Entsicherte Pumpguns

Alles im Griff, meinte Berlins Innensenator Schönbohm. Und wußte noch nach dem Mordversuch an dem PDS-Buchhändler Klaus Baltruschat: Um die Nazi-Szene in der Hauptstadt muß man sich keine Sorgen machen. Für ein "antifaschistisches Lager" bestehe folglich "in dieser Stadt keine Notwendigkeit". Wer dennoch gegen Rechtsradikale vorgeht, findet vor dem ehemaligen General keine Gnade. Seine Entschlossenheit, die Jungen Nationaldemokraten (JN) mit aller Gewalt vor dem linken Mob, seien es Autonome, Gewerkschafterinnen oder PDS-Politiker, zu verteidigen, hat der Unionspolitiker anläßlich des versuchten Neonazi-Aufmarsches am 15. Februar in Hellersdorf unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Wer fahnenschwenkend und mit Hitlergruß durch die Straßen marschierte, wußte sich des Schutzes der grün-uniformierten Schönbohm-Truppen sicher, Teilnehmer und Teilnehmerinnen von Gegenaktionen hingegen mußten mit Festnahmen oder Prügelstrafe rechnen.

Warum auch hätte der CDU-Politiker gegen die Demonstration der "Jungen Demokraten", wie Schönbohm die Neonazis der JN nennt, vorgehen sollen. Schließlich war die rechtsradikale Sammelorganisation mit einem Motto angetreten, das sich im Vergleich zur Politik der Union geradezu harmlos anhört: "Arbeit zuerst für Deutsche." Da geht es doch ganz anders zur Sache, wenn Schönbohms Parteifreunde über polnische Schwarzarbeiter reden. Oder wenn Abschiebeminister Manfred Kanther seine Pläne zur Sicherung der deutschen Ostgrenze ausbreitet. Und über Arbeit für "Nicht-Deutsche" wird wohl endgültig kein Rechter mehr klagen müssen, wenn nach dem sogenannten Asylkompromiß nun auch noch das individuelle Recht auf Asyl durch eine "institutionelle Garantie" ersetzt wird, wie der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Erwin Marchewski, neulich versprochen hat.

Daß die ideologischen Vorstellungen der Neonazis mit denen der Unions-Hardliner hundertprozentig kompatibel sind, sollte sich nicht zuletzt am 1. März in München zeigen. Schließlich konnte die JN dort nur wenige Tage nach dem Mordversuch Diesners 5 000 Rechtsradikale gegen die Wehrmachts-Ausstellung auf die Straße bringen, mobilisiert durch eine feiste Kampagne der regierenden CSU. Wenn es um die faschistischen Heldentaten der Vätergeneration geht, sucht man Widersprüche zwischen Konservativen und Rechtsradikalen ohnehin schon immer vergebens.

Aber nicht im fernen Bonn, auch nicht in Bayern, nein, vor allem in den Berliner Reihen der Union können sich rechte Ordnungspolitiker vom Schlage Schönbohms aller notwendigen Rückendeckung sicher sein. Kein Wort der Selbstkritik über die massiven Verleumdungen gegen die PDS war nach Diesners Mordversuch zu vernehmen.

Im Gegenteil: Wer wie der PDS-Bürgermeister Uwe Klett, der zu Gegenaktionen aufgerufen hatte, "mit der Fackel vor einem Benzinlager steht, darf sich nicht wundern, wenn es brennt," hetzt CDU-Fraktionsgeschäftsführer Dieter Hapel. Weiterhin standen Antifaschistinnen und Antifaschisten auf der politischen Anklagebank und wurden der "Menschenjagd" in Hellersdorf bezichtigt. Diese hätten nämlich, so weiß Hapel weiter, "ein Häufchen verwirrter und verängstigter Rechtsradikaler instrumentalisiert, um in Berlin ein bewußtes Zeichen der Gewalt zu setzen". CDU-Fraktionschef Klaus Rüdiger Landowsky durfte gar noch nachlegen: "Es ist nun einmal so, daß dort wo Müll ist, Ratten sind, und dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden", sagte der Unionspolitiker nur wenige Tage nach dem Attentat auf den Marzahner Buchhändler in sauberem Goebbels-Deutsch den Berliner Parlamentariern.

Auch Neonazi Diesner wußte auf die Stimmung nach der Niederlage der Rechten in Hellersdorf in seinem Sinne zu reagieren. Schließlich hat er als Mitglied des "Weißen Arischen Widerstands" gelernt, in "Notwehrsituationen" zu schießen. Und er schoß zunächst dorthin, wo auch die Union den Feind wähnt: bei den Ratten, dem Gesindel, den linken Zecken. Nun wird Diesner vor dem Lübecker Landgericht den Bösewicht abgeben, den Polizistenmörder, den durchgedrehten Einzeltäter. Personifizierte Pumpguns wie Landowsky und andere deutsche Saubermänner hingegen werden weiterhin die politische Bühne des Landes bespielen.