Der Kampf für die Rechte von LGBT in Honduras

Eine Oase inmitten der Gewalt

Die Menschenrechtsorganisation Arcoíris mit Sitz in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa setzt sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) in Honduras ein. Prügel, Mord­drohungen und Vergewaltigungen sind in Honduras für LGBT Alltag. Auch einige Mitglieder von Arcoíris wurden bereits ermordet. Trotz der ständigen Bedrohung kämpft die Organisation weiter und ist auch im Ausland bekannt und aktiv.

Donny Reyes steht mit drei Kollegen vor der schweren, mit einem Stahlgitter geschützten Holztür, die den Eingang zum Büro bildet. Lässig lehnt er an der Hauswand und telefoniert mit César Lainez. Der Student und Sozialarbeiter gehört zum sechsköpfigen Team der Asociácion LGBT Arcoíris, hat den Schlüssel zum Büro und sich heute verspätet. Es ist ein paar Minuten nach zehn Uhr morgens, die Sonne klettert langsam am blauen Himmel über die Altstadt von Tegucigalpa. Die Hauptstadt von Honduras ist zwischen mehreren Bergen errichtet worden, die über Buslinien verbunden sind; deren Wagen kommen nicht immer pünktlich. Das ist auch heute der Fall und so blickt Reyes leicht genervt die von Geschäften und Handwerksbetrieben gesäumte Straße im belebten Stadtteil Concepción entlang.
Zu sehen ist das Tagesgesicht des Stadtviertels; gegen 18 Uhr lassen die Geschäftsleute die Rollläden runter. »Dann übernimmt die Nachtschicht. Die ersten Prostituierten tauchen in den Hauseingängen auf und die Imbisswagen machen sich auf den Gehsteigen breit«, beschreibt Reyes den Wandel. Viele der jungen Menschen, die tagsüber bei Arcoíris vorbeischauen, prostituieren sich abends rund um die dritte Avenida. Das liegt oft an mangelnden Perspektiven aufgrund der Diskriminierung von LGBT in Honduras. Diese hat sich in den vergangenen Jahren verschärft. Laut einer im April 2016 veröffentlichen Studie verschiedener Menschenrechtsorganisationen, darunter Arcoíris, wurden seit dem Putsch von 2009 in Honduras 215 Menschen ermordet.
Auch zahlreiche Mitstreiterinnen und Mitstreiter von Arcoíris wurden ermordet, etwa Paola Barraza, die zum Vorstand der Organisation gehörte. 26 Jahre alt wurde die schmale Transsexuelle, die ein Bein nachzog und deren Gesicht eine dunkle, punktförmige Narbe zierte. Sie war bereits im Sommer 2015 einmal überfallen worden, damals hatten die Täter ihr eine Waffe auf das Jochbein gehalten und abgedrückt. Die Kugel, Kaliber 22, wurde durch den Knochen abgelenkt und blieb im Hinterkopf stecken. »Paola überlebte, wurde nach zwei Wochen im Krankenhaus entlassen und war wieder täglich bei uns«, erzählt Donny Reyes. Am 24. Januar dieses Jahres wurde sie an ihrer Haustür erschossen.
Verstoßen, ignoriert, diskriminiert
Reyes, ein stämmiger Mann von Anfang 40, begrüßt César Lainez. Er ist eben eingetroffen und lässt den Schlüssel ins Schloss des Hauses Nummer 1046 gleiten. Die Tür gibt den Weg in einen geräumigen Saal frei, wo eine Stereoanlage steht und ein Fernseher an der Wand hängt. Darüber prangt in bunten Lettern der Schriftzug Arcoíris (Regenbogen). Hinter dem Aufenthalts- und Veranstaltungsbereich befinden sich die Büros der Menschenrechtsorganisation, die nur wenig Unterstützung aus dem Ausland erhält. »Wir finanzieren uns über Veranstaltungen, Discoabende, Shows, bei denen wir Essen und Getränke verkaufen, sowie Spenden. Ein Leben von der Hand in den Mund«, erklärt Reyes, der Honduras mehrfach verlassen musste, weil er bedroht, verfolgt und angegriffen wurde.
Übergriffe und Morddrohungen sind an der Tagesordnung, erst vor ein paar Wochen musste Kendry Hilton nach Drohungen in die USA flüchten. Hilton koordiniert die Transfrauen-Gruppe »Muñecas de Arcoíris« und sollte eigentlich an einer vom Münchner Ökumenischen Büro organisierten Rundreise durch Deutschland teilnehmen, um über die Situation von LGBT in Honduras zu berichten. Doch sie nutzte eine Anhörung in Washington vor der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), um sich in Sicherheit zu bringen. So ist Frenessys Sahory Reyes, seit 2007 bei Arcoíris, eingesprungen, um die Öffentlichkeit in Deutschland für das Thema zu sensibilisieren. »Wir brauchen internationale Aufmerksamkeit, Berichte, Initiativen aus dem Ausland, denn in Honduras werden Menschenrechtsverletzungen in aller Regel nicht geahndet«, so die 30jährige Transsexuelle im Anschluss an eine Veranstaltung Anfang Mai in Berlin.
Seit Ende Juni 2015 wurden sechs Mitglieder von Arcoíris ermordet, darunter vier Transfrauen, und das obwohl Arcoíris unter Polizeischutz steht. Neben der Eingangstür sitzt eine Polizistin, die während der Öffnungszeiten auf die Sicherheit achtet. Auch heute Morgen ist sie pünktlich zur Stelle. Seit das so ist und die Menschenrechtsorganisation das Büro gewechselt hat, habe es weder Einbrüche noch direkte Angriffe gegeben, berichtet Reyes. Arcoíris ist eine Art Oase für LGBT, denn auf den Straßen von Tegucigalpa sind offen lebende Homo- und Transsexuelle nicht sicher.
»Schwul sein und schwul auftreten ist selbst an den Universitäten noch ein Tabu«, klagt César Lainez und rollt genervt mit den Augen. Zwar ist Homosexualität in Honduras nicht strafbar, aber Diskriminierung ist ähnlich wie in El Salvador oder Guatemala weit verbreitet. Der 25jährige studiert Finanzverwaltung an der öffentlichen Universität von Tegucigalpa und kann bereits einen Abschluss in Informatik vorweisen. »Hier ist die Mehrheit der Bevölkerung superreligiös, die Hetero-Ehe ist quasi obligatorisch und jede andere Lebensform wird schlicht nicht akzeptiert«, erklärt er und lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Seit 2013 gehört er zu festen Mitarbeitern von Arcoíris, die LGBT im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten weiterhelfen. »Zuhören, beraten, anzeigen und nach Alternativen suchen. So in etwa lautet die Reihenfolge, wenn hier jemand neu ankommt«, sagt er lapidar.
Die Polizei ist oft Teil des Problems
Eltern, die ihre Kinder verstoßen, weil sie homosexuell sind, gibt es viele in Honduras. Lainez selbst hat Glück gehabt, denn seine Mutter versucht zwar, seiner Homosexualität mit christlichen Argumenten zu begegnen, hat ihm aber nie mit dem Rausschmiss gedroht. Das ist sonst üblich, und so führen viele jüngere Homo- und Transsexuelle ein Doppelleben. Mit dem Coming-out riskieren sie einiges. Donny Reyes kennt das alles im Detail, aber die Kämpfe mit seinem Macho-Vater hat er lange hinter sich. Die beiden haben ihren Frieden gemacht. Doch dafür war erst der Bruch mit der Familie nötig. Reyes ging in die USA, wo er als Erntehelfer schuftete und mit einer anderen Welt in Kontakt kam; zum Studium kam er zurück nach Tegucigalpa. Endgültig verändert wurde die Beziehung zu den Eltern jedoch durch die Willkür der Polizei. »2007 wurde ich von mehreren Polizeibeamten festgenommen, geschlagen, gefoltert und schließlich in eine Zelle mit 57 Insassen geworfen«, erzählt Reyes. Als Repräsentant von Arcoíris war er bei der Polizei nicht gerade beliebt. In der Zelle wurde er mehrfach vergewaltigt und er ist sich sicher, dass die Polizisten dies billigend in Kauf genommen haben.
Bis heute ist keiner der Täter für die Taten von damals verurteilt worden. Das ist ein Indiz für das nicht funktionierende Justizsystem in Honduras und die weit verbreitete Homophobie. 98 Prozent der Gewaltverbrechen an LGBT werden nicht geahndet. »Wir werden wie der letzte Dreck behandelt. Die Homophobie ist weit verbreitet und nur punktuell, so wie hier, sind wir leidlich sicher«, schildert Lainez die bittere Realität. Die Situation ist verheerend, das belegen die durch Arcoíris dokumentierten Übergriffe der Polizei gegen LGBT sowie die Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch.
Gegen Korruption und Straflosigkeit unter der Regierung von Präsident Juan Orlando Hernández hat es zwar im vergangenen und in diesem Jahr über Monate jeden Freitagabend Demonstrationen gegeben, aber geändert hat sich kaum etwas. »Unsere zentrale Forderung lautete, eine unabhängige UN-Kommission gegen die Straflosigkeit, ähnlich wie in Guatemala, einzurichten, aber die Regierung hat sich mit der OAS auf die Gründung einer Justizkommission ohne Befugnisse geeinigt«, kritisiert Reyes. Er vertritt Arcoíris derzeit nach außen, arbeitet in der »Koalition gegen die Straflosigkeit«, berät Menschenrechtler, die Morddrohungen erhalten haben, und hat auch Kendry Hilton geraten, in den USA zu bleiben. Die Möglichkeit einer Verschnaufpause von Verfolgung und Angst hatte er auch selbst, denn 2014 lebte er mit einem Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte mehrere Monate in der Hansestadt. »So etwas hilft, um Kraft zu schöpfen, sich in Sicherheit neu zu orientieren und Unterstützung zu suchen«, sagt er und schmunzelt über Lainez, der gerade mit einer Krone auf dem Kopf durch das Büro spaziert.
Pause von der bitteren Realität
César Lainez hat 2014 die Krone der Miss Arcoíris erhalten, derzeit laufen die Vorbereitungen für einen ähnlichen Wettbewerb in den Räumen von Arcoíris. Vorne im Saal proben Rubi Ferreira, Donna Visage und ein paar andere ihre Choreographie für eine Show, die in ein paar Tagen stattfinden soll. Derartige Shows und die dazugehörigen Partys sind nicht nur eine Pause von der harten Realität in den Straßen von Tegucigalpa, sondern auch die wichtigste Einnahmequelle von Arcoíris. Vom Eintritt wird oft die Miete für das Büro bezahlt, vom Verkauf von Essen und Getränken erhalten die Festangestellten eine Aufwandsentschädigung, falls es wieder einmal keine internationalen Spenden gibt. Doch vor allem sind die Veranstaltungen ein großer Spaß, wo sich die Community trifft und feiert. Dann stolzieren Drag Queens in bunten Roben und mit schrillen Perücken über den Catwalk und lassen sich bejubeln und bewerten. Prämiert wird meist nach der Stärke des Applauses des Publikums, in aller Regel finden derartige Veranstaltungen in sicheren Hotels statt.
Für die Show wird sich César Lainez in sein enges Tüllkleid hüllen, sich von Rubi Ferreira oder seinem Freund Moises kunstvoll schminken lassen und so in Alessa Jones verwandelt. Heute hat er vorne im Saal schon seinen Part einstudiert, morgen geht es weiter – bis das Programm für die Show in zwei Wochen steht. Auf die freuen sich alle bei Arcoíris, doch wie es langfristig weitergeht, weiß auch Reyes nicht. »Wir leben im Heute und hoffen, dass sich mit unserer Arbeit an den Bedingungen etwas ändert«, sagt er schulterzuckend und fährt den Computer herunter. Für ihn ist für heute Schluss. Er hat noch ein Treffen der »Koalition gegen die Straflosigkeit« und verabschiedet sich von Lainez, der vorne im Saal mit ein paar anderen die Hüften schwingt, winkt der Polizistin neben der Eingangstür zu und zieht das Metallgitter zu. Dann tritt er auf die Straße – raus in die Unsicherheit von Tegucigalpa.