18.05.2021
An die Freunde der Palästinenser in Gaza

Ein Brief an die wirklichen Freunde der Palästinenser

In diesem Brief wendet sich der Aktivist des 'Gaza Youth Movement" Mohammed Altlooli mit einer Botschaft für Frieden und Koexistenz an europäische Unterstützerinnen und Unterstützer der Palästinenser

Liebe Freunde des palästinensischen Volkes,

ich wende mich an Euch in diesen schrecklichen und dunklen Zeiten. Wieder einmal regnen Bomben auf Gaza, meine gequälte Heimat, und ich mache mir Sorgen um das Leben und das Wohlergehen meiner Familie, meiner Freunde und meiner Kollegen. Die Menschen in Gaza leben seit langem in Verzweiflung und Armut und sehnen sich nach einer besseren Zukunft.

Wenn man in Gaza seine Stimme gegen das Regime erhebt, wird man unterdrückt und sogar ins Gefängnis gesteckt. Sie fürchten uns, die junge Generation, viel mehr als ihren erklärten Feind Israel, weil sie wissen, dass sie uns nichts anderes zu bieten haben als Zerstörung, Schmerz und Armut.

Wir, die junge Generation, die aufgewachsen ist, ohne etwas anderes als diese Situation zu kennen, sind diejenigen, die auch den Preis zahlen werden, wenn sich nichts ändert. Ich selbst musste vor einiger Zeit aus Gaza fliehen, weil ich zusammen mit Gleichgesinnten gegen die Herrschaft des Hamas-Regimes protestierte. Wir haben das getan, was Millionen anderer Araber in der Region auch taten: Wir forderten mehr Freiheit und ein Ende von Korruption und Gewalt. Wenn man aber in Gaza seine Stimme gegen das Regime erhebt, wird man unterdrückt und sogar ins Gefängnis gesteckt. Sie fürchten uns, die junge Generation, viel mehr als ihren erklärten Feind Israel, weil sie wissen, dass sie uns nichts anderes zu bieten haben als Zerstörung, Schmerz und Armut.

 

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Mohammed Altlooli unterrichtet  im Flüchtlingslager von Leros

 

Wir wollen beides: In Gaza in Freiheit leben und nicht weiter unter der Blockade und Repressionen Israels leiden müssen. Aber unser Leben findet zwischen Hammer und Amboss statt: Wir leiden unter einem intoleranten, repressiven Regime auf der einen Seite und unter der israelischen Einschnürung auf der anderen. Wir haben keine Luft zum Atmen.

Der Brief im englischen Original

Trotzdem wir haben uns der hasserfüllten Propaganda unserer Herrscher widersetzt und als „Gaza Youth Movement“ die Botschaft an die Israelis gesendet: Wir wollen Seite an Seite mit Euch in Frieden leben, aber gleichberechtigt und nicht in einem großen Gefängnis. Wir wollen eine gemeinsame Zukunft mit unseren israelischen Nachbarn und ein Ende des Krieges, des Tötens und des Hasses.

Juden und Araber sind keine Feinde

Tragischerweise wurden diese Hoffnungen letzte Woche erneut zerstört, als der Krieg zwischen der Hamas und der israelischen Armee erneut ausbrach. Wir weigern uns, dies einen Krieg zwischen Palästinensern und Israelis zu nennen. Denn selbst wenn ich die Zerstörung in Gaza sehe, empfinde ich keinen Hass gegen die Bevölkerung Israels. Ich weiß, dass viele Israelis selbst in Angst leben und sich in Schutzräumen verstecken müssen, viele wurden getötet und verletzt. Das ist nicht mein Krieg, es ist nicht der Krieg derjenigen, die sich wie ich nach einer besseren Zukunft sehnen. Wir sehen die Bilder von Arabern und Juden, die in Haifa, Nazareth und woanders für ein friedliches Zusammenleben und gegen den Hass gerade demonstrieren. Ihr Motto lautet: Juden und Araber sind keine Feinde.

Die Menschen in Gaza, die wie ich denken, können aber nicht demonstrieren. Jeder Protest würde in Blutvergießen und im Gefängnis enden. Aber seien Sie bitte versichert: Obwohl uns in der Schule Hass beigebracht wird und wir so viel hasserfüllte Propaganda hören, in dieser Zeit sind viele von uns in unseren Herzen bei den Demonstrationen auf der anderen Seite des Zauns.

Die Hamas spricht nicht in unserem Namen

Wenn Ihr wirklich Freunde der Palästinenser seid, denkt bitte daran, dass die Hamas uns nicht vertritt; sie spricht gerne in unserem Namen, aber sie tut es in Wahrheit nicht. Wir lehnen es ab, dass sie unsere Stimme sein sollen. Unsere Stimme ist anders: es ist die Stimme des Friedens.

 

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Stimmen des Friedens, Bildquelle: Twitter

 

Und dann sehen wir die Demonstrationen in Europa, bei denen leider auch furchtbare Parolen gegen Juden und Israel gerufen werden. Wir hören auf einigen den selben Hass, den wir in den Propagandakanälen der Hamas hören. Wer unser wahrer Freund sein will, sollte nicht so reden! Wir wollen und verdienen solche Freunde nicht! Seit langer Zeit behaupten so viele Menschen, sie seien unsere Freunde, aber in Wirklichkeit geht es ihnen nur um den Hass auf Israel und die Juden. Das ist falsch: es widerspricht unseren Absichten und Überzeugungen und es schadet außerdem der gerechten Sache des palästinensischen Volkes. Wir wollen in Frieden, Würde und Selbstbestimmung Seite an Seite mit den Israelis leben. Wir wollen Gerechtigkeit und Freiheit. Wir wollen keinen Krieg und keine Zerstörung.

Wie kann jemand jemals unseren Absichten Glauben schenken, wenn solche hasserfüllten Parolen auf den Straßen Europas und des Nahen Ostens in unserem Namen gerufen werden? Das wirft ein falsches Bild auf uns.

Wir brauchen wirkliche Freunde

Viele die gerade solche Parolen rufen, behaupten, sie seien unsere Freunde, aber sie sind falsche Freunde. Sie schaden uns und lassen ein falsches Bild von uns entstehen. Wir wollen keine Antisemiten, Nazis und Israel-Hasser als Freunde. Wir brauchen friedliebende, progressive Menschen auf unserer Seite, die unsere Ziele teilen. Wir wollen nicht, dass Juden in Europa Angst vor uns haben. Wir wollen, dass jeder versteht, dass es im Nahen Osten nur eine Zukunft für alle geben kann, eine gemeinsame Zukunft in einer friedlichen und prosperierenden Region.

Wenn Ihr zu unseren wirklichen Freunden gehören wollt, tut uns bitte einen großen Gefallen und distanziert Euch von diesen Menschen, die Hass verbreiten, lasst nicht zu, dass auch sie in unseren Namen zu sprechen versuchen. Bitte verbreitet stattdessen unsere Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit.

Vielleicht ist diese Botschaft heute bloß eine zarte Pflanze. Wir alle können aber zusammenarbeiten, damit sie zu einem großen Baum zu wird. Wir wissen, dass es bei uns in Gaza noch nicht so viele gibt, die so denken wie wir, aber oft in der Vergangenheit wurden wichtige Veränderungen von einer kleinen Gruppe losgetreten. Und wir hoffen, dass dieser Baum eines Tages groß genug sein wird, damit wir alle unter seiner Krone Schatten finden.

Bitte demonstriert für uns, erhebt Eure Stimme. Bitte erhebt sie gegen die falsche und zerstörerische Politik der israelischen Regierung. Bitte erhebt Eure Stimme aber auch gegen das, was die Hamas anrichtet.

Bitte stellt Euch auf die Seite des palästinensischen Volkes und unserer gerechten Sache.

Aber bitte tut es nicht gemeinsam mit diesen falschen Freunden. 

Dieser Text wurde übersetzt von Yolanda Rubio