Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos ist ein umstrittener Friedensnobelpreisträger

Den Preis nicht wert

Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat für die erfolgreichen Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts mit der Guerilla Farc den Friedensnobelpreis erhalten. Doch in Kolumbien ist er umstritten.

Demütig und dankbar trat Juan Manuel Santos am Samstag in Oslo auf, als er den Friedensnobelpreis stellvertretend für die 48 Millionen Kolumbianerinnen und Kolumbianer in Empfang nahm. »Kolumbien hat das Unmögliche möglich gemacht und den Krieg beendet«, sagte Santos. Dem 65jährigen Präsidenten wurde die prominente Auszeichnung bei einem feierlichen Akt für seine erfolgreichen Bemühungen überreicht, den blutigsten und längsten Konflikt der Nachkriegszeit auf dem lateinamerikanischen Kontinents zu beenden. Das nach fast vier Jahren Verhandlung mit der Guerilla Farc zustande gekommene Abkommen wurde im zweiten Anlauf Ende November von beiden Kammern des kolumbianischen Parlaments angenommen und soll in den nächsten Monaten realisiert werden.
Vor allem für die Opfer, die Santos in den Mittelpunkt seiner Rede stellte, ist das Abkommen mit vielen Hoffnungen verbunden. Viele der schätzungsweise acht Millionen in dem seit 1964 währenden Konflikt Geschädigten hoffen zu erfahren, was mit den 90 000 Verschwundenen geschah beziehungsweise von wem und warum ihre Angehörigen ermordet wurden. Nicht nur die Kämpferinnen und Kämpfer der Farc müssen sich vor den Gerichten der Übergangsjustiz verantworten, sondern auch Polizei und Armee sowie die immer noch in vielen Regionen Kolumbiens präsenten paramilitärischen Gruppen. Für diese Übergangsjustiz, die binnen zehn Jahren die Verbrechen der am bewaffneten Konflikt Beteiligten aufarbeiten soll, dokumentiert unter anderem die Frauenrechtsorganisation »Sisma Mujer« Fälle von sexueller Gewalt, die bisher von der kolumbianischen Justiz kaum aufgegriffen wurden. Eine Wahrheitskommission soll zudem Abläufe, Hintergründe und Verantwortliche der unzähligen Menschenrechtsverbrechen benennen. »Für die Opfer ist das ein großer Schritt«, sagt Linda Cabrera, die stellvertretende Direktorin und Koordinatorin von »Sisma Mujer«, die in den Verhandlungen in Havanna in der Gender-Kommission mitarbeitete. »Es wird darauf ankommen, ob das Abkommen auch umgesetzt wird. Ich persönlich habe Juan Manuel Santos aber auf der Seite der Opfer gesehen, er hat sich für deren Belange eingesetzt«, lobt sie. Deshalb habe Santos den Nobelpreis auch verdient.
Das sehen in Kolumbien längst nicht alle so. 300 000 Stimmen wurden im Referendum vom 2. Oktober mit einem »Ja zum Frieden, aber einem Nein zum Präsidenten« gezählt und für ungültig erklärt. Der Friedensnobelpreisträger ist im eigenen Land unpopulär. Weniger, weil er sich zäh und unerschütterlich zu den Verhandlungen in Havanna bekannte, sondern weil seine Regierungsbilanz ansonsten ein Desaster ist. Die Wirtschaft befindet sich gerade jetzt, da sie neue Arbeitsplätze bieten sollte, in der Krise. Ein Grund dafür sind die niedrigen Energie- und Rohstoffpreise, ein anderer ist die Fehlentscheidung, sich auf den Bergbau als »Lokomotive der Wirtschaft« zu verlassen. Auch der Kaffeesektor hat Probleme, weil auf dem Land mittlerweile die Arbeitskräfte knapp sind, viele wurden in den mehr als 50 Jahren Krieg vertrieben. Das 2011 von Santos erlassene Gesetz für die Landrückgabe hat sich als wirkungslos erwiesen. »Es sind knapp 200 000 Hektar Land an Bauern zurückgegeben worden. Präsident Santos hatte von mindestens zwei Millionen Hektar gesprochen, Experten gehen von bis zu zehn Millionen Hektar Land aus, die zwangsenteignet wurden und an Kleinbauern zurückgegeben werden müssten«, sagt Alirio Uribe Muñoz, ein Kongressabgeordneter des Polo Democrático Alternativo. Die Landfrage, ­Ursache des Bürgerkriegs, stellt weiterhin eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunft des Landes dar und Präsident Santos hat wenig Engagement gezeigt, sie zu lösen.
Das werfen ihm Kritiker genauso vor wie seine Verantwortung als Verteidigungsminister für eines der größten Verbrechen der kolumbianischen Armee, die systematische Deklaration von sogenannten falsos positivos. »So werden die Zivilisten genannt, die von der Armee entführt, ermordet und dann als vermeintliche Guerilleros der Presse präsentiert wurden. Oft einfache Bauern, oft aber auch Jugendliche aus Armenvierteln, deren Verschwinden nicht unbedingt sofort auffällt«, sagt Bayron Góngora Arango von der in Medellín ansässigen Corporación Jurídica Libertad. Die Kanzlei hat sich auf Menschenrechtsverletzungen spezialisiert und steht den Opfern und Angehörigen zur Seite. Góngora, der schon während des Studiums mit der Menschenrechtsarbeit begann, hat derzeit 80 Fälle von falsos positivos auf seinem Schreibtisch. Im juristischen Fachjargon werden sie als extralegale Hinrichtungen bezeichnet. Landesweit gibt es mehr als 3 000 davon, »doch die Dunkelziffer ist hoch«, sagt der Anwalt, der betont, dass Juan Manuel Santos für diese Fälle die politische Verantwortung trägt. Prämien wurden in der ­Armee für jeden getöteten Guerillero gezahlt, intern sprach man von legalizaciónes, Legalisierungen. In Armeedokumenten sei nachzulesen, was es die Soldaten kostete, wenn sie einen Toten mit einem Revolver, einer Granate oder einem Gewehr ausstatteten und ihm eine Uniformjacke überstreiften. Als kit de legalización, Legalisierungspaket, seien die dazu nötigen Utensilien bezeichnet worden und auch das »Rekrutieren zukünftiger Toter« werde detailliert in einer Aussage eines Leutnants der XIV. Brigade beschrieben, so Bayron Góngora.
Er kann und will den Präsidenten daher nicht als Friedensboten sehen. So sieht es auch der Journalist Javier Osuna, der immer wieder zu den Verbindungen zwischen paramilitärischen Gruppen, Armee und Politik recherchiert hat und sich in Kolumbien nur noch mit Bodyguards bewegen kann. »Ein Präsident, der diese Seilschaften nach wie vor duldet und vielleicht auch toleriert, hat sicherlich keinen Friedensnobelpreis verdient«, sagt der 29jährige. Immerhin aber hat Santos den Preis stellvertretend für die Kolumbianerinnen und Kolumbianer angenommen und nicht für sich.