Nauen nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft im vergangenen Jahr

Normale Stadt mit rechter Guerilla

Die Schuldigen scheinen gefasst zu sein: Der Brand einer Turnhalle im brandenburgischen Nauen, die als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte, ist der Polizei zufolge die Tat von Neonazis. Diese sollen der NPD nahestehen. Antifaschisten verweisen aber auch auf die Rolle der AfD.

Die verkohlten Stelen ragen weithin sichtbar in den Himmel. Was einmal eine moderne Turnhalle war, ist nur noch ein Gerippe, umrahmt von mehreren Haufen Bauschutt. Noch immer liegt brenzliger Geruch in der Luft. »Eine große Scheiße«, murmelt der Hausmeister des Oberstufenzentrums (OSZ) vor sich hin, während er den Rasen säubert. Die bis auf die Grundmauern abgebrannte Sporthalle wurde früher von mindestens sechs Sportvereinen und den Schülern des OSZ genutzt. Nun arbeitet ein Berliner Unternehmen am Abriss der Überreste des Gebäudes. Wie lange das noch dauern wird, weiß auch der Hausmeister nicht genau. In der Nacht zum 25. August vergangenen Jahres ging die renovierte und als Flüchtlingsunterkunft vorgesehene Halle im Gewerbegebiet von Nauen in Flammen auf. Etwa 60 Feuerwehrleute waren mit den Löscharbeiten beschäftigt. Trotzdem brannte die Turnhalle vollständig aus. Obwohl die Polizei um 2:22 Uhr und sechs Minuten später die Feuerwehr informiert worden war, brannte »um 2:34 Uhr die Halle lichterloh«, sagte der brandenburgische Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) damals der Presse. »Das war ein Vollbrand, der rasend schnell vom Dach bis zum Boden die Halle zerstört hat.« Polizei und Politik gingen deshalb von dem Einsatz eines Brandbeschleunigers und somit von Brandstiftung aus. Noch am 26. August äußerte sich der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD): »Wir sind noch nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube, dass alles andere als sehr, sehr großer Zufall bezeichnet werden könnte.«
In den folgenden Tagen erhärtete sich der Verdacht auf Brandstiftung. Die zunächst aus den Reihen der Linkspartei geäußerte und später von Ministerpräsident Woidke aufgegriffene Vermutung, dass es sich bei dem Anschlag um rechten Terror handle, bestätigte sich ebenfalls. Die Ermittler fanden schnell heraus, dass der Brand sich deshalb so schnell ausbreiten konnte, weil die Täter Gas in die Turnhalle eingeleitet hatten. Anhand der Spurenlage vermuteten die eingesetzten Polizeibeamten, dass in der Halle mehrere angezündete Autoreifen und eine Gasflasche die schnelle Brandentwicklung verursacht hatten. Die Tat war im Gegensatz zu vielen anderen Anschlägen in der Region detailliert und professionell geplant. Schon beim Eintreffen hatten erfahrene Feuerwehrleute erkannt, dass die Brandentwicklung für eine gut vorbereitete Brandstiftung und den Einsatz von Brandbeschleunigern sprach. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als das Gebäude kontrolliert abbrennen lassen. Die Brandenburger Polizei bildete zur Aufklärung der Brandstiftung eine 40köpfige Sonderkommission. Die Landesregierung lobte für Hinweise, die zur Identifikation der Täter führen, eine Belohnung in Höhe von 20 000 Euro aus.
Anfang März, über sechs Monate später, teilte Brandenburgs Innenminister Schröter auf einer Pressekonferenz mit, dass sich der Verdacht der Brandstiftung bestätigt habe, und dass der schwerste Anschlag dieser Art in dem Bundesland seit 20 Jahren von einer rechtsextremen »Stadtguerilla« verübt worden sei. Die Führung der Terrorgruppe wird dem Stadtverordneten in Nauen und Kreistagsabgeordneten der NPD im Havelland, Maik Schneider, zugeschrieben. Neben seinem Engagement in der NPD galt der 29jährige als wichtiger Kader der Kameradschaft »Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland«. Dass die NPD bei der Nauener Brandstiftung eine Rolle gespielt habe, ist Innenminister Schröter zufolge »eindeutig belegbar«, »schließlich haben Mitglieder der Partei eine wichtige Position gehabt«. Mindestens zwei NPD-Mitglieder gehörten zu den Beschuldigten, auch die weiteren Verdächtigen seien zumindest als NPD-Sympathisanten bekannt.
Der Presse berichtete Brandenburgs Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke, Ermittler hätten bereits im Oktober oder November gewusst, dass die Sache »ein ziemlich dicker Fisch« sei. »Wir haben aus dem NSU-Untersuchungsausschuss gelernt und alle Behörden bundesweit mit ins Boot geholt«, so Mörke. Trotz des Fahndungserfolgs betonte er: »Heute wissen wir, dass das, was wir jetzt im Netz haben, noch lange nicht alles ist.« Die Gruppe habe sich »extrem abgeschottet«, »konspirativ gearbeitet« und sich »Alibis verschafft«. Neben den Verhafteten seien der Polizei noch weitere Verdächtige bekannt, so Mörke. Neben dem Brandanschlag auf eine Sporthalle wird der Neonazizelle vorgeworfen, aus rassistischen Motiven das Auto eines Polen in Brand gesetzt, mehrere Attacken auf ein Büro der Partei »Die Linke« und einen Brandanschlag auf Lokalpolitiker dieser Partei verübt und einen Drohbrief gegen Flüchtlinge mit Aufruf und Anleitung zum Bombenbau in Nauen verteilt zu haben. Des Weiteren nehmen die brandenburgischen Behörden an, dass die Gruppe für eine Reihe weiterer Taten verantwortlich ist. Bislang ist der Brandenburger Polizei bekannt, dass die Gruppe plante, »ein weiteres, gerade im Bau befindliches Asylbewerberheim zu zerstören«. Sollten sich im Lauf der Ermittlungen Anhaltspunkte für die Bildung einer terroristischen Vereinigung ergeben, werde das Verfahren an den Generalbundesanwalt übergeben, ließ die Potsdamer Staatsanwaltschaft verlauten.
Trotz der Enthüllungen ist Nauen für Polizeipräsident Mörke »eine völlig normale Stadt«. Schließlich sorgten »Bürgermeister und Stadtverordnete dort für ein ganz normales Klima«. Derzeit gebe es in der Stadt eine große Verunsicherung und Ängste, dass man zukünftig als braunes Nest gelten könnte. Dies wies Mörke »kategorisch zurück«, während Innenminister Schröter hoffte, dass das »Klima der Angst« in Nauen nun endlich der Vergangenheit angehöre. Brandenburgs damaliger Justizminister Helmuth Markov (»Die Linke«) fügte auf der Pressekonferenz Anfang März seinen Vorrednern hinzu: »Jeder rechte Straftäter kann sich sicher sein, dass diese brandenburgische Landesregierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Aufklärung vorantreibt.« Er schloss mit den Worten: »Wir werden sie bekommen!« Am 22. April trat Markov als Justizminister wegen einer Dienstwagenaffäre zurück.
Anfang März brachten unbekannte Antifaschisten Bauschutt der abgebrannten Turnhalle nach Berlin. Sie luden den Müll öffentlichkeitswirksam vor der Zentrale der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) ab. Auf einem Zettel, den sie hinterließen, war zu lesen: »August 2015: Brandanschlag in Nauen – Wir bringen die Überreste der AfD zurück.« Ein Sprecher der Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« sagte dem Magazin Vice, man wolle »der AfD die Konsequenzen ihrer Politik zum Anfassen zurückbringen«. Zwar unterstelle man dem Parteivorstand nicht, hinter der Brandstiftung zu stecken. Aber mit ihren kalkulierten Tabubrüchen seien die Funktionäre geistige Brandstifter, so der Sprecher. In einer ersten Reaktion auf den Brandanschlag hatte der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag, Alexander Gauland, erklärt, dass, »sollte es tatsächlich Brandstiftung gewesen sein«, die AfD-Fraktion »eine solche Tat natürlich auf das Schärfste« verurteile. Eine wie auch immer geartete Mitverantwortung lehnte er aber schon zu diesem Zeitpunkt ab. Gauland zufolge sei es zwar »auf keinen Fall hinzunehmen, dass geplante Unterkünfte für Asylbewerber angegriffen werden«, aber »die Verantwortung für solche Taten haben die gesamte Gesellschaft und in erster Linie die Politiker der Altparteien« zu tragen, weil sie »zur jetzigen Eskalation der Flüchtlingsproblematik beigetragen haben«. »Eine zügige Bearbeitung der Asylanträge und eine konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber«, so Gauland weiter, »hätten schon frühzeitig die Situation in Brandenburg und auch in Nauen entspannt«. Getreu dem Demokratieverständnis der AfD forderte er die Einbeziehung der Bürger, denn so »hätten sie das Gefühl, dass nicht nur sie und die Kommunen gefordert werden, sondern auch die Politik auf Bundes- und Landesebene alles tut, um der Situation Herr zu werden«. Nur so »ließen sich Reaktionen wie jetzt in Nauen sicherlich verhindern«.
Anfang April lud die märkische AfD zu einer Saalveranstaltung in Nauen, zu der Harald Vilimsky eingeladen war, der Generalsekretär der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und ein Mitglied des europäischen Parlaments. Thema der Podiumsdiskussion war eine engere Zusammenarbeit mit den österreichischen Rechtsextremen. Bereits im Februar hatte sich deshalb der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache mit der Bundesvorsitzenden der AfD, Frauke Petry, getroffen. Zu der Veranstaltung in Nauen unter dem Titel »Freiheitliche Politik für Europa« kamen etwa 100 Personen aus Brandenburg, Berlin und Thüringen, unter anderem eine Abordnung des rechten »Bürgerbündnisses Havelland«. Vilimsky bot der AfD eine engere Zusammenarbeit an. Man sei sich einig in der Ablehnung der Europäischen Union, die sich zu einem Moloch entwickelt habe und Deutschland wie auch Österreich bevormunde. »Das ist eine Situation«, so Vilimsky, »wo man den Mut haben müsste zu sagen: Nein, wir haben ein falsches Gleis verfolgt, wir müssen jetzt auf die Bremse steigen und müssen uns nicht scheuen, diesen Zug wieder neu auszurichten.« Gauland zeigte in seiner Rede Bewunderung für die Erfolge der Rechtsextremen in Österreich. Die FPÖ habe vorgemacht, wie man die sozialdemokratischen Arbeiter gewinnen könne. In Zukunft könne dies auch im Ruhrgebiet, in Berlin und nicht zuletzt in Brandenburg gelingen. »Wir in Brandenburg haben ja auch eine gewisse Erfahrung mit Stimmen einer sozialistischen Partei, die dann uns zugeflossen sind«, so Gauland weiter. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die sogenannte Willkommenskultur und spulte sein übliches Programm ab. Die Grenzen Deutschland müssten strenger kontrolliert und – der rechte Klassiker – abgelehnte Asylbewerber konsequent abgeschoben werden.
Einen Monat zuvor hatte er im Landtag ein Solidarpaket für die deutsche Bevölkerung gefordert und sich ausdrücklich auf Forderungen des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bezogen. Seit vielen Jahren vernachlässige die Politik die sozialen Probleme der Menschen, so Gauland. Nun kämen viele Flüchtlinge und da besinne man sich plötzlich auf diese Probleme. »Muss der sozial bedürftige Bürger erst das Mittelmeer überqueren, bevor er von der Politik wahrgenommen wird?« fragte er rhetorisch. In der darauf folgenden Debatte warfen die Sprecher der übrigen Fraktionen Gauland »Wahlkampfgetöse« vor. »Besonders absurd« sei es, so die Abgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne), wenn »ein zorniger alter Mann mit großbürgerlicher Attitüde mit seinem Jaguar quer durch die Republik hetzt als selbsternannter Anwalt des kleinen Mannes, dabei aber eigentlich einen unerbittlichen Rachefeldzug gegen seine alte Partei führt (Gauland war 40 Jahre lang CDU-Mitglied, Anm. d. Red.), die seine Genialität nie so richtig zu schätzen wusste«. Gerade in der Steuerpolitik vertrete Gaulands Partei die Interessen der Gutverdienenden. »Die AfD betreibt Klientelpolitik gegen die Interessen normal und gering verdienender Arbeitnehmer«, so Nonnemacher weiter, »schwingt sich aber vorgeblich zu deren Interessenvertretung auf, indem sie ja immer den Sündenbock in der Tasche hat«.
In der Nacht zum 26. April schleuderten Unbekannte einen Farbbeutel auf das Mehrfamilienhaus von Alexander Gauland in Potsdam und besprühten einen Zaun und Fassadenteile mit Parolen. Zur Tatzeit war Gauland dem Parteisprecher Christian Lüth zufolge nicht zu Hause. Erst am Morgen bemerkte seine Lebensgefährtin den Schaden. Einige Nachbarn waren aufgeschreckt worden, weil auch ein Sperrmüllhaufen in der Nähe des Gartenzauns angezündet worden war. Zwei Tage später nutzte der brandenburgische AfD-Abgeordnete Sven Schröder eine Debatte über das Bleiberecht für Opfer rechter Gewalttaten, um den Fraktionen von SPD, Grünen und Linken eine Mitschuld an dem Angriff zu geben. »Um es nochmal ganz deutlich zu sagen: Sie sind die geistigen Anstifter zu Gewalttaten gegen Büros und Häuser der AfD beziehungsweise Wohnhäuser von AfD-Mitgliedern!« Auch auf sein Bürgerbüro in Beelitz (Potsdam-Mittelmark) sei ein Anschlag verübt worden. Die Täter hätten die Schaufensterscheiben des Büros eingeworfen. Namentlich SPD und Linkspartei seien »moralisch mitverantwortlich dafür, was gegen die AfD verübt wird«, so Schröder. Die Abgeordnete Andrea Johlige (»Die Linke«) wies die Vorwürfe im Namen aller Fraktionen zurück. Sie würden Gewalt weder tolerieren noch dazu anstiften. Die Grünen scheiterten mit ihrem Antrag, einen Abschiebestopp für Opfer rechter Gewalttaten zu verhängen.
Die Kleinstadt Nauen hat etwa 17 000 Einwohner und liegt im Landkreis Havelland des Landes Brandenburg, etwas über 40 Kilometer vom Zentrum Berlins entfernt. In der Stadtverordnetenversammlung dominieren die SPD und die Ländliche Wählergemeinschaft Nauen/Bauern (LWN+B) mit jeweils acht Sitzen, die NPD hat nur einen Sitz, die AfD ist nicht vertreten. Im Brandenburger Landtag hat die SPD hat 30 Sitze und die AfD zehn Sitze, die NPD ist dort nicht vertreten.