Independent-Wirte in großer Sorge
Die Corona-Fallzahlen explodieren. Kaum ist ein neuer Maßnahmenkatalog erlassen, scheint er schon nicht mehr ausreichend. Ganze Städte und Regionen werden zu Gefahrengebieten erklärt. Nun blickt halb Europa nach Berlin. Wird in der heimlichen Hauptstadt der EU über einen zweiten lockdown nachgedacht, wie sieht die digitale Boheme die Lage?
»Das Myfest bleibt«, sagt André Erdnah, Mitgründer der örtlichen Initative »Ditt is Berlin, wa e. V.«. Mit Sorge beobachtet der Gastronom (»Fräulein Löffel«, »Fräulein Löffel 2«, »Hardrock Café Berlin«), wie sich die Lokalpolitik anschickt, Institutionen der Berliner Event-Kultur systematisch zu demontieren. »Nun gut, Pflegerinnen, geschenkt. Aber andere Fragen dürfen darüber nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Kann der Flohmarkt am Mauermarkt noch stattfinden? Was ist mit dem Lollapalooza nächstes Jahr?« Aus Sorge vergräbt Erdnah sein Gesicht in der Fellummantelung der Racing-Carbonsitze seines Ferrari. »Uns kleine Independent-Wirte fragt doch niemand, wo wir bleiben«, heult er ins Mikrophon. »Silvester ohne Party am Brandenburger Tor, in so einer Welt möchte ich nicht leben. Und ich bin mir sicher, viele Pflegerinnen auch nicht.«
»Berlin ist in der Pandemie einem tiefgreifenden Kulturwandel ausgesetzt«, sagt der Urban-Experte Jens Balzner. »Die meisten sind hierher gezogen, um mit polytoxischen Beziehungen zu experimentieren oder sich in irgendeinem Partykeller das Hirn mit Felgenreiniger wegzulasern. Das geht aber nur im Austausch mit anderen Menschen!« Verblüfft bemerken viele Berliner erstmals den Umstand, dass ihr extrem egoistischer Lebenswandel immer noch von der Anwesenheit anderer Menschen abhängt. »Wer mal versucht hat, am heimischen Küchentisch Keta und Speed zu mischen, stellt schnell fest, dass das Designgerümpel um einen herum dadurch nicht erträglicher wird. Wir brauchen Menschen, um uns von ihnen abwenden zu können! Wie den Beckenrand im Schwimmbad.«
Ist Mischkonsum die Antwort auf die Pandemie? Können kinky Gasmasken auf dem Dancefloor ein coronakompatibles Revival erleben? Fragen, die sich derzeit viele Berliner stellen. Mit Vorbildfunktion für ganz Europa.
Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.