Hellersdorf, die Zweite

Innensenator Schönbohm hielt Informationen über Neonazi-Aufmarsch in dem Berliner Bezirk zurück, damit die Jungen Nationaldemokraten ungestört marschieren konnten
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Daß die Berliner Polizei nicht gerade der bewaffnete Arm der autonomen Szene ist und Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) nichts gegen rechtsextreme Aufmärsche unternimmt, sondern sie trotz lautstarker Proteste selbst aus der eigenen Partei genehmigt, ist nicht neu. Daß jedoch der Innensenat geplante Nazi-Kundgebungen gegenüber dem betroffenen Bezirksamt bewußt verschweigt, damit der dort regierende PDS-Bürgermeister keine Gegenkundgebung organisieren kann, ist zwar unglaublich, aber genauso geschehen am 26. Juli 1997. Zugetragen hat sich dies einmal mehr im Ostberliner Bezirk Hellersdorf. Dort konnten an jenem Tag, ungestört von antifaschistischen Protesten und behütet von der Berliner Polizei, mehr als 130 jugendliche Rechtsextremisten mit Trommelwirbel durch die Straßen ziehen.

Der Aufmarsch war 48 Stunden zuvor angemeldet worden. Eine "Volksinitiative Deutsche helfen Deutsche" wollte damit auf angebliche Gewalt von Ausländern aufmerksam machen. Hintergrund ist ein Zwischenfall vom 9. Juli, als ein türkischer Imbißbudenbesitzer am U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord von rechten Jugendlichen bedrängt worden war und offenbar in Notwehr einen der Angreifer so schwer verletzte, daß dieser daraufhin starb. Gegen den Händler läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Wer hinter der angemeldeten "Volksinitiative" steckte, wurde spätestens am Nachmittag des 26. Juli für alle BeobachterInnen ersichtlich.

Angeführt vom Landesvorsitzenden der rechtsextremen NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), Andreas Storr, zogen vor allem Anhänger der JN und sogenannter "unabhängiger Kameradschaften" durch Hellersdorf. Storr war auch Anmelder des geplanten JN-Aufmarsches am 15. Februar im selben Bezirk.

Für Bürgermeister Uwe Klett (PDS) ist völlig unverständlich, wie der jüngste Aufmarsch genehmigt werden konnte. Es sei skandalös, daß der Innensenat das Bezirksamt nicht über die geplante Nazikundgebung informierte. Noch am folgenden Montag versuchte Klett vergebens, verbindliche Informationen von der Senatsbehörde zu erhalten. "Die sprechen jetzt wohl gar nicht mehr mit uns", erklärte Klett gegenüber der Tageszeitung Neues Deutschland. Daß der Senat nur vergessen hat, sich mit dem Bezirk kurzzuschließen, wie das bei potentiell heiklen Veranstaltungen normalerweise selbstverständlich ist, schließt Klett aus. Bestimmt sei diese Information "mit Vorsatz" nicht weitergegeben worden.

Schönbohm hatte nach dem JN-Aufmarsch im Februar und den Gegenaktionen von Bezirksamt einerseits und autonomer Antifa andererseits scharfe Attacken gegen Klett und die PDS gefahren und Klett unter anderem vorgeworfen, Gewalt legitimiert zu haben. "Natürlich wäre der Bezirk aktiv geworden, um den JN-Aufmarsch zu verhindern", erklärte Klett denn auch, und hält das für den Grund, weshalb Schönbohms Behörde ihn diesmal im Dunkeln über die bevorstehende JN-Aktion ließ.

Im Innensenat hält man sich bedeckt. Demonstrations-Anmeldungen seien Sache des polizeilichen Staatsschutzes, erklärte Senatssprecher Thomas Raabe. Die Polizei sieht ebenfalls keinen Grund zur Reue. Die Demo sei durch eine Privatperson angemeldet worden im Namen der Vereinigung "Deutsche helfen Deutsche", und die sei nicht verboten. Also habe kein Verbotsgrund für die Demonstration vorgelegen, so ein Polizeisprecher.

Doch hat hier der Staatsschutz nur geschlafen, oder sind Informationen gedeckelt worden? Was sich hinter der Tarnbezeichnung "Deutsche helfen Deutsche" verbirgt, war bereits im Vorfeld des Aufmarsches offensichtlich: Die Nazidemo war vom rechtsextremen Nationalen Infotelefon (NIT) als "Trauermarsch" für den getöteten Rechtsradikalen Marcel Appel angekündigt worden. Das NIT Berlin wird nach Auskunft von Berliner Antifas von Andreas Storr betrieben. Über die Infotelefone mobilisiert die Neonaziszene regelmäßig zu Aktionen und Aufmärschen. Daß der angemeldete "Trauermarsch" unter dem Motto "Keine Gewalt gegen deutsche Bürger" eine ausländerfeindliche Kundgebung von Neonazis werden würde, war also klar.