Homestory

Homestory #51-52

Wenn, wie es zum Einholen eines Meinungsbilds für eine Homestory häufig vorkommt, in der Redaktion herumgefragt wird, sprudeln die Antworten mal mehr, mal weniger reichlich. Aber bislang wurde noch nie die Frage in Frage gestellt. Auf die Bitte, Gründe zu nennen, warum man optimistisch ins neue Jahr blicken sollte, war jedoch die erste Antwort: »Können wir nicht lieber Gründe nennen, pessimistisch ins neue Jahr zu blicken?« Aber das wäre viel zu einfach, überdies finden Sie auf den folgenden Seiten mehr als genug solcher Gründe. Journalistinnen und Journalisten müssen sich auch den schwierigsten Herausforderungen stellen.

Und so schwer kann es doch auch wieder nicht sein, die Erde ist schließlich ein von knapp acht Milliarden Menschen bewohnter Planet, da sollte sich doch irgendwas … Ups, gerade kommt die Nachricht herein: »Friedrich Merz wird neuer CDU-Chef«, man hat es ja geahnt, aber … Vielleicht hilft eine philosophisch abgeklärte Haltung in der Tradition des Stoizismus? Doch das schüchterne »Kann ja nur besser werden« einer Kollegin wurde umgehend mit »Das hätte ich bis vor vier Wochen auch noch gesagt … « gekontert. Weiß der Himmel, welche Gründe für Optimismus es geben könnte. Eine Redakteurin schließt aus der Vorhersage ihres Horoskops, dass Menschen ihres Sternzeichens »endlich zu sich selbst« finden würden: »Klingt irgendwie nach sehr viel Homeoffice und Lockdown.« Immerhin, ein passabler Grund fand sich dann doch: »2022 ist eindeutig die schönere Jahreszahl im Vergleich zu 2021.«

Vermutlich fällt es Ihnen ähnlich schwer, optimistisch ins neue Jahr zu blicken. Deshalb gibt es neben vielen schlechten Nachrichten in dieser Ausgabe ausnahmsweise auch mal Wellness-Tipps. Ja, Wellness-Tipps, aber natürlich nicht irgendwelche: Unsere Yoga­lehrerinnen zeigen Ihnen, wie Sie auf anmutige, die Gesundheit und das Wohlbefinden fördernde Weise eine linksradikale Haltung einnehmen und dabei auch noch Ihre Lieblingszeitung lesen können. Vielleicht fällt Ihr entspannter Blick dann auf etwas, was Sie sonst ignorieren, das Kleingedruckte oben auf der Titelseite zum Beispiel. »25. Jahrgang« steht da, und das bedeutet, dass die Jungle World im kommenden Jahr ihren 25. Geburtstag feiert. Eine gute Nachricht gibt es also doch!

Gewiss, da gibt es eine linke Zeitung in Deutschland – die US-Wochenzeitschrift The Nation existiert sogar schon seit 1865 –, die doppelt so alt ist. In diesem Monat feiert Analyse & Kritik den 50. Geburtstag. Im Dezember 1971 erschien der erste Arbeiterkampf, die einzige Zeitung aus dem maoistischen Lager, die auch von Nichtstalinisten gelesen wurde; als »Zeitung für linke Debatte & Praxis« ist sie seit der Umbenennung 1992 in Analyse & Kritik »eher bewegungs- als parteiorientiert, eher an Selbstorganisierung interessiert als an Sozialpartnerschaft«, wie es in der Jubiläumsausgabe heißt. Wir gratulieren den Genossinnen und Genossen.

Diese haben aber das Pech, dass sie vorerst nicht so richtig feiern können. Obwohl Sars-CoV-2 noch nicht alle Buchstaben des griechischen Alphabets abgearbeitet hat, hoffen wir, dass es zu unserem Geburtstag am 2. Juni besser aussieht.