Homestory

Wir nennen das Arbeit. Also das hier. Dieses Produkt, das Sie jetzt in Händen halten. Diese Zeitung, diese linke Wochenzeitung. Dass Sie dieses Produkt auch digital an irgendeinem Bildschirm lesen könnten, der größer als ihre Handfläche ist, das unterschlagen wir einfach mal. Hier geht es noch traditionell zu, Schwielen an den Händen, harte Arbeit, Schweiß auf der Stirn. Aber weil wir links sind, finden wir Arbeit irgendwie auch nicht gut. Dafür gibt es ja extra diesen Feiertag – den 1. Mai. Ob die Leute, die da demonstrieren gingen, Arbeit eigentlich auch doof finden, oder nur schlechtbezahlte oder nur unwürdige oder nur gar keine zu haben (und das schlecht bezahlt) oder einfach Nazis oder Israel nicht mögen oder worum das nun wieder alles ging, das ist zunächst einmal zweitrangig. Die beste Kritik ist doch: nicht arbeiten! Und da dieser Nichtarbeitstag auch noch auf einen Sonntag fiel, erst recht: nicht arbeiten! Daher, und weil hier lauter Traditionalistinnen und Traditionalisten am Werk sind, nun unser Beitrag zum Nichtarbeiten – die Homestory vom vorigen Jahr (Jungle World 19/2015) wird einfach recyclet, mit kleinen Updates natürlich: »Eine Redakteurin ließ sich nicht von der Kampfmüdigkeit beeindrucken und tat bereits morgens ihre Arbeiterinnenpflicht auf der Gewerkschaftsdemonstration bei den schwarz-roten Fahnen.« Dieses Jahr wieder, mit Kind. »Einige andere wollten dem kalten Kapitalismus zunächst lieber ihre warm gebettete Schulter zeigen und standen etwas später auf.« Trifft auch dieses Jahr zu. »Irritiert war eine Kollegin vom Partyvolk in Kreuzberg, in das sie unabsichtlich hineingeraten war, als sie zu einer Verabredung gehen wollte.« Das hat sie dieses Jahr wohlwissend unterlassen. »Werden die Menschen, die am 1. Mai die Straßen verstopfen, tatsächlich immer unerträglicher? Und jünger?« Ja. »Andere Kolleginnen und Kollegen hatten es in ihrer Naivität dennoch gewagt, sich auf den nachmittäglichen Demonstrationsspaziergang zu begeben. Wichtig dabei: Bier trinken, um nicht positiv aufzufallen.« Nur demonstratives Biertrinken dieses Jahr, ohne Spaziergang. »Wieder andere suchten ihr Heil in der Natur, Gartenfeste waren bei diesen Arbeitskampfverweigerinnen und -verweigerern sehr beliebt.« Und wie!
Zu den sonstigen 1. Mai-Beschäftigungen zählten dieses Jahr bei der Jungle World-Redaktion: Joggen, Radfahren, Grillen, Arbeiten, krank oder gesund Zuhausebleiben. Besonders hedonistisch klingt das nicht, zur Revolution hat das auch nicht geführt. Die einzige Chance, der Arbeit für immer zu entkommen, scheint derzeit nur noch die Automatisierung zu sein, wenn also Computer oder Künstliche Intelligenzen demnächst die Jungle World schreiben. Aber keine Angst, so weit ist es noch nicht gekommen, hier wird noch im Schweiße unseres Angesichts von Hand kopiert und gepastet.