Der Kolumnist ertränkt sein schlechtes Gewissen mit Kaffee

Der kaffeeindustrielle Komplex

Perfekten Genuss erleben Von

Die Statistik ist alarmierend – jedes Jahr trinken die Deutschen mehr Kaffee. Und nicht nur mehr: Jedes Jahr ist er stärker, enthält mehr ­Zusatzstoffe und macht noch bessere Laune. Gut, die letzte Statistik habe ich erfunden, aber auch nur deswegen, weil ich beim Verfassen dieser Zeilen bereits vier Tassen intus habe. Kein Handelsprodukt hat eine schlechtere Klimabilanz, gleichzeitig hat der Klimawandel negative Auswirkungen auf die Anbauflächen, unmenschliche Ausbeutung in den beliebtesten Ernteregionen ist seit je unveränderter Normalzustand, so dass sich sagen ließe: Er wird nicht nur mehr, stärker und köstlicher, sondern auch seltener und grausamer, dieser Kaffee!

Um mir die Lage des beliebten Heißgetränks zu veranschaulichen, besuchte ich letztes Wochenende das »Frankfurt Coffee Festival«. Ich wollte wissen, ob dort den diversen soziologischen, ökonomischen und kulturellen Faktoren der Produktion Rechnung getragen wird, ob dort eine Dekonstruktion des Kaffeekonsums, eventuell gar im Sinne des jüngst verstorbenen Bruno Latour, stattfindet, und natürlich wollte ich mir literweise Kaffee in die Gosche kippen.

Ich sollte angenehm überrascht werden: Um die Verquickung des kaffeeindustriellen Komplexes mit dem globalen Kapitalismus bloßzustellen, fand die Veranstaltung in den weiten Fluren einer Oldtimer-Ausstellung statt. Das leuchtete mir ein: Kaffeekonsum ist ein Auslaufmodell, genauso wie der fossile Individualverkehr! Und beiden wird hier ein ironisches Memento mori gesetzt! Ein beißender Kommentar auf die Grenzen des Wachstums waren die extrem verdichteten Ausstellungsflächen: Während die Ausstellung fast drei Fabriketagen umfasste, waren alle Kaffeestände auf exakt zwei beengten Flächen aufgestellt, wo auch noch kaum einer eine Schutzmaske trug. Vielleicht sollte das an die ­Lebensbedingungen mahnen, unter denen Kaffee weltweit produziert wird.

Konsequenterweise war durch die Menge kein Durchkommen, mein vom Kaffeedurst gedörrtes Gehirn schlug vor Verzweiflung Purzelbäume – und demaskierte so meine, ja unser aller Abhängigkeit! Ich ­gewähre dem konsumkritischen »Frankfurt Coffee Festival« fünf von fünf Latour-Sternen.


An dieser Stelle schreibt Leo ­Fischer über seine persönlichen Erfahrungen in der Welt des ­Konsums. Seine Erlebnisse und Meinungsäußerungen erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.