Klima und Eigentum

Radikaler Realismus

Seite 2 – Pragmatismus und Realpolitik

Das Gros der linken ­Debatte – von Intervention kann man nur ausnahmsweise reden – hält sich mit der zweiten Option (Staatsinterventionen) auf und macht punktuell Anleihen bei der dritten (Konsumverhalten). ­Dabei ist entscheidend, welche Rolle man dem Staat zuschreibt: etwa die des neutralen Sachwalters, der mit dem richtigen Druck zu guten Entscheidungen genötigt werden kann. Dies entspricht der Auffassung des griechischen Soziologen Nicos Poulantzas (1936–1979), der den Staat »als materielle Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse« definierte und damit als veränderbar ansah.

Oder man folgt eher der klassischen marxistischen Staatskritik, die den Staat nicht als neutral ansieht, sondern als Verwalter des kapitalistischen Gesamtinteresses. Demnach kann es vorkommen, dass der Staat gegen die Interessen einer Kapitalfraktion entscheidet, wenn das Gesamtinteresse zu leiden droht, und daher beispielsweise der Einführung eines Mindestlohns zustimmt. Meist werden dann wie bei der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 die Parteien an die Regierung gelassen, die einige Impulse gesellschaft­lichen Protests aufgreifen, sofern sich dadurch das Wirtschaftswachstum nicht verlangsamt. Diese Parteien setzen in der Regel eine Politik durch, die ­unter ihren Vorgängern nicht oder nur schwer durchsetzbar gewesen wäre. Das entspricht in weitesten Sinne dem, was der Politologe Johannes Agnoli in den sechziger Jahren als »Transformation der Demokratie« bezeichnete.

Auf der Handlungsebene sind drei große Bereiche zu unterscheiden. In ­jedem davon sind schon Vorarbeiten geleistet und im Duktus des Pragmatismus und der Realpolitik wissenschaftlich und politisch machbare Alternativen erarbeitet worden. Der erste Bereich ist Verkehr, Mobilität und Energie. Hier könnte eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf Autobahnen und 30 km/h innerorts viel Hektik aus dem Alltag nehmen und gleich­zeitig den Schadstoffausstoß in ­relevantem Ausmaß senken. Ein anderer Strang wäre die absolute Priori­sierung des schienengebundenen und fahrscheinlosen öffentlichen Personennahverkehrs, und zwar auch und besonders im ländlichen Raum. Mit Letzterem haben Linke zwar meist nicht viel am Hut, aber diese Kröte wäre zu schlucken – dem Klima zuliebe. Und wenn man dann noch die längst fällige Flugbenzinbesteuerung hin­bekäme und Flughäfen in Deutschland wie Braunkohletagebau sehen würde, wäre nicht nur in der Phantasie der Klimaschützer viel erreicht. Energie müsste dezentral erzeugt werden, ohne für Agrotreibstoffe hier und im globalen Süden Land in Beschlag zu nehmen.