Fitness oder Barbarei? Eine Debatte über den emanzipatorischen Wert von Fitnessstudios

Lasst die Hanteln fallen!

Fitnessstudios sind eine Gefahr für die Zivilisation.

Wie so oft fing alles ganz harmlos an. Niedergedrückt von üppigen Mahlzeiten und ständig auf der Suche nach neuen Zerstreuungen fand die europäische Oberschicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gefallen an den ersten Fitnessgeräten, den vornehmlich in Kurorten aufgestellten Zanderapparaten. Bereits diese Erfindungen Gustav Zanders sahen verdächtig nach Folterinstrumenten aus, doch waren die Menschen damals noch vernünftig genug, so etwas nur zu benutzen, wenn sie krank waren oder die Verdauung anregen, sich aber ein Klistier ersparen wollten.

Auch vergleichsweise unschuldige Fitnessjunkies leisten ihren Beitrag dazu, die Welt zu einem schlechteren Ort zu machen.

Wie die Rohrpost, der Antimasturbationsapparat und andere damals nützlich erscheinende Erfindungen fielen auch Zanders Maschinen der verdienten Vergessenheit anheim. Leider blieb es nicht dabei. Was einst der verzeihliche Irrweg einiger Exzentriker gewesen war, erstand neu und entwickelte sich zu einem Massenwahn, der, gerade weil er auf den ersten Blick wie eine harmlose Marotte erscheinen mag, eine umso größere Gefahr für die gedeihliche Entwicklung der Zivilisation darstellt.

Kinder und Jugendliche verspüren einen Bewegungsdrang, den sie ausleben müssen. Erwachsene, die dieser Drang immer noch plagt, müssen sich nicht schämen oder grämen. Es gibt ja viele körperliche Betätigungen, denen man sich ohne Schaden für seine Mitmenschen widmen und ein schönes Ziel verleihen kann. Ruderer können sich auf die Anlegestelle eines Wirtshauses, Bergsteiger auf eine Aussicht, Gärtner auf eine Tomate freuen.

Im Fitnessstudio aber ist die Qual Selbstzweck. Verglichen mit dem unterkühlten Ambiente der mit chromglänzenden Maschinen zur Peinigung des Körpers reichlich bestückten Hallen wirkt eine mittelalterliche Folterkammer geradezu gemütlich. »No pain, no gain«, predigen die Fitnesseiferer. So dachten auch die Inquisitoren. Doch sie erledigten nur einen Job, der mit der Verbrennung des Ketzers ein unschönes, aber relativ schnelles Ende fand. Der Fitnessjunkie hingegen ist sein eigener Inquisitor, der gnadenlos den inneren Ketzer bekämpft, welcher da seinem Unterbewusstsein zuflüstert: »Hey, daheim warten das gemütlich Sofa, das Bier und die coole neue Netflix-Serie. Vielleicht vorher nochmal kurz in die Pizzeria?« Verstummen wird sie nie, diese Stimme der Vernunft, daher muss sie mit immer schlimmeren Qualen bekämpft werden – ein ganzes Leben lang. Masochismus aber lässt sich stilvoller ausleben. Einer Dame im Pelz die Stiefel zu küssen, trainiert die Rücken- und Kniemuskulatur auf kultiviertere Weise.

Im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts soll der Lohnabhängige sein eigener Zuchtmeister sein. Das Fitnessstudio ist der geeignete Ort der Selbstoptimierung für die oft als Fortschritt missverstandene Akkumulation ohne Sinn und Verstand. »Was soll’s?« werden Sie als toleranter Mensch, der auch die absonderlichsten Schrullen seiner Mitbürger mit einem Achselzucken zu übergehen gewohnt ist, nun vielleicht einwenden. »Ist doch ein freies Land hier.« Ja, noch. Fitnessstudios üben aber eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Feinde der Freiheit aus, auf religiöse und nationalistische Fanatiker, deren Hang zum faschistischen Körperkult offenkundig ist und die sich hier auch praktisch auf kommende Untaten vorbereiten. Im Dienste der Gewaltprävention müsste daher zumindest Männern der Zutritt zum Fitnessstudio, dieser Brutstätte des Terrorismus, untersagt werden.

Doch auch vergleichsweise unschuldige Fitnessjunkies leisten ihren Beitrag dazu, die Welt zu einem schlechteren Ort zu machen. Unbeabsichtigt, das sei zugegeben, doch sie sind die Stachanow-Arbeiter unserer Zeit. Jeder Tropfen Schweiß, der in einem Fitnessstudio vergossen wird, ist Wasser auf die Mühlen des Stasi-Kapitalismus, der, gerade weil der Einzelne immer überflüssiger wird, ihn mit umso größerem Druck traktieren muss. Noch wird vom Chef zur Fitness nur »ermutigt«, aber schon gilt die Arbeit im Sitzen als ungesund. Wenn Sie dereinst mit Ihrem Überwachungsarmband auf dem Laufband arbeiten, bis Sie ins Fitnessstudio joggen, damit Ihre Krankenversicherung nicht verfällt, und daheim noch die nötigen Liegestütze machen, ohne die sich Ihr Kühlschrank nicht öffnet, sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.