Aus dem Alltag eines queeren Vaters

Aus dem Knubbel geboren

Elternzeit ist schön und anstrengend – vor allem für die Eltern. Auch die queere Vaterschaft ist da nicht besser, sofern man ein Mann ist.

Queere Vaterschaft kann zweierlei bedeuten. Einmal ganz einfach: Queere Personen sind Väter. Oder: Das Vatersein wird irgendwie gequeert, also aufgebrochen, umsortiert, in Bewegung gebracht, im besten Fall wendig und plüschig dem Patriarchat entzogen. Na ja, oder vielleicht nicht gleich entzogen, sondern gewissermaßen dialektisch … oh boy. Wie bei queeren Texten üblich, versteht schon wieder keine Sau, was das eigentlich heißen soll.

Vielleicht bin ich auch nur müde, weil ich eine Stunde im Wartezimmer eines nicht vertrauten Kinderarztes verbringen musste. Das Kind hat nämlich einen mysteriösen Knubbel, der, so das Kind, »am Rucksack wehtut«. Mysteriöse Knubbel machen dem Gatten Angst, der Abends nach der Arbeit er­googelt, dass es wahrscheinlich nichts ist, ein Lipom eben, was klingt wie »tödlicher Hautkrebs im Endstadium«, aber eigentlich nur heißt: Riesenpickel. »Also kannst du nicht mal? Du hast doch Elternzeit.« Na klar, kann ich.

Ich liebe mein Kind. Das Vatersein liebe ich nicht und kann es nicht empfehlen. Ein zweites Gutes freilich hat es ­neben dem bezaubernden Kind noch: Vater zu sein und darüber nachzudenken, ist so strange, da wird man sogar für die Zeitung gefragt. Ein Vater, der alles macht, was sonst nur Mutti können muss, bloß auf so rührend unbeholfene Art! Den holen wir ins Blatt.

Und, na klar, ist die Kinderärztin, zu der wir stets gehen, gerade jetzt im Urlaub. Die Kinderärztin, die schon weiß, dass das Kind, wenn es Knubbel hat, immer auf den Tisch klettern muss. Weil es eben jetzt eine Achterbahn ist. Und dass kein Kind der Welt, aber vor allem nicht dieses, eine Stunde lang Achterbahn sein kann in seinem Kopf und auf dem Tisch, während alle anderen Eltern von normalen Kindern, Zombie­kindern, denke ich, nicht lebendiger als der Hautknubbel meines Achterbahnkindes, während die also schon wieder so gucken. Die normale Kinderärztin weiß, dass es schnell gehen muss, wenn der Wartezimmerfrieden gewahrt bleiben soll.

In der Aushilfspraxis muss ich mir eine Stunde lang Rechenaufgaben für die Achterbahn ausdenken und zugleich so freundlich und vermittelnd zu allen anderen sein, dass klar ist: Ich bin kein Rabenvater, der dem Kind eine anständige Mutter vorenthalten hat, sondern wir können einfach nichts dafür, sind aber möglicherweise lustig und kreativ. Das Kind hat Knubbel, ich habe internalisierten Homohass.
Dann muss das Kind mit dem Knubbel zum Ultraschall, nur zur Vorsicht. Der Aushilfsarzt will erklären, was das ist, Ultraschall. Das Kind kennt Ultraschall aber schon, von der Schwangerschaft anderer Väter und aus dem Fernsehen. Es ist ja schließlich nicht blöd. Der Aushilfsarzt versteht aber von einem Kind, das überwiegend in logopädisch sorgenvoll begleiteter ­Eigensprache kommuniziert, nur das, was er kennt: Schwangerschaft. »Na, mal sehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird«, sagt der Aushilfsarzt launig und ruft maschinell in den Knubbel hinein, um zu sehen, wie es herausschallt. Das Kind runzelt die Stirn. Hier wissen sie wirklich nicht viel. Das entscheidet man doch später ­selber!
Die Vorstellung, dass aus dem Knubbel plötzlich ein autopoietisches Baby springt und ich mithin zum jetzt aber vollends queeren Großvater befördert werde, bringt mich zum Lachen, was wiederum den Arzt irritiert. Er spricht mich konsequent mit dem Nachnamen meines Kindes an, vielleicht aus Rache, und so bin ich kraft seiner medizinischen Autorität gewissermaßen als Kind meines Kindes gleich mein eigener ­Enkel. Auch ein schönes Ultra­schall­ergeb­nis. Es ist dann wirklich nur ein Lipom.

Jetzt ist es gerade mal elf Uhr. Für den Kinderladen aber zu spät, immerhin war der Aushilfsarzt weit weg und bis wir wieder in dem anderen Stadtteil sind, dauert es. Das Kind pendelt in einen anderen Stadtteil zum Kinder­laden, weil es ja erst zu uns in die Pflege hineingeboren wurde, als es schon im besten Kinderladenalter war. Und wer zu spät kommt, weiß das Sprichwort, der kriegt Lipome, Achterbahn und Logopädie.

Ein ganzer Tag mit Kind ist schön und anstrengend, das ist immer so, dafür muss man nicht queer oder Vater sein oder sonstwas. Elternzeit, dafür muss man allerdings in der Regel Mutti sein, und das zu wissen, macht einsam. Es fehlen andere Erwachsene, und es fehlen vor allem andere Erwachsene, die keine Kinder haben. Für viele Eltern kommt dann ein ganzes Dorf an Helfenden ins Spiel, wie die afrikanische Kalenderdoofheit sagt. Vor allem queere Eltern organisieren sich das notgedrungen. Sie neigen ohnehin zur Wahlfamilie, weil, fies gesagt, die ei­genen Eltern bis zur Vergreisung mit etwa Mitte 40 gerade noch so kapiert haben, dass das Kind nicht das Geschlecht haben will, das auf der Geburtsurkunde steht, ja, sie war immer schon so schwierig, bloß nicht wie die anderen, immer eine Extrawurst. Dass aber dieses Kind jetzt durchaus selbst wieder ein Kind haben will, das geht über ihren Verstand hinaus. Wo doch, das wissen die Eltern durch die queeren Kinder aus leidvoller Erfahrung, das Kinderhaben alles nur noch schlimmer macht, sie können es wahrhaftig nicht empfehlen. Und nach dem Aufwachsen mit so negativ eingestellten Leuten, die von ein bisschen Geschlechterdings und kreativer Umcodierung von Leibesinseln schon gleich so überfordert sind, da denken die Queeren: Na komm, lieber handverlesene Mitfamilie, die die nötige Belastbarkeit für den Job auch mitbringt.

Ich bin aber durch und durch männlich sozialisiert und erst im besten Kinderladenalter zum Queersein gekommen. Schwieriges und Schönes hat man mit sich selbst auszumachen, das steckt mir einfach so in den Knochen, das hat mir Väterchen Ka­pitalismus so mitgegeben und da hängt es jetzt fest, es tut mir leid, da ändere ich mich auch nicht mehr. Es war schwer genug, in der Pubertät das Eigenbrödlertum zu kultivieren, mit der sperrigen Musik und den vielen dicken Büchern, ich war immer schon so schwierig, da bin ich für Graswurzelgeflechte und die direkte Aktion verloren. Ich sehe ja ein, dass man das Elternsein nur sehr schwer im Modus des situationistischen Umherschweifens bewältigt.

Aber wenn Verqueerung des gesellschaftlichen Ortes »Vaterschaft«, dann wünsche ich mir eher eine Politik, die mir die emotionale Arbeit abnimmt, meine Interessen mit denen aller anderen zu vermitteln, indem sie zum Beispiel Kindergärten schafft, in denen auch Achterbahnen stehen und Eigensprachen gesprochen werden dürfen und nicht alle gleich ausflippen, bloß weil mal jemand aus einem Knubbel ge­boren wird.

Als Vater eines Kindes, das gerne in Zungen redet, möglicherweise aus Gliedmaßen gebiert wie Zeus den Dionysos und sich überhaupt manchmal gebärdet wie eine ganze antike Halbwelt mit Totschlag, kannibalischen und anderen wirren Gelüsten, wird es oft noch viel einsamer um einen. Das verstehen dann wirklich nur noch Leute, die auch solche in den Schoß gefallenen Pflegekinder haben.

Pflegekinder, die vielleicht saisonal in Unterwelten abtauchen, sich in Schweine verwandeln oder beim kleinsten Missgeschick dreifach mächtig brüllen. Wir grüßen uns mit der Geste der Widerständler aus den »Tributen von Panem« quer über die Straße. Näher kommen wir einander nicht, dafür ist zu viel zu tun.

Und abends, wenn das Kind im Bett liegt, ist es fast wie in dem Lied von Jens Friebe. Ich gucke Fußball und ich trinke Bier. Alleine. Call me queer.

Nein, ich liebe mein Kind. Das Vatersein liebe ich nicht und kann es nicht empfehlen.

Ein zweites Gutes freilich hat es ­neben dem bezaubernden Kind noch: Vater zu sein und darüber nachzudenken, ist so strange, da wird man sogar für die Zeitung gefragt. Ein Vater, der alles macht, was sonst nur Mutti können muss, bloß auf so rührend unbeholfene Art! Den holen wir ins Blatt. Ist das ­eigentlich noch queering des gesellschaftlichen Ortes der Vaterschaft?