Heute: Nachtwächter

Neulich abends habe ich einmal einen bildenden Künstler in einem Hotel auf dem Kiez besucht. Zuerst saßen wir sehr gemütlich in der Eingangshalle auf dem Sofa, hielten ein Gläschen Mineralwasser in der Hand - jedenfalls hoffe ich, daß es auf Außenstehende so wirkte -, und ich fragte ihn über die Gäste aus. Es handele sich hauptsächlich um Handwerker, Zechpreller und um Leute, die von ihren Schwiegertöchtern gehaßt werden und deshalb von denen ein Wochenende in Hamburg inklusive "Phantom der Oper" geschenkt kriegen, sagte der Künstler. Er muß es wissen, denn er ist der Nachtportier.

Manchmal tauchten hier auch Drogendealer auf, aber mehr von der Sorte, die gleich gefaßt wird, weil sie zu dumm ist, um die verdeckten Ermittler zu erkennen, die gut sichtbar in den drei Büschen direkt vorm Eingang hocken. Da hat es auch schon Schießereien gegeben, aber das macht dem Künstler nichts aus. Er ist in einem subproletarischen Stadtteil von Hamburg aufgewachsen, wo es leicht vorkommen konnte, daß einem Kind, das neben einer Familienparty herumturnte, eins auf die Fresse gegeben wurde, bis die Milchzähne herausflogen (Anlaß der Feier war übrigens die erfreuliche Tatsache, daß weniger als fünf Familienmitglieder gleichzeitig im Knast saßen).

Jetzt hängen wir uns hinter den Empfangstresen, weil man von da aus besser beobachten kann, wie potentielle Gäste versuchen, von draußen in die Lobby zu gelangen. Das ist nicht einfach, denn die Klinke hat die Form eines Schiffsruders, was einen schon leicht auf den Gedanken bringen kann, daran zu drehen, rechts, links... Dabei müsse man nur gegen die Tür drücken, aber die meisten ziehen dran, sagte der Künstler. Wieso geht er denn nicht und hilft? - Das fehlte noch. Früher sei hier hully-gully gewesen, sogar Jimi Hendrix habe hier gewohnt. Und Buddy Holly, der aber noch 15 000 DeEm auf seinem Deckel zu stehen habe, die da wohl auch stehenbleiben würden - aber heute müsse man zusehen, wie man sich amüsiere. Meistens sei nachts doch nichts los, die paar Schießereien bringen es im allgemeinen auch nicht. Genau! höre ich mich zustimmen, als seien Schießereien mein täglich Brot. Das Mineralwasser war doch ziemlich stark heute.