Der Film »A Bigger Splash«

Ferien vor Lampedusa

Hedonismus in Zeiten der Flüchtlingskrise: Luca Guadagnino versucht mit »A Bigger Splash« ein zeitgenössisches Remake des Filmklassikers »Der Swimmingpool«.

Wenn Männeregos im Gerangel um eine Frau aufeinanderprallen, gestalten sich die Geschehnisse schnell würdelos. Der Verdacht drängt sich auf, dass es dabei nicht zwangsläufig um das vorgebliche Objekt des Begehrens geht, sondern zuerst um den lustvollen Triumph über den Rivalen. Das Größenselbst will gefüttert werden, der Triumph bewahrt das instabile Ich vor dem Zusammenbruch. 1969 traten Alain Delon als Jean-Paul und Maurice Ronet als Harry unter der Regie von Jacques Deray gegeneinander an, um die Frage zu klären, zu wem Romy Schneider (als Marianne) gehört. »Der Swimmingpool« erzählte die Dreiecksgeschichte in aufgeheizten Bildern, begleitet vom stoischen Gesichtsausdruck Delons, der das Interesse an der Liebsten offensichtlich bereits verloren hat, aber kurz vor Schluss dann doch noch mit der gerade volljährigen Tochter seines Widersachers schläft – um ein für allemal klarzustellen, wer der Chef im Ring ist. Am Ende lag eine der Figuren tot im Pool.
Der italienische Regisseur Luca Guadagnino hat ein Remake von Derays skandalträchtigem Klassiker gedreht. »A Bigger Splash« erzählt die Geschichte noch einmal und nimmt entscheidende Veränderungen vor. Ort der Handlung ist nicht Frankreich, sondern die italienische Vulkaninsel Pantelleria. Von dort kann man bis zur nur 60 Kilometer entfernten Küste Tunesiens sehen. Jean-Paul wird von Matthias Schoenaerts gespielt und heißt nun einfach Paul. Aus dem gescheiterten Schriftsteller mit kaltem Blick, den Delon verkörperte, ist ein introvertierter Filmemacher geworden.
Den Part, den Romy Schneider so brillant ausfüllte, hat jetzt die großartige Tilda Swinton übernommen. Ihre Marianne ist eine charismatische Rocksängerin, die nach der jüngsten Tournee ihre Stimme schonen muss und erst einmal Sprechverbot hat. Gemeinsam mit Paul urlaubt sie auf der kleinen Insel nahe Lampedusa, als plötzlich Ex-Freund Harry (Ralph Fiennes), Musikproduzent und Playboy, zusammen mit seiner erwachsenen Tochter Penelope (Dakota Johnson) auftaucht.
Hauptattraktion sind im Remake nicht, wie noch bei Deray, die makellos schönen Körper der Protagonisten, sondern die Landschaften. Die hellen, farbenprächtigen und fein komponierten Bilder zitieren die großen Meister des italienischen Kinos, insbesondere Michelangelo Antonioni. Der Konflikt zwischen Paul und Harry ist ödipal strukturiert, der Jüngere kämpft gegen eine Vaterfigur: Paul hat Marianne von seinem älteren Vorgänger gleichsam überantwortet bekommen, nun will Harry sie zurück. Der frühere Geliebte liegt ganz buchstäblich wie ein Schatten über der Beziehung. In einer der ersten Szenen wirft der Flieger, in dem Harry als ungebetener Gast mitsamt seiner Tochter nach Pantelleria kommt, einen Schatten auf den Wagen, mit dem Paul und Marianne zum Flughafen fahren. Es ist nicht die einzige Einstellung, mit der Guadagnino den Zuschauer dazu verleitet, die Bilder seines Films allegorisch zu deuten; zuerst noch mit sanfter Ironie, später dann ganz unmissverständlich.
Harry erscheint als Repräsentant einer vergangenen Ära, des Jahrzehnts, in dem der Originalfilm entstand. Harry verkörpert die Versprechen, die die Wunschmaschine Rock ’n’ Roll einst geben konnte, mit unerbittlicher Virilität und dominiert den Raum. Ein Arschloch, ohne Frage, aber in seiner ungebremsten Energie und Selbstverliebtheit eben auch faszinierend. In einer Szene, die, wenn es mit rechten Dingen zugeht, einen prominenten Platz in der Geschichte des italienischen Films einnehmen wird, tanzt Fiennes zu »Emotional Rescue« von den Rolling Stones. In der anrührenden Euphorie dieses Kindmannes klingt die große Hoffnung auf sexuelle Befreiung nach, und der Film walzt genüsslich aus, was dieses Versprechen historisch eben auch bedeutet hat: Sexismus im libertären Gewand, drogeninduzierte Hybris und vom hervorgekehrten Befreiungsimpetus nur notdürftig kaschierter Narzissmus.
»A Bigger Splash« spricht damit auch einen Kommentar zum Original, einem der zentralen filmischen Dokumente der sogenannten sexuellen Revolution. »Der Swimmingpool« war angetieben von den engen Grenzen des Zeigbaren und hatte erkennbaren Spaß an der Provokation. Dass Harry seine lolitahafte Tochter (damals gespielt von Jane Birkin) begehrt, wurde im Original nur angedeutet. Die erotische Verruchtheit von 1969 zeigt das Remake als unzweideutige Verkorkstheit. Heute darf man Fiennes und Johnson beim lasziven Engtanz in einer Karaoke-Bar zuschauen.
Je deutlicher »A Bigger Splash« sich auf die Meta-Ebene schwingt, um so mehr rückt der altbekannte Dreiecksplot in den Hintergrund. Es geht eben nicht um »dunkle Abgründe«, es geht um die Wiederaufführung von etwas Vergangenem, das mit einem Mal mehr und mehr farcenhafte Züge annimmt. Eine Inspiration für ihre Figur sei Harpo Marx gewesen, erzählt Tilda Swinton; und eben nicht Romy Schneider.
Ein Abschied also, aber kein sonderlich wehmütiger. Die Melancholie, wie sie sich etwa in Paolo Sorrentinos Oscar-prämiertem »Die große Schönheit« findet, interessiert Luca Guadagnino nicht, auch wenn seine Filme immer wieder mit denen Sorrentinos verglichen worden sind. Die gloriose Vergangenheit mag der Film nicht preisen. »Es ist eine sehr nachsichtige Idee zu denken, dass wir etwas Großes verloren hätten«, sagt Luca Guadagnino. »Ich glaube das nicht.«
Die Wirklichkeit macht sich immer wieder im dekadenten Milieu der Protagonisten bemerkbar. Berichte von Flüchtlingen, die direkt vor der Küste der Insel ertrinken, sind zu hören. In einer Szene treffen Paul und Penelope auf eine Gruppe Migranten; man starrt sich gegenseitig an, die Kamera zeigt beide Seiten, ohne dass eine Verbindung möglich scheint. In einer weiteren Szene fährt sie an Gestrandeten entlang, die in einem Käfig vor der örtlichen Polizeistation eingesperrt sind. Unter der traumschönen Oberfläche wird die Fragilität eines Kontinents sichtbar, der sich und seine Freiheiten feiert, während vor seinen Küsten Tausende Menschen sterben.
Es geht in »A Bigger Splash« um verschiedene Weisen des Ertrinkens: im Mittelmeer aus existentieller Not auf der einen Seite, besoffen im Swimmingpool nach einem mehrtägigen Hahnenkampf auf der anderen. Einmal als Tragödie, einmal als Farce. Er solle hier nicht hinpissen, ermahnt Paul seinen wieder einmal besoffenen Rivalen auf dem Weg zu einem Restaurant, das in die malerische Hügellandschaft eingelassen ist, das hier sei nämlich ein Friedhof. »Ganz Europa ist ein Grab«, antwortet Harry unbeeindruckt. Und lässt es weiter laufen.
A Bigger Splash (I/USA 2015). Regie: Luca Guadagnino, Darsteller: Tilda Swinton, Dakota Johnson, Ralph Fiennes, Matthias Schoenaerts. Kinostart: 12. Mai