Überfall in der Spitzkohl-Stadt

Im schwäbischen Filderstadt schlugen Skins einen Camper fast tot - die Polizei konnte keinen rechten Tathintergrund erkennen

Ein rechtsradikaler Hintergrund? Nein, davon wollte man bei der Polizeidirektion im schwäbischen Esslingen nichts wissen. Folglich konnten die Beamten auch keinen rechten Hintergrund erkennen, als in der Nacht zum 7. September vergangenen Jahres ein 29jähriger Mann vor dem Jugendzentrum "Z" in Filderstadt-Bernhausen von einer elfköpfigen Skinhead-Gruppe zusammengeschlagen wurde. Erst nachdem Besucherinnen und Besucher des Jugendhauses vier Tage später mit einem Rundschreiben an die Öffentlichkeit gingen, reagierten die örtlichen Behörden - mit schwäbischer Beharrung: "Es bleibt festzustellen, daß es zumindest derzeit keine polizeibekannte rechte Szene in Filderstadt gibt", ließ das Ordnungsamt im Amtsblatt schnell mitteilen. Und Fritz Mehl, Sprecher der zuständigen Polizeidienststelle in Esslingen, ergänzte: "Aus unserer Sicht ist an der Sache nichts dran."

Doch nun müssen sich die Behördensprecher von ihren Kollegen aus dem nahegelegenen Stuttgart eines Besseren belehren lassen. Denn "die Sache" wurde in den letzten Wochen vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Vorwurf: versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung. Zehn junge Männer und eine 24jährige Frau mußten sich gemeinschaftlich für den Überfall verantworten. Und Staatsanwalt Apostus Miliones ließ gegenüber Jungle World keinen Zweifel: "Noch heute ist der überwiegende Teil der elf Angeklagten der rechtsradikalen Szene zuzuordnen." Eine Gruppe aus Filderstadt selbst sowie Mitglieder des "Volkssturm Großdeutschland" aus dem nahen Backnang seien an der Aktion beteiligt gewesen.

Sieben der Beschuldigten wurden am 22. Januar festgenommen, vier sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Unter ihnen ist ein 20jähriger Bundeswehrangehöriger, den die Anklage als Rädelsführer ausgemacht hat. Strafverfolger Miliones hat für die Hauptbeschuldigten Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren wegen versuchten Mordes gefordert. Ob das Gericht in seinem Urteil am 28. Juli diesen Strafanträgen folgte, war bei Redaktionsschluß noch nicht bekannt.

Ralf B., Opfer des Angriffs und Nebenkläger im Verfahren, weiß nur wenig darüber, was in jener Nacht geschehen ist. In seinem Wohnmobil hatte der 29jährige auf dem Parkplatz des Jugendzentrums übernachten wollen, als plötzlich einige junge Männer kamen und ihn aus dem Fahrzeug holten. "Nach den ersten Schlägen wurde ich bewußtlos und bin erst am nächsten Tag schwerverletzt im Krankenhaus wieder aufgewacht." Dennoch kann er von Glück sprechen. Weil ein Auto vorbeikam, ergriffen die Täter die Flucht. Vorher hatten sie den Bewußtlosen mit Stahlkappen-Stiefeln gegen Brustkopf und Kopf getreten und ihn mit Baseball-Schlägern geschlagen. Einige der Angeklagten hatten, wie sie selbst aussagten, damit gerechnet, daß ihr Opfer tot sei. Als die von zwei Zeugen herbeigerufene Polizei anrückte, waren sie bereits über alle Berge.

"Dieser Übergriff wird von uns als bisheriger Höhepunkt einer Reihe von rechtsradikal motivierten Angriffen auf Sachen und BesucherInnen des Jugendzentrums ÝZÜ gewertet," schrieben die Jugendlichen aus dem ÝZÜ in ihrem Brief vom 11. September. Doch die zunächst ermittelnden Beamten wollten in eindeutigem Outfit und entsprechenden Sprüchen der Täter keine Hinweise auf einen rechten Tathintergrund erkennen. Also informierte man erst über zwei Wochen später, nachdem die Erklärung der Jugendlichen für Öffentlichkeit gesorgt hatte, das zuständige Stuttgarter Staatsschutz-Dezernat. Weitere Angriffe, von denen die Jugendhaus-Besucher und Besucherinnen berichteten, wollten die Esslinger Polizisten nicht ernst nehmen: Ungewöhnliches sei nicht aufgefallen, nur ein paar "kleine Geschichten". Und nie Hinweise auf Rechtsradikale.

So scheint es den Beamten auch nicht ungewöhnlich, daß sich die Schlägergruppe an jenem Freitagabend zuvor in der Gaststätte "Hirsch" im benachbarten Stuttgarter Stadtteil Rohr getroffen und beschlossen hatte, "Zecken klatschen" zu gehen. Der "Hirsch" diente in den vergangenen Jahren zahlreichen Neonazis aus Süddeutschland als Treffpunkt. Er gilt als Nachfolger der mittlerweile geschlossenen Stuttgarter Neonazi-Kneipe "Kolbstube". Das Publikum der Gaststätte kommt nach Berichten Stuttgarter Antifaschisten "praktisch komplett" aus der rechten Skin-Szene, seit vor zwei Jahren der Pächter gewechselt hat. Vor allem an Freitagen reisen die Gäste, Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten (JN), des "Stauffer Sturms" oder der "Kreuzritter für Deutschland", in Rohr an, um sich mit Musik der Böhsen Onkelz und von Störkraft den Abend vergnüglich zu gestalten.

Auch Staatsanwalt Miliones hält die Gaststätte, deren Pächter nun vergangene Woche zurückgetreten ist, für einen "Ausgangspunkt rechtsradikaler Aktionen". Zwar seien einige der jetzt wegen des Überfalls Angeklagten noch jugendliche Mitläufer, doch vor allem der älteste Beschuldigte L. spiele "eine gewisse Führungsrolle" in der Vermittlung des Gedankenguts. L. selbst, der unter anderem wegen rechtsradikal motivierter Delikte vorbestraft ist, war bei der Attacke clever genug, sich im Hintergrund zu halten. Zugeschlagen haben vor allem die anderen, er selbst steht nur wegen Beihilfe vor Gericht.