Berlin Beatet Bestes. Folge 368

Eine ganz neue Bewegung

Berlin Beatet Bestes. Folge 368. Ana Threat: Cold Lve (2016). Von Andreas Michalke

»Oh Mann-o, Rock ’n’ Roll! Das pack ich doch sowieso nicht!«, denken die Schlauen und geben gleich auf. Sie spüren: Rock ’n’ Roll können die Dummen einfach besser. Die sehen auch besser aus, können besser tanzen und sind besser im Bett. Da kann Greil Marcus so viel philosophieren wie er will, aber Rock ’n’ Roll kannst du nun mal nicht an der Universität lernen. Obwohl, irgendwann wird ja alles akademisiert. Dann wird es ­sicher auch Studiengänge im Rocken, Rappen und Tätowieren geben. Comics wurden von den Universitäten bereits kaputtgemacht. Seit es Comics als Studienfach gibt, sind sie nicht mehr komisch.
Ana Threat kann beides, schlau und cool sein. Im Hauptberuf forscht die Wienerin an der Universität zum Thema Gender und nach Feierabend hängt sie sich die elektrische Gitarre um. Mit ihrem Ende November veröffentlichten ersten Album »Cold Lve« ist Ana Threat nichts Geringeres als die Wiederbelebung des Genres Electro-Rock ’n’ Roll gelungen. Durch die feige Abwesenheit der Schlauen im Rock ’n’ Roll ist nämlich der Fortschritt unterbrochen. Ganz auf sich allein gestellt, treten die doofen Rocker auf der Stelle.
Ende der siebziger Jahre verbanden Bands wie Alan Vegas düstere Suicide und die fröhlichen Silicon Teens, die One-Man-Band von Daniel Miller, dem Gründer von Mute Records, Rock ’n’ Roll und Rockabilly mit elektronischen Beats. An diese verlorene Tradition knüpft die One-Woman-Band Ana Threat an. Ihre Techno-Version von »Penetration« zitiert im Intro sachkundig augenzwinkernd »Wipe Out« von den Surfaris und verwandelt den Surf-Hit der Pyramids gleichzeitig scheinbar mühelos in die beste, weil progressivste Surf-Nummer, die ich seit 20 Jahren gehört habe! Und ich besitze Hunderte von ­modernen Surf-Platten.
Shirley Ellis’ »The Clapping Song« wird, reduziert auf die Kinderreime des Originals und mit gedoppelter Stimme, zu einer Art Girl-Group-Rock ’n’ Roll-Rap. Die geil verzerrte und verhallte Gitarre in »Johnny Johnny« zitiert den Instrumentalhit »Outer Limits« der Marketts von 1963 und mündet in Lärm im Stile von Sonic Youth. Ana Threats selbstgeschriebenes »House Of Wired« ist ein richtiger Minimal-Rock ’n’ Roll-Hit. Und diese Genre gibt es noch gar nicht! Ich sehe eine ganze Bewegung, so progressiv ist diese Scheibe. Maximum Rock ’n’ Roll kann ein­packen. Hier kommt Minimal Rock ’n’ Roll!