Linke streiten über die richtige Sichtweise auf China

Solidarität mit wem?

Linke in Deutschland tun sich schwer, eine Haltung zur Volksrepublik China zu finden. Die Positionen reichen von der Solidarität mit Arbeitskämpfen und Protesten gegen die Regierung bis zur Unter­stützung des »Sozialismus mit chinesischer Besonderheit«.
Disko Von

In großen westlichen Medien wird die Debatte über China gegenwärtig emo­tional geführt und ist von politischen Bekenntnissen zum »Kampf der Demokratien gegen Autokratien« geprägt. Die Wahrnehmung hat sich von Chancen auf dem »Markt der Zukunft« zu Sorgen um wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik verschoben. Bei Linken gehen die Positionen beim Thema China weit auseinander. Für Linke wie auch für die bürgerliche Nationalökonomie passt der rasante Aufstieg eines Mischsystems aus leninistischer Parteibürokratie und Marktelementen nicht ins ursprüngliche Weltbild. Im Unterschied zum Englischen oder Spanischen gibt es eine große Sprachbar­riere, da in Deutschland nur wenige – zumeist Sinologen – chinesischsprachige Debatten verfolgen können.

Einige Linke versuchen, sowohl an den geostrategischen Ambitionen der USA als auch am »chinesischen Kapi­talismus« Kritik zu üben. Seit Jahren dokumentiert zum Beispiel die Web­site Gongchao.org Streiks und soziale Kämpfe in China und solidarisiert sich mit diesen. Der Kreis um Ralf Ruckus hat zahlreiche Bücher von kritischen chinesischen Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen ins Deutsche übersetzt. Die Themen variieren: Es gibt ­Interviews mit jungen Fabrikarbeiterinnen, Berichte von Streiks beim iPhone-Produzenten Foxconn und historische Studien zu linkskommunistischen Strömungen in der Kulturrevolution. Auch das »Forum Arbeitswelten« organisiert seit Jahren einen solidarischen Austausch und Kontakte von kritischen Gewerkschafter:innen und Akti­vist:innen aus Deutschland und China.

Der Wunschtraum hat sich nicht erfüllt

Nach einer großen landesweiten Streikwelle im Jahr 2010 hegten diese Linken die Hoffnung, dass China zum neuen globalen Zentrum für Arbeitskämpfe werde und das kapitalistische Weltsystem ins Wanken gerate. Die damaligen Streiks waren selbstorganisiert und nicht von den staatlichen Gewerkschaften unterstützt. Unabhängige Gewerkschaften sind in China nicht zugelassen. Der Wunschtraum von 2010 hat sich nicht erfüllt. Dennoch finden auch unter der verschärften Repression seit dem Machtantritt Xi Jinpings 2012 weiterhin Arbeitskämpfe statt. Im Dezember organisierten die Rosa Luxemburg-Stiftung und das »Kritische China-Forum« eine Konferenz zu »Arbeitskämpfen in der Plattformökonomie am Beispiel von Essenskurieren in ­China und Deutschland«, an der auch Aktivist:innen aus der Volksrepublik teilnahmen.

Das »Kritische China-Forum« wurde Anfang 2021 ins Leben gerufen, um eine linke Debatte anzuregen und Expertise zu bündeln. Es möchte Herrschaftsverhältnisse, kapitalistische Ausbeutung und Naturzerstörung in China thematisieren. Dennoch will man gegen schlichtes Schwarzweiß-Denken, Chauvinismus und militärische Eskalationslogik im westlichen Mainstream Stellung beziehen. In diesem Forum engagieren sich Mitarbeitende verschiedener Universitäten, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der NGO Power Shift sowie Mitglieder von Gongchao, des ­Forums Arbeitswelten, der IG Metall, der IG BCE und der Bildungsgewerkschaft GEW.

Ursprünglich war geplant, dass das Forum eine kontroverse ­Debatte mit allen linken Strömungen führen solle. Interesse von den Unterstützenden des »Sozialismus mit chinesischer Besonderheit« blieb jedoch weitgehend aus. Als Folge sind im Forum Menschen vertreten, die die Volksrepublik als »kapitalistisch« oder »staats­kapitalistisch« einordnen. Als Argumente für diese Einschätzung werden genannt: die große Privatisierungswelle und Massenentlassungen der späten Neunziger, Umwandlung vieler Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften, der nur schwach regulierte Arbeitsmarkt, die mangelhafte Implementierung von Arbeitsrechten und Arbeitsschutz sowie der Landnutzungsrechte und starke Kommerzialisierung des Wohnungsmarktes sowie des Bildungs- und Gesundheitssystems.

Kontroverse Meinungen gibt es zum Beispiel bei der Frage der Bewertung der Protestbewegung in Hongkong (2019–2020). Einige bewerten die Proteste gegen die autoritäre Regierung überwiegend positiv und stehen im Austausch mit dem linken Flügel der Demokratiebewegung. Andere sehen diese Bewegung wegen der geopolitischen Instrumentalisierung durch die US-Regierung hingegen überwiegend kritisch.

Bisher orientieren sich chinesische Superreiche und die Mittelschicht am Konsumstandard der »imperialen Lebensweise«.

Vor dem Hintergrund der Verschärfung des sino-amerikanischen Konflikts gibt es eine Strömung innerhalb der Linken, deren Haltung zur Volks­republik in erster Linie von geopolitischen Überlegungen bestimmt wird. Ihr prominentester Vertreter ist wohl der Journalist Jörg Kronauer, der regelmäßig in Konkret und Junge Welt veröffentlicht. Er behauptet nicht, dass in der Volksrepublik der Sozialismus aufgebaut werde. Kronauer sieht Chinas emanzipatorisches Potential vielmehr im Versuch, das wirtschaftlich-technisch abgesicherte Wohlstandsmonopol westlicher Mächte global zu brechen.

Soziale Kämpfe und politische Auseinandersetzungen innerhalb Chinas kommen in seinen Artikeln so gut wie gar nicht vor. Die rasante Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee und den aggressiveren Umgang der chinesischen Regierung mit kleineren Nachbarstaaten sieht Kronauer in erster Linie nur als Reaktion auf die militärische und wirtschaftliche Eindämmungspolitik der USA in Asien. Eine eigene chinesische imperialistische Agenda will Kronauer nicht erkennen.

Für eine internationale Solidarität mit der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und dem chinesischen Modell tritt eine Gruppe um den letzten Vorsitzenden des Ministerrats der DDR und langjährigen Vorsitzenden des Ältestenrats der Partei »Die Linke«, Hans Modrow, ein. Modrow, der im Alter von 95 Jahren am 11. Fe­bruar verstorben ist, besuchte schon 1959 die Volksrepublik als Leiter einer Delegation der Freien Deutschen Jugend.

Die SED bekämpfte den Maoismus

2021 erschien das Buch »Chinas Jahrhundert: Werkstattgespräch« (Herausgeber Michael Geiger), in dem eine Reihe von in der DDR sozialisierten ehemaligen Funktionären und Wissenschaftlern über ihre Erfahrungen reflektieren. Im Rahmen des sino-sowjetischen Konflikts nach 1963 hatte die SED den Maoismus ideologisch bekämpft. Als sich ab 1984 die Beziehungen zwischen der UdSSR und China wieder verbesserten, entwickelte sich auch ein reger politischer und wissenschaftlicher Austausch zwischen der DDR und der Volksrepublik.

Der Tenor dieser Strömung ist, dass die westliche Linke das Projekt des »chinesischen Sozialismus« ernst nehmen sollte. Die KPCh habe wichtige Lehren aus dem Scheitern der traditionellen Plan- und Staatswirtschaft so­­wjetischen Typs gezogen. Mit einer Mischung aus verschiedenen Eigentumsformen sowie Markt- und Planelementen sei es der KPCh gelungen, sowohl Wachstum und Wohlstand zu schaffen als auch den Primat der Politik über die Ökonomie zu wahren.

Modrow selbst hatte 1989 vergeblich versucht, die DDR mit marktorientierten Reformen zu retten. Neben den Lehren, die aus dem gescheiterten Maoismus ge­zogen worden seien, sei der chinesische Weg auch von den eigenen kulturellen Traditionen des Landes wie der des Konfuzianismus geprägt. Viele westliche Linke hätten einen »eurozentrischen« Blick und würden schematisch ver­altete Vorstellungen von Sozialismus versus Kapitalismus bei der Bewertung Chinas anwenden.

Der Ökonom Uwe Behrens, der im DDR-Verkehrswesen tätig war und nach 1990 für verschiedene Logistikunternehmen in China arbeitete, sieht die »Neue Seidenstraße« als ein Menschheitsprojekt und Alternative zur US-dominierten Weltordnung. ­Berichte in westlichen Medien über schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang oder Hongkong tut diese Strömung in der Regel als »China-Bashing« oder »Propaganda des US-Imperialismus« ab.

Berechtigte Skepsis bei der Berichterstattung westlicher Mainstream-Medien scheint von ­keiner kritischen Auseinandersetzung mit offiziellen chinesischen Darstellungen begleitet zu werden. Im Gegenteil sind Behrens und andere gern­gesehene Interviewpartner der chinesischen Staatsmedien, die sich ihre Version der Geschehnisse von »Ausländern« bestätigen lassen.

Sympathien jenseits dogmatischer Debatten

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die sich eng an die Sowjetunion angelehnt hatte, soll einem Antrag des Parteivorstands zufolge auf dem nächsten Parteitag im März die Einschätzung beschließen, die KPCh in China baue den Sozialismus auf. Die chinesischen Genossen hätten souverän verhindert, dass sich eine neue Bourgeoisie als Klasse entwickelt habe. Die Partei behalte die Kommandohöhen der Wirtschaft und die Macht im Staat.

Unumstritten ist diese Position allerdings nicht. In der Parteizeitung Unsere Zeit vertrat Inge Humburg Ende Januar mit Verweis auf Josef Stalin die Position, die Waren­produktion, sprich Marktelemente, sei ein »Muttermal des Kapitalismus«. Mit der Weiterentwicklung zum Kommunismus müsse die Warenproduk­tion durch umfassende staatliche Planung ersetzt werden. Der Parteivorstand der DKP habe sich mit der positiven Haltung zur »sozialistischen Marktwirtschaft« der KPCh von seinen kommunistischen Wurzeln entfernt.

Jenseits solcher dogmatischen Debatten führen auch die Fähigkeiten des chinesischen Staats, in großem Stil Infrastruktur zu errichten, zu Sympa­thien. So stellt zum Beispiel der Bremer Professor für Volkswirtschaftslehre Wolfram Elsner diese Handlungsfähigkeit einem sich angeblich im Niedergang befindlichen westlichen Kapitalismus gegenüber. Der Neoliberalismus habe durch Deregulierung, Privatisierung und Unterfinanzierung die Fähigkeit des Staats zur Intervention stark geschwächt. In China habe der Staat die Handlungsfähigkeit dagegen bewahrt und den Willen, einen grund­legenden ökologischen Umbau im Kampf gegen die Klimakatastrophe zu gestalten. Ähnlich argumentieren auch einige Anhänger:innen keynesianischer Wirtschaftspolitik. Sie hoffen, durch die Konkurrenz des erfolgreichen chinesischen Modells könne im Westen die industriepolitische Steuerung von Märkten wiederbelebt werden.

Die »Handlungsfähigkeit« des chinesischen Staats zeigt sich jedoch auch in dem Aufbau umfassender digitaler Überwachung, der Wiedereinführung des Systems von »Umerziehungslagern« außerhalb des offiziellen Justizwesens und der Gängelung von Wissenschaft und Kultur in exorbitantem Ausmaß. Ob ein ökologischer Umbau durch den Staat von oben, ohne entsprechenden gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, gelingen kann, wird sich zeigen. Bisher orientieren sich chinesische Superreiche und die Mittelschicht am Kon­sumstandard der »imperialen Lebensweise« (Brand/Wissen).

In der Partei »Die Linke« und der ihr nahestehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung werden Stimmen laut, das Verhältnis zu China endlich zu klären. Da alle hier umrissenen Positionen in Partei und Stiftung vorhanden sind, besteht wohl keine Aussicht auf einen Konsens.

 

Der Aufstieg der Volks­republik China verändert die Welt. Dies ist der Auftakt einer ­Disko-Reihe über linke ­Positionen zu China.