Hosam Katan im Gespräch über seine Fotos aus dem Alltag während des Kriegs in Syrien

»Die Kamera wurde zu meiner besten Waffe«

Seit beinahe fünf Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Dem 22jährigen Fotografen Hosam Katan gelang im Oktober vergangenen Jahres die Flucht nach Deutschland. Bevor er Aleppo verließ, dokumentierte er das dortige Alltags- und Kriegsgeschehen.

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien sind über zwölf Millionen Menschen auf der Flucht. Sie selbst sind geflohen und befinden sich seit Oktober vergangenen Jahres in Deutschland. Was hatte Sie zuvor dazu bewogen, Ihre Herkunftsstadt Aleppo nicht zu verlassen?
Mit dem Beginn des Krieges flohen meine Eltern in die Türkei, wo sie auch jetzt noch leben. Für mich selbst kam das aber nicht in Frage. Was heute ein Bürgerkrieg ist, begann immerhin als Revolution – und für eine Revolution müssen Menschen bleiben, die sie vorantreiben. Meine Motivation war es immer, dieser Revolution zum Sieg zu verhelfen.
Dennoch haben Sie sich gegen eine Waffe und für die Kamera entschieden.
In der Opposition gegen Assad blieben wir sehr lange friedlich. Je mehr aber die Gewalt zunahm, mit der die Regierung uns von den Straßen drängen wollte, desto größer wurden auch die Bereitschaft und Notwendigkeit, sich zu bewaffnen. Ich war ­allerdings von vornherein dagegen und hatte beschlossen, kein Gewehr in die Hand zu nehmen. Stattdessen begann ich, mit meiner Handykamera Fotos zu schießen und Videos aufzunehmen. Ich arbeitete für das Aleppo Media Center, dessen Mitarbeiter das Material über die Sozialen Medien veröffentlichten. Auf den Bildern war zu sehen, wie die Regierungsarmee auf Demonstranten und Zivilisten schoss. 2013 bekam ich dann eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters, für die ich seitdem arbeite. Statt zum Gewehr griff ich also zur Kamera. Sie wurde zu meiner besten Waffe.
Im Mai 2015 wurden Sie von einem Scharfschützen in den Bauch getroffen. Nach monatelanger Behandlung in der Türkei sind Sie dennoch nach Syrien zurückgekehrt, um Ihre Arbeit forzusetzen.
Das war eine schwere Zeit für mich und ich kann mich sehr glücklich schätzen, noch am Leben zu sein. Ich habe sehr viel Zuspruch bekommen, der mich ermunterte weiterzumachen. Auch dass ich meine Familie sehen konnte, gab mir Kraft.
Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen und kehrte also zurück. Allerdings war ich bei meiner Arbeit ängstlicher als zuvor. Die Situation in Aleppo hat sich immer weiter zugespitzt. Zu Beginn kämpften wir nur gegen die Regierung, nun waren auch noch der IS und al-Qaida da. Sogar von der russischen Armee werden wir bombardiert. Vor diesem Hintergrund beschloss ich letztlich doch, auszureisen und im Ausland zu studieren. Nach Europa kam ich dann mit einem Boot. Ich brauchte einen Monat von Aleppo bis Köln. Ich will allerdings nicht ewig hierbleiben. Nach dem Studium möchte ich meine Arbeit in Syrien fort­setzen.
Sie schlossen sich früh der Opposition an und begleiteten häufig Rebellentruppen, auch in Gefechtssituationen. Wie kam der Kontakt zustande?
Anfangs war ich einfach einer von vielen Schülern und Studenten, die mit der Politik der Assad-Regierung unzufrieden waren. 2011 sahen wir im Fernsehen dabei zu, wie der ara­bische Frühling in den nordafrikanischen Staaten losbrach, und konnten uns in den Kämpfen wiedererkennen. Schnell gingen auch in Sy­rien immer mehr Menschen auf die Straße, auch ich. Wir protestierten gegen die Diktatur der Assad-Familie, die nicht mal Meinungsfreiheit gewährt. Die Situation verschärfte sich immer weiter. Ein entscheidender Wendepunkt war erreicht, als der Offizier Atef Najib einige Kinder verhaftete, weil sie oppositionelle Parolen an eine Wand malten. Die Kinder wurden unter Najibs Leitung gefoltert, ihnen wurden die Fingernägel gezogen und nocj mehr angetan. Der Vorfall sorgte für Aufruhr in der Bevölkerung, doch der Offizier ist Teil der Assad-Familie und wurde daher in keiner Weise belangt. In einer solchen Situation stellt man sich vor, dass die Kinder auch die eigenen Geschwister sein könnten. Es war für mich unmöglich, dabei ruhig zu bleiben. Unser Protest richtete sich gegen diese Willkür der Assad-Familie.
Insofern war ich schon sehr früh in die Opposition eingebunden. Die Rebellen vertrauen mir, weil wir auf derselben Seite stehen. Das hat mir bei meiner Arbeit sehr geholfen. Man muss sich in die Rebellen hineinversetzen, mit ihnen fühlen und leben, um ein wahres Bild von ihnen vermitteln zu können.
Aleppo steht unter Beschuss. Die Front zwischen Regierung und Opposition verläuft mitten durch die Stadt, der Einsatz von Fassbomben durch die Truppen Assads sorgte international für Aufsehen und der IS steht an den Stadtgrenzen.
Aleppo gilt als äußerst wichtige Stadt für Syrien und daher auch für alle Konfliktparteien. Sie war das erste große Wirtschafts- und Finanzzentrum des Landes. Heute hingegen liegt Aleppo weitestgehend in Trümmern und ein Großteil der Bevölkerung ist geflohen. Die Fassbomben haben ihren Teil dazu beigetragen. Das Leben unter solchen Verhältnissen scheint auf den ersten Blick unmöglich. Im Sommer wusste man: Wenn die Sonne scheint, wird es auch Bomben geben. Die Motoren der Hubschrauber und die Detonationen beschallen dann die Stadt. Niemand weiß, wann und wo die Bomben fallen werden. Auf manchen Straßen muss man sich vor Scharfschützen in Acht nehmen. Auch Wasserleitungen werden zerstört, so dass es kein fließendes Wasser mehr gibt.
Ihre Fotos zeigen Soldaten und unmittelbare Kriegshandlungen sowie das Leben der Zivilbevölkerung Syriens. Gibt es einen Alltag im syrischen Bürgerkrieg?
Ja, es gibt so etwas wie einen Alltag. Und es stimmt, Alltag und Krieg fallen zusammen. Die Menschen versuchen, sich den Umständen anzupassen, und wollen nicht alles aufgeben. Sie wollen weiter studieren und zur Schule gehen. Viele Schulen wurden deshalb unterirdisch eingerichtet, um vor den Bomben besser geschützt zu sein. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als den Krieg in ihren Alltag zu integrieren. Das drückt sich selbstverständlich in den Fotos aus. Ich habe zum Beispiel ein Foto geschossen, auf dem man einen mit Wasser gefüllten Bombenkrater sieht, in dem ein paar Kinder plantschen. Manchmal sind es solche banalen Dinge, die das Verhältnis von Leben und Krieg am besten beschreiben.
Inwieweit ist die Fotografie in der Lage, ein realistisches Bild des Leids zu vermitteln?
Ich versuche durch meine Arbeit ein möglichst realistisches Bild dessen zu zeigen, was in Syrien geschieht. Das hat natürlich seine Grenzen, doch in der Zusammenschau der Fotos ergibt sich ein Gesamteindruck. Das ist der Zweck meiner Arbeit, aber zugleich auch ein Mittel, um im Betrachter etwas auszulösen.
Welchen Effekt erzielen Ihre Bilder in der Regel?
Durch meine Fotos melden sich Menschen aus aller Welt bei mir und wollen helfen. Sie spenden dann zum Beispiel Geld und Kleidung. Der Effekt ist also ein ganz praktischer, meine Bilder unterstützen die Menschen in Syrien. Außerdem bin ich der Auffassung, dass die Menschen hier in Deutschland den Geflüchteten anders begegnen, wenn sie einen Eindruck vom dortigen Elend haben. Die Bilder können mehr Verständnis schaffen.
Ihre Bilder erfahren derzeit große Aufmerksamkeit und sind in verschiedenen französischen und deutschen Museen und Zeitschriften zu sehen, kürzlich erst im Frankfurter Museum für angewandte Kunst.
Ich will einen Kontakt zwischen den Menschen hier und dort herstellen. Alle sollen wissen, was in Syrien passiert. Um das zu erreichen, würde ich am liebsten noch viel mehr machen, zum Beispiel Ausstellungen auf offener Straße. Es geht mir darum, dass meine Bilder gesehen werden.
Haben Sie mit Einschränkungen Ihrer Arbeit zu kämpfen?
Im März habe ich eine Ausstellung in der Nähe von Marseille. Nach dem derzeitigen Stand werde ich jedoch nicht dort hinreisen können, da mir die entsprechende Zulassung fehlt. Ich bin sehr enttäuscht darüber. Ich will mit den Leuten sprechen, die sich meine Arbeit ansehen. Ich will ihnen vom Leben in Syrien erzählen, von der Revolution, dem Elend und den Flüchtlingen in den Booten. Ich bin daher auch stetig auf der Suche nach weiteren Partnern, mit denen ich zusammenarbeiten kann. Ich brauche hier mehr Freiheit, um meine Projekte wirklich umsetzen zu können.