Männlichkeit unter Linken

Wer braucht schon Machos?

Die Männer und der Feminismus, eine komplizierte Beziehung war das schon immer, doch solange nicht an Begriffen wie »Männlichkeit« oder »Weiblichkeit« gerüttelt wurde, war die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Die Gender-Theorie hat alles noch viel komplexer gemacht. Weder Körper noch Begehren, nicht einmal die Sprache konnten vor ihr gerettet werden. In der »Welt« konnte man vor rund zwei Wochen lesen, dass die Linke an diesem Punkt ein Problem habe: den schwächelnden »Gender-Mann«. In einem Text mit dem Titel »Warum haben linke Männer keine Eier?« fordert Autorin Hannah Lühmann einen »neuen politisch inkorrekten Humanitätsmaskulismus«. In ihrem Manifest, wie sie es nennt, schreibt sie: »Können wir bitte mehr linke Machos haben? Ich plädiere für den humanistischen Proll.« Vermutlich wünschte sich Lühmann einen linken Aufschrei, der allerdings ausblieb. Die »Jungle World« findet aber, dass ihre Streitschrift eine Antwort verdient, und hat echte linke Männer gefragt, was sie von Lühmanns Thesen halten.

Lieber Girls mit Guns
Die Linken müssten sexistischer sein, um populärer zu sein, ist eine etwa so irrsinnige, wenngleich richtige These wie die, sie müsste aus diesem Grund rassistischer sein. Logisch: Wäre die Linke weniger links, würde man sie auch mehr mögen. In der Linkspartei mag man so denken, für Linke verbietet sich das. Aber vielleicht geht es ja auch nicht um Sexismus, sondern um Sex? In den Neunzigern haben die Linken verstanden, dass Pop nicht der Feind emanzipatorischer Politik sein muss, sondern ihr Mittel sein kann. Doch zum Pop gehören nun mal auch Stars. Stars sind unter Linken seit Stalin jedoch wenig beliebt, sofern sie nicht weit weg in Caracas oder Athen beheimatet und bereits Ikonen sind, wenn sie medial hier ankommen. Stars müssen cool und sexy sein. Klug reicht nicht. Was nun ist sexy? Das ändert sich, wie andere Geschmacksfragen, schnell. Sind latent gewalttätige, egozentrische Machomänner heute noch sexy? Möchte wirklich irgendjemand (noch) mehr Andreas-Baader-Kerle in der Antifa? Wäre Bud Spencer der bessere Bernd Riexinger? Vor allem aber: Warum sollen immer Männer die Rampensau machen? Schon immer waren Girls mit Guns schärfer als Papis mit Pistolen. Überall gibt es längst Frauen, die nach vorne stürmen: Merkel, Petry, PKK. Nur in der Linken drücken sich die Damen. Wer von Baader redet, sollte von Enss­lin und Meinhof nicht schweigen. Jetzt nach wilden, linken Männern mit Eiern zu rufen, ist verlogen. Frauen mit Eiern sind gefragt. Come on, dies ist eure Zeit, kneifen gilt nicht – und das Welt-Feuilleton vollschreiben auch nicht.
Ivo Bozic
Faul, geil und kritikresistent
Über Hannah Lühmann hat Bob Dylan schon 20 Jahre vor deren Geburt gesagt, was zu sagen ist: »You’ve gone to the finest school all right, Miss Lonely, but you know you only used to get juiced in it.« Feminismus ist für Lühmann »humorlos«. Right. Man sollte Hunderte Millionen entrechtete Frauen auf diesem Planeten und den großen antifeministischen Backlash echt mal ein bisschen lockerer nehmen. Linke Männer haben der Hobby-Urologin Lühmann zufolge »keine Eier«. Schwärmerisch sehnt sie sich nach linken Eierträgern der Marke Andreas Baader, der Frauen zärtlich »Fotzen« rief. Soll mir recht sein. Von mir aus kann es ruhig mehr Lühmanns geben, denn ich bin ein heterosexueller linker Macker – faul, geil und weitgehend resistent gegen Kritik. Lühmann und Konsorten ersparen mir die mühsame Arbeit an mir selbst und das Hinterfragen meiner Privilegien im Patriachat. Beim Lesen kriege ich direkt Lust, den ganzen Weiberkram zum Nebenwiderspruch zu erklären und mit dem Flammenwerfer in der einen und dem Kommunistischen Manifest in der anderen Hand bei Hannchen einzureiten, auf dass sie in meine starken Arme sinke. Leider kann ich wegen meiner großen Hoden nicht reiten.
Bernhard Torsch
Holen Sie sich meine!
Wann die Eier wohl verschwunden sind? Vielleicht als ich mit gebrochenem Sprunggelenk die fünf Kilometer ins Krankenhaus zu Fuß gegangen bin – mit dem Skateboard als Krücke. Oder damals beim Snowboarden? Als ich mich abseits der Piste mit Handgelenksfraktur einen Berg hochquälte? Ist das männlich? Also im Sinne von Hannah »Ich-weiß-es-ja-auch-nicht« Lühmann? Ich zumindest weiß es auch nicht. Aber der Artikel von Ulf Poschardts Kämpferin wider die Logik ist nun mal in der Welt. Was ich weiß: Dass ich meine Eier jederzeit zum Unkostenpreis entsorgen lassen würde. Denn ich habe keinen Bock mehr, in einem Geschlecht zu stecken, in dem die Untenrum-Genossen im Jahr 2016 ernsthaft immer noch »20-Zentimeter-Witze« öffentlich erzählen, die mit der Pointe »Traumatherapie« enden. Da ist dieser Ekel, der mich überkommt, wenn ich sehe, wie besoffene, alte Männer jungen Frauen in den Ausschnitt sabbern. Diese Wut in der Faust, wenn mir Bekannte davon erzählen, was ihnen zugestoßen ist – auf Partys. Da der Autorin dieses konfusen Fiebertraums an Essay ja Eier fehlen, hier mein Vorschlag: Kommen Sie sich doch meine abholen und tackern Sie sie dann unter Ihren Posterboy Andreas Baader, also »nicht der richtige, der lebendige, der Mörder, der nicht, sondern Andreas Baader, wie er von dem schwulen Modefotografen Herbert Tobias fotografiert wurde«. Kleiner Hinweis noch: Betrunken zu schreiben liegt nicht jedem.
Thomas Ewald
Armer Baader
Hannah Lühmann will also gerne mehr linke Machos haben. Aber sollen wir jetzt wirklich alle anfangen, Frauen »Stuten« zu nennen, Overstolz rauchen und uns Lamborghinis kaufen, nur um ihr zu gefallen? Ich persönlich habe da jedenfalls herzlich wenig Bock drauf. Klar, auch ich finde smarte Skinheads mit Bomberjacke heißer als Hippies in Sandalen und Wickelrock. Aber es gibt ja immer noch einen Unterschied zwischen hart aussehen und hart sein. Außerdem kann man doch auch pumpen gehen und trotzdem den Abwasch machen. Vielleicht sind ja aber auch viele linke Männer so, wie sie sind, weil sie so sein wollen, und nicht, weil Frauen sie dazu gezwungen haben. Nicht immer rülpsen, furzen und jungen Dingern hinterherpfeifen zu müssen, kann auch ziemlich entspannend sein. Ständig hegemoniale Männlichkeit performen und einen auf geiler Macker machen ist nämlich ganz schön anstrengend. Kein Wunder, dass Andreas Baader zum Ausgleich ständig Banken ausrauben musste.
Jan Tölva
Linke Machos gibt es nicht
Die Welt ist ja bekannt dafür, dass in ihr oft junge Frauen darüber schreiben, dass sie große Probleme mit dem Denken oder dem Feminismus haben. Ihre Artikel halten sie dann für cool oder gar für »frech«, und ein paar 50jährige Männer, die sich gern Jungs nennen, da sie nicht in Würde altern können, halten das wiederum für Pop. Dann kommen ein paar Linke hinzu und wollen das diskutieren, weil sie sich über die jungen Frauen und die alten Jungs ärgern, oder weil sie sie heimlich bewundern. Und ich Depp mache dann mit, weil ich meine linke Wochenzeitung liebe. Dabei gibt es nichts zu diskutieren. Es gibt keine linken Machos, es gibt ja auch keine linken Interkoninentalraketen, es gibt auch keine linken Frösche. Linke Intellektuelle hat es mal gegeben. Die fehlen. Können »wir« bitte »mehr« linke Intellektuelle »haben«?
Jörg Sundermeier
Punkrock, not Putin!
In einem einzigen, ganz winzigen Detail bin ich mit dem antifeministischen Biest Hannah Lühmann d’accord. Ja, es gibt ihn tatsächlich, diesen Typus linker Mann, von ihr als langweilig, post-heroisch, vom Feminismus weichgeklopft und nur noch moralisch mit dem Zeigefinger wackelnd karikiert. Der Rest ist gelogen. Putin ist Punkrock? Die hat doch nicht alle Tassen im Schrank! Und im Grunde stimmt auch außer dem eingangs genannten Befund nichts an Lühmanns Darstellung dieses Typus. Nein, der ständig moralisierende Hardcore-Softie, der immer antirassistischer und antipatriarchaler ist als alle anderen – und diesen Umstand den anderen ständig zum Vorwurf macht –, dieser Typus ist nicht repräsentativ für linke Männer. Die wenigsten von uns sind so. Der Typus fällt nur deshalb so auf, weil er sein Linkssein so penetrant vor sich herträgt. Er nervt – nicht zuletzt linke Frauen. Nein, sie haben diesen Typus nicht geschaffen – er ist ihr größter interner Feind, schlimmer als der schlimmste Linksmacho vom Andreas-Baader-Typ. Die Hardcore-Softie-Tour ist nämlich im übelsten Falle nur die perfideste Masche, um im schlechtesten Sinne ganz männlich die eigenen Interessen durchzuboxen. Es geht diesem Typus stets nur ums Rechthaben und nicht darum, die Welt zum Besseren zu verändern. Er ist im Grund ein Machtmensch, ein Kontrollfreak, der am liebsten die anderen linken Männer, vor allem aber starke, selbstbewusste linke Feministinnen mittels ihrer eigenen Argumente unterkriegen will. Nein, Machtmenschen sind nicht Punkrock, sondern in der Regel Arschlöcher. Ganz gleich, ob sie mit nacktem Oberkörper auf Tigern reiten oder Spängchen im Haar tragen.
Carl Melchers