Lohnniveau in Lateinamerika.
Aber sorgt das nicht für eine enorm niedrige Produktivität?
Genau, es ist absurd, und viele Kubaner fragen sich, welchen Sinn der Erhalt dieser absurden Regelung ergibt. Das ist nachvollziehbar, aber es gibt natürlich auch Sektoren, die davon profitieren – unter anderem die Betriebe, die im Devisensektor agieren, aber Löhne in Peso nacional zahlen. Sie haben große Vorteile.
Welche negativen Effekte hat die doppelte Währung, abgesehen von der Zweiteilung der Wirtschaft in einen leidlich dynamischen und einen trägen Sektor?
Die doppelte Währung beeinträchtigt seit Jahren das Wachstum der kubanischen Wirtschaft. Sie wirkt sich negativ aus, weil doppelte Währung auch doppelte Buchführung und künstliche Wechselkurse bedeutet, die für eine Verzerrung der ökonomischen Entwicklung sorgen. In Kuba ist es nicht möglich zu sagen, wie hoch die realen Produktionskosten sind, es ist nahezu unmöglich, zu analysieren, wie gut ein Unternehmen aufgestellt ist, weil die Indikatoren verzerrt sind. Mit der Währungsreform soll die kubanische Wirtschaft wieder transparenter werden, dann wird es leichter zu analysieren, wo die Ursachen der fehlenden wirtschaftlichen Dynamik liegen. Ich denke, dass die negativen Effekte der doppelten Währung sehr viel schwerer wiegen als die positiven.
Zu den negativen gehören auch die Korruption und der Diebstahl in den Betrieben.
Ja. Und die Kubaner auf Jobsuche haben sich zu den Sektoren der kubanischen Wirtschaft hin orientiert, in denen in harter Währung (erst US-Dollar, dann CUC) gezahlt wird oder es zumindest Zugang zu harter Währung gibt, wie im Tourismus. Andere haben sich selbständig gemacht, sodass die Unterschiede in der Gesellschaft weiter zugenommen haben. Auf einmal verdienen Dienstleister und Handwerker deutlich mehr als Anwälte, Ärzte oder Lehrer. Die Preise, die die Taxifahrer erheben, orientieren sich am US-Dollar beziehungsweise am CUC, nicht am Peso nacional. Für die höherqualifizierten Staatsangestellten ist das ernüchternd.
Verändert sich damit nicht die Gesellschaftsstruktur? Sinken die Gewinner der kubanischen Revolution, vor allem Frauen und Afrokubaner, in der Gesellschaftshierarchie wieder ab?
Für die schwarze Bevölkerung trifft das, denke ich, zu. Bei den Frauen bin ich mir da nicht so sicher. Es gibt wesentlich weniger schwarze Emigranten als weiße. Das sorgt im Umkehrschluss dafür, dass es deutlich mehr remesas (Rücküberweisungen aus dem Ausland, Anm. d Red.) an weiße Familien auf der Insel gibt. Die haben dadurch ganz andere Möglichkeiten, ein eigenes Unternehmen aufzuziehen und dadurch verändert sich die Gesellschaftsstruktur – aber es gibt keine öffentlichen Statistiken zur Einkommensverteilung.
Aber die Einkommen der schwarzen Bevölkerung gehen zurück?
Ja, ich denke schon, dass es da einen erheblichen Rückgang gibt. Das Gros der Ökonomen in Kuba geht davon aus, dass die doppelte Währung die gesellschaftliche Ungleichheit verstärkt hat. Ich teile diese Einschätzung nicht, denke aber, dass die doppelte Währung die gesellschaftliche Ausdifferenzierung verstärkt. Es ist schlicht nicht zu bestreiten, dass die Familien mit Zugang zu US-Dollar seit 1993 in Kuba besser leben, aber man muss auch die Frage stellen, woher die US-Dollar kommen, ob aus der selbständigen Tätigkeit oder den Geldtransfers der Familie – wird in Kuba gearbeitet oder konsumiert?
Hoffen die Kubanerinnen und Kubaner, dass mit dem Ende der doppelten Währung auch die gesellschaftliche Ungleichheit zurückgehen wird?
Die Regierung versucht diese Erwartungshaltung zu dämpfen, denn es gibt die weitverbreitete Meinung, dass mit der Währungsreform in Kuba wieder die achtziger Jahre anbrechen werden, als es ein gutes Versorgungsniveau gab. Doch das ist unrealistisch.
Hat die Regierung auch Sozialprogramme angekündigt, um die negativen Effekte der Währungsreform auszugleichen?
Verbal ja, aber konkrete Programme wurden, soweit ich weiß, nicht vorgestellt.
Wird die Währungsreform denn einen Produktivitätsschub mit sich bringen?
Ich denke schon, aber nicht über Nacht, sondern erst auf mittlere Sicht. Zuerst einmal wird es einen Schock geben, denn die Umstellung einzuleiten, wird etwas kosten. Das ist das Dilemma, denn alle Welt geht von schnellen Erfolgen aus, die wird es aber nicht geben.
Es wird immer wieder behauptet, dass Kuba für eine Währungsreform ein Finanzpolster brauche, um eventuell zusätzliche Importe zu ermöglichen. Gib es dieses Polster?
Niemand weiß das, aber es wäre wünschenswert. Ich denke, dass die internationalen Reserven in den vergangenen Jahren etwas gewachsen sind, aber ob sie ausreichen werden, ist schwer zu sagen. Internationale Experten gehen davon aus, dass entweder eine Reserve von über 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder genug Geld da sein muss, um alle Importe über einen Zeitraum von elf Monaten zu finanzieren. Das hat Kubas Regierung aber sicherlich nicht angehäuft. Es wird deutlich weniger sein.
Was sind die Vorrausetzungen, um die Währungsreform erfolgreich zu gestalten?
Ich bin mir sicher, dass es weitere Schritte in Richtung Marktöffnung geben muss, eine weitere Liberalisierungsrunde. Dazu gehört, dass private Investitionen und die Gründung privater Unternehmen möglich sein müssen, und zwar nicht nur auf kleinbetrieblicher Ebene. Ich glaube, dass die Währungsreform ohne derartige flankierende Maßnahmen zu verpuffen droht.
Das Problem ist, dass die zentralisierte Wirtschaft mit der doppelten Währung dafür gesorgt hat, dass die Preisstrukturen verfälscht sind. Es gibt in Kuba keine ausgewogenen Preise, es fehlt an einem robusten Markt auf der Insel für die Versorgung der Kleinunternehmen und es fehlt an mehr Investitionsfreiheit – wenn all das gegeben ist, ergibt eine Währungsreform Sinn.
Was passiert, wenn diese Bedingungen nicht oder nur teilweise vorhanden sind?
Dann steigt das Risiko, dass die Währungsreform ohne Wirkung bleibt, dass ein Wechselkurs gewählt wird, der den Bedingungen auf dem Markt nicht entspricht – die Währung über- oder unterbewertet ist. Keine dieser beiden Optionen ist gut, aber eine Überbewertung wäre ein Desaster, denn dann wäre das Vertrauen in die Währung ganz und gar dahin. Eine Unterbewertung hätte nicht so negative Folgen.