Homestory

Homestory #18

Es ist allseits bekannt: Eine Redaktion ohne Kaffee ist wie ein Auto ohne Spritzufuhr. Schon geringe Nachschubprobleme können den Redaktionsmotor ins Stottern bringen. Innerhalb kürzester Zeit fallen dann die Individuen, die ihn in persona am Laufen halten, einer lähmenden Müdigkeit zum Opfer. Träge schwappen die grauen Zellen unter der Hirnschale, statt Geistesblitze durch die Synapsen zu jagen. Oft ist es eine Frage von Minuten. Kann der komplette Stillstand vermieden werden? Gegen den hilft nur eines: die schnelle ­Infusion von hochoktanigem Treibstoff a.k.a. die schwarze Faust aus der Tasse.

Fast wären die Übriggebliebenen einer einst brummenden 15köpfigen Jungle-Combo, die – pandemiebedingt vereinsamt – durch die Redaktionsgewölbe geistern, dem Totalausfall des wichtigsten Produktionsmittels zum Opfer gefallen: nicht von Computernetzwerk, Telefonanlage oder modischem Schnickschnack wie dem Internet, sondern dem Versagen der Kaffemaschine. Ihr hochkomplexer Mechanismus, der zwischen Filter und Kannendeckel den Durchfluss des Endprodukts gewährleisten soll, ein stolzes Ergebnis Jahrtausende lang gesammelter Erfahrungen menschlicher Ingenieurskunst, funktionierte nicht mehr. Statt Kaffee produzierte der Schrotthaufen Überschwemmungen. Der Zusammenbruch des Produktionsprozesses Ihrer Lieblingszeitung stand kurz bevor.

Ein dem Ernst der Lage angemessener, ad hoc organisierter Ausschuss soll nun die wichtigste Frage klären: Wurde der unvorhersehbare Ausfall der Kaffeemaschine durch einen gezielten Sabotage­akt konterrevolutionärer Elemente verursacht, die sich heimtückisch Zugang zu den Redaktionsräumen erschlichen hatten? Nach dem altbewährten Ermittlungsprinzip »Cui bono?« (Wem nützt es?) lässt sich der Kreis der Verdächtigen schnell und professionell eingrenzen. Die mutmaßlichen Täter: eine verschwörerische Gruppe aus den weitverzweigten Netzwerken neonazistischer Pandemieleugner oder jihadistischer Karikaturenkritiker oder eine geheimdienstlich agierende Eliteeinheit des tiefen Staats. Wir werden Sie über die Ergebnisse unserer Ermittlungen auf dem Laufenden halten.

Doch das energische Eingreifen unserer hochprofessionellen Geschäftsführung verhinderte schlimmere Auswirkungen der schänd­lichen Tat. Innerhalb kürzester Zeit lieferte ein solidarischer, mit ihr eng vernetzter proletarischer Genosse eine neue Kaffeemaschine in die Redaktion. Das mutmaßliche Komplott war gescheitert.