Laborbericht

Bärtierchens Mondfahrt

Kolumne Von

Gäbe es Superheldenfilme, die im Mikrokosmos spielen, wäre den Bärtierchen (wissenschaftlicher Name: Tardigrada) eine Hauptrolle sicher: ­Hinter der telegenen Knuffigkeit der gerade mal einen halben Millimeter großen, vermutlich mit den Insekten verwandten Mehrzeller verbirgt sich eine Widerstandsfähigkeit gegen so ziemlich alles, was niedrigeren Lebensformen wie etwa Menschen den Garaus machen würde. Unter widrigen Bedingungen schalten die Bärtierchen einfach ihren Stoffwechsel ab und schrumpeln zu »Tönnchen« genannten Dauerformen zusammen; so überstehen sie Sauerstoffmangel ebenso wie Austrocknung und extreme Minusgrade. Selbst einen zehntägigen Ausflug ins All, bei dem sie dem luftleeren Raum und der kosmischen Strahlung ausgesetzt waren, überdauerten die zähen Winzlinge. Das Experiment der ESA im Jahr 2008 trug übrigens den schönen Namen »Tardigrades in Space«, kurz »TARDIS« – offenbar hat die Science-Fiction-Serie »Doctor Who« auch bei der europäischen Weltraumagentur Fans.

Nach Science-Fiction klangen auch Meldungen im vergangenen Monat, denen zufolge inzwischen sogar der Mond von Bärtierchen bevölkert sein könnte. Richtig daran ist, dass sich an Bord der israelischen Sonde »Bere­sheet«, die im April eine Bruchlandung auf dem Erdtrabanten machte, Proben mit den kleinen Überlebenskünstlern befanden; sie waren Teil eines Pakets der Non-profit-Organisation Arch Mission Foundation, das außerdem menschliche und pflanzliche Zellen ­sowie Einzeller enthielt.

Im Gegensatz zu anderen Projekten an Bord des Mondlanders ging es bei dieser speziellen Nutzlast nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse. Ziel sei vielmehr »die Bewahrung von DNA-Proben und der Saat des Lebens an einem entfernten Ort« gewesen, so der Gründer der Organisation, Nova Spivack. Zu welchem Zweck, verriet er nicht, und überhaupt klingt die Sache nicht allzu durchdacht – zumal sich das biologische Material unter den unwirtlichen Bedingungen dort oben nicht besonders lange gehalten hätte, selbst wenn es sanft gelandet wäre.

Bis auf die Bärtierchen natürlich. Die allerdings sind teils in Epoxidharz, teils auf Klebestreifen fixiert; um aus ihrem Tönnchenstadium wiederbelebt zu werden, bräuchten sie zudem Wasser. Falls also nicht zufällig irgendwelche irdischen oder außerirdischen ­Besucher vorbeikommen und für eine Auferstehung sorgen, wird es wohl nichts mit der Besiedlung des Monds.

Es sei denn, die Achtbeiner haben noch ein paar Superkräfte vor uns geheimgehalten. Vielleicht war der Absturz von »Beresheet« ja gar kein Unfall, sondern die Rache der Tardigrada dafür, ohne Rückflugticket auf den Mond geschossen zu werden? Haben sie eventuell gar das Landemodul der indischen Sonde »Chandrayaan-2« gekapert, das Anfang September ebenfalls beim Anflug auf den Mond verlorenging? Sicher ist jedenfalls: Man sollte Bärtierchen nie unterschätzen.