Wunschzettel der Atomindustrie

Bundesregierung verabschiedet Atomgesetznovelle inklusive einer Lex Siemens zum Ausschluß der Öffentlichkeit

Maßgeschneidert ist die Atomgesetznovelle, die das Bundeskabinett am 16. Juli verabschiedete. Maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Kernkraftlobby. Weil eine Bestimmung eigens auf die Enteignung der privaten Salzrechte in Gorleben zugeschnitten ist, spricht Rebecca Harms, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der niedersächsischen Grünen, schlicht von einem verfassungswidrigen Maßnahmengesetz. Doch die Enteignung ist nicht die einzige Maßnahme, die die Bundesregierung mit der Novelle durchsetzen will.

Lex Bernstorff: In das Atomgesetz aufgenommen werden soll ein Absatz, der die Enteignung von Grundstücken und Bergrechten erleichtert. Diese Bestimmung zielt auf die Enteignung des Atomkraftgegners Graf Bernstorff, der einen Großteil der Rechte an dem Salzstock in Gorleben hält, in dem die Bundesregierung ein Atommüllendlager errichten will.

Lex Salinas: Mit dem Gesetzesnovelle wird es möglich, im Gebiet eines geplanten Endlagers bis zu 30 Jahren lang alle "die Standorterkundung erschwerenden Veränderungen" zu untersagen. Auch dieser Absatz hilft der Bundesregierung, das Endlager in Gorleben durchzusetzen. Denn Graf Bernstorff hat seine Salzrechte an die Salinas Salzgut GmbH verpachtet, die dort Salz abbauen will. Niedersachsen will aber den Pachtvertrag nicht genehmigen, solange die Rechtslage nicht geklärt ist. Tritt die vom Bundeskabinett beschlossene Novelle in Kraft, kann Salinas eine wirtschaftliche Nutzung des Salzstocks vergessen.

Lex Morsleben: Um fünf Jahre will die Bundesregierung die DDR-Genehmigungen für Atomanlagen verlängern. Nach dem Einigungsvertrag sollten diese im Jahr 2000 auslaufen. Betroffen davon ist insbesondere das bisher einzige deutsche Endlager im sachsen-anhaltinischen Morsleben. In das ehemalige Salzbergwerk soll jetzt bis 2005 mittel- und schwachradioaktiver Müll eingelagert werden. Eine mögliche Verlängerung darüber hinaus solle im "Rahmen eines Entsorgungskonsenses geklärt werden", so Angela Merkel.

Lex Krümmel: Die Betreiber sollen zukünftig bei Veränderungen an den Kernkraftwerken hinter dem neuesten Stand der Sicherheitstechnik zurückbleiben dürfen. Ein Weiterbetrieb der bestehenden AKW wird dadurch deutlich erleichtert. Nach bisherigen Recht mußten bei der Genehmigung einer Änderung die gleichen Maßstäbe angelegt werden wie bei einem Neubau. Das hatte erst am 21. August letzten Jahres das Bundesverwaltungsgericht im Fall des AKW Krümmel bei Hamburg festgestellt. Demnach muß bei jeder Änderung geprüft werden, ob die gesamte Anlage "dem Gebot der Schadensvorsorge genügt" - nach dem neuesten Stand der Technik. Dieses Urteil ist nach der Gesetzesnovelle hinfällig.

Lex Siemens: Neu einführen will die Bundesregierung ein standortunabhängiges Prüfverfahren ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. Zwar ersetzt dieses Verfahren keine Genehmigung am Standort, aber grundsätzliche Sicherheitsbedenken können mit dem Verweis auf die bereits erfolgte Prüfung des Reaktortyps abgewehrt werden. Das Kalkül ist klar: Geplant wird ohne lästige öffentliche Diskussion, und das Verfahren vor Ort wird schnell durchgezogen, bevor sich am Standort größerer Widerstand entwickelt. In den Worten der Bundesumweltministerin klingt das so: "Das Prüfverfahren (...) kann dazu beitragen, langfristig die Option auf eine noch sicherere Reaktorgeneration wie das deutsch-französische Projekt eines Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) aufrechtzuerhalten." Damit nannte Angela Merkel auch das Projekt, das sie im Blick hat, den von Siemens und der französischen Framatom geplanten EPR. Dabei geht es allerdings um mehr als eine langfristige Option. Nach über sieben Jahren stehen die Planungen für das "Basic-Design" des EPR vor dem Abschluß. Ein erster Standort südlich von Nantes steht schon fest und die Bayernwerke haben angekündigt, im Herbst in Deutschland ein Genehmigungsverfahren für den EPR in Gang zu bringen. Für Siemens ist der EPR entscheidend, um im internationalen Atomgeschäft zu bleiben. Zwar baut der Konzern nach über zehnjähriger Pause mit dem FRM 2 in Garching wieder einen Reaktor, aber dessen strategische Bedeutung liegt vor allem im Einsatz von hochangereichertem, atomwaffenfähigem Uran. Mit dem EPR könnte Siemens wieder ins lukrative Exportgeschäft einsteigen. Nur läßt sich ein Reaktor ohne eine vorzeigbare, funktionierende Anlage schwer verkaufen. Für eine solche Referenzanlage will das Kabinett Siemens jetzt den Weg ebnen.

Mit dem Vorstoß von Angela Merkel scheinen die Zeiten der Energiekonsensgespräche vorbei. Die Novelle sei so zugeschnitten, daß der Bundesrat nicht gefragt werden müsse, erklärte die Ministerin. Die Mehrheit der Bundesländer sieht das anders und das rot-grün regierte Sachsen-Anhalt hat bereits eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen die Gesetzesänderung angekündigt. Die Novelle beinhalte eine Änderung des Einigungsvertrags und dem müßten die Ostländer als Rechtsnachfolger der DDR zustimmen.

Doch trotz der jetzigen Proteste ist denkbar, daß die SPD-Mehrheit das Gesetz im Bundesrat als nicht zustimmungspflichtig durchgehen läßt. Bereits 1994 hatten die Länder eine Atomgesetzänderung passieren lassen, um die Kohlesubventionen nicht zu gefährden. Zumindest ein SPD-Politiker könnte mit einer solchen Lösung hoch zufrieden sein: Gerhard Schröder. Das von Merkel vorgelegte Gesetz entspricht zu großen Teilen seinen Vorschlägen zum Energiekonsens, die er in SPD nicht durchsetzen konnte.