Der Fernsehfilm über Beate Zschäpe, »Letzte Ausfahrt Gera«

Die meinungsstarke Hausfrau

Der Fernsehfilm »Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe« legt den Fokus auf die Hauptangeklagte und scheitert.

Am 9. Dezember 2015 galt die öffentliche Aufmerksamkeit wieder einmal den Geschehnissen im Saal A 101 des Oberlandesgerichts in München. Am 249. Verhandlungstag ließ Beate Zschäpe, Haupt­angeklagte im NSU-Prozess, eine Einlassung zur Anklageschrift und dem bisherigen Prozessverlauf durch ihren neuen Verteidiger Mathias Grasel verlesen.
Der erste dem NSU-Prozess gewidmete und zur Hauptsendezeit vom ZDF ausgestrahlte Fernsehfilm wirkt wie eine dramaturgische Hinführung zu diesem Moment. »Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe« behandelt eine Autofahrt von der JVA Köln zur JVA Gera, die Zschäpe 2012 unternahm. Zschäpe, gespielt von Lisa Wagner, erhielt damals die Erlaubnis, ihre Mutter und ihre Großmutter, die damals verletzt war, zu besuchen. Begleitet wurde Zschäpe von zwei BKA-Beamten (gespielt von Joachim Król und Christina Große), die die Gelegenheit nutzen sollten, um ihr Informa­tionen oder sogar ein Geständnis zu entlocken. Die Suche nach der Wahrheit inszeniert der Film als gesamtgesellschaftliche Frage nach den Hintergründen der Mordserie, die auch fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU nur fragmentarisch bekannt sind.
Die Autofahrt wird dabei zum Ausgangspunkt zahlloser narrativer Abzweigungen, die in Form von Rück- und Vorausblenden Aspekte des NSU-Komplexes herausgreifen. Die Filmankündigung des ZDF, man wolle ein »Psychogramm« des fragilen Charakters der Haupt­angeklagten zeigen, wird durch diese erzählerischen Methoden etwas in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen kommen viele Hinterbliebene der Opfer sowie Expertinnen und Experten zu Wort. Der Film bricht durch seine dokumentarischen Interviews mit seiner ansonsten szenischen Form und gibt dadurch den Angehörigen eine Stimme. Man erfährt, dass die Polizei Adile Şimşek, die Frau des mutmaßlich ersten NSU-Mordopfers Enver Şimşek, des Mordes an ihrem Mann bezichtigt hatte. Oft genug macht der Film deutlich, dass die ermittelnden Behörden, trotz Hinweisen von Angehörigen der Opfer und der Rezeption der Taten in der rechten Szene, einen rassistischen Hintergrund nie ernsthaft aufgriffen. Doch gleichberechtigt neben den Opfern lässt Raymond Ley, der auch bei »Meine Tochter Anne Frank« und »Eichmanns Ende – Liebe, Verrat, Tod« Regie geführt hat, mit Patrick Wieschke einen aktuellen NPD-Kader aus Eisenach als Zeitzeugen auftreten – als müsste man mit Nazis sprechen, um über sie zu sprechen.
Die Frage drängt sich auf, welche Absichten mit diesem Film verfolgt werden. Versucht er aufklärend zu wirken, indem er mit den Mitteln des Spielfilms auf eine breite Rezeption in der Bevölkerung abzielt? An einer Stelle des Films sagt Zschäpe, sie sei eine »Meisterin im Verdrängen« – ein Satz, der auch das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zum NSU beschreiben könnte. Aufklärung zur Primetime wäre sinnvoller als das beständige Schweigen über den gesellschaftlichen Kontext der Taten.
Der Film stellt immer wieder Zeugenvernehmungen im Münchner Prozess nach. Da Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal während der Verhandlung gesetzlich verboten sind, ist die Öffentlichkeit weitgehend auf die schriftliche Dokumentation durch Journalistinnen und Journalisten sowie Beobachter angewiesen. Die sich im Prozess herausbildende juridische Wahrheit ist deshalb stets mit ihrer Vermittlung an die Öffentlichkeit konfrontiert. Sobald eine filmische Vermittlung inszeniert wird, besteht nach Ansicht der Rechtsphilosophin Cornelia Vismann die Gefahr, dass die filmische Wahrheit die juridische überlagert. In »Medien der Rechtsprechung« schreibt Vismann, dass sich insbesondere Rückblenden in Gerichtsfilmen meist vollkommen von der individuellen Aussage entfernen und damit zu einer Unentscheidbarkeit zwischen der im Prozess produzierten Wahrheit und ihrer filmischen Repräsentation beitragen.
An diesem Spannungsverhältnis scheitert der Film im Hinblick auf seinen Hauptstrang. Denn die Suche nach der Wahrheit durch ein mögliches Geständnis von Beate Zschäpe und die Fokussierung auf ihre Person sind Ausdruck einer personalisierenden Erzählweise, die sich filmisch hervorragend inszenieren lässt, der Suche nach Aufklärung jedoch im Weg steht. So wissen die Produzenten des Films um das Problem der Unschuldsvermutung, das sich ihnen während eines laufenden Strafverfahrens stellt. Deswegen verfängt sich der Film in einer gewissen Uneindeutigkeit in Hinblick auf die Rolle von Beate Zschäpe in der NSU-Mordserie. Regisseur und Drehbuchautor Raymond Ley sagte zwar nach Zschäpes Einlassung, dass sie versuche, sich »reinzuwaschen«, wohingegen sein Dokudrama ein »anderes Bild – das Bild einer meinungsstarken, rassistischen Nationalistin« befördere.
Tatsächlich geschieht das Gegenteil, wenn Ley Filmbilder produziert, die nicht auf dem bisherigen Aktenwissen basieren. So gibt es einige Szenen aus dem Innenleben des NSU, die eine filmische Fiktion darstellen. In einer Szene kommen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mutmaßlich von ihrem ersten Mord zurück in die gemeinsame Wohnung: Dort erwartet sie Zschäpe mit der Aufforderung: »Schuhe ausziehen.« In einer anderen Szene üben die beiden Uwes die Ermordung ihrer Opfer ein, während Zschäpe im Nachbarzimmer durch das Internet surft. Stilisierte Sexszenen, die durch die Frage der Ermittlerin »hat die mit beiden Uwes geschlafen« vorbereitet werden, zeigen das Trio ganz privat. Es gibt wohl kaum weniger Relevantes. Dann, wenn der Film eine eigene Deutung vornimmt, die sich nicht auf gesichertes Wissen über den NSU stützt, zeichnet er das Bild einer um den Haushalt und ihr Privatvergnügen besorgten Frau – erstaunlicherweise ist diese Bebilderung auf einer Linie mit der Einlassung Zschäpes im Prozess.
Der Fokus auf die Person Zschäpes ist einer Aufklärung des NSU-Komplexes nicht dienlich – weder im Film noch in der Realität. Als Angeklagte darf sie lügen, sie muss sich nicht selbst belasten, sie darf Dinge in einem besseren Licht für sich darstellen. Die Erwartung, dass man durch ihre Aussage an die Geheimnisse der Mordserie gelangen könnte, marginalisiert die anderen offenen Fragen des NSU-Komplexes, deren Aufklärung tatsächlich mit politischem Willen und einer gesellschaftlichen Kontextualisierung möglich ist: das Wissen der Polizei, das Wissen des Verfassungsschutzes, die sehr wahrscheinliche Unterstützung von Neonazi-Netzwerken bei den Taten des NSU. Trotz umfangreicher Schredderaktionen harren noch viele Akten des Verfassungsschutzes ihrer Öffnung.

»Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe« (Regie: Raymond Ley) läuft am 26. Januar ab 20.15 Uhr im ZDF