»Jesus Christus mit der Knarre«

Che - "moralisch bis auf die Knochen" (Spiegel)? In Kuba werden gerade die sterblichen Überreste des Revolutionärs zur ewigen Ruhe gebettet - der Kult geht weiter

"Er war der erste (und letzte) Linke, der zum Popstar wurde, ein Übermensch wie John F. Kennedy, wie Humphrey Bogart oder Mickey Mouse, wie Jesus oder Tarzan. Eine männliche Marilyn mit viel Sex, mit viel Wärme, mit viel Menschenliebe. Er war ein Slacker, der lieber quer durch Südamerika jobbte, als seine Arzt-Karriere voranzutreiben, und einer von jenen jungen Typen, die lieber halb arbeiten und voll leben, als das zu tun, was alle Welt und die Eltern von ihnen erwarten.

Er war radikal bis zum letzten, moralisch bis auf die Knochen, konsequent bis zur Selbstvernichtung. Heute steht er für das feeling der post-eighties ein, daß Geld nicht alles sei im Leben. Denn auf seltsame Weise wirkt die Weltanschauung des lateinamerikanischen Robin Hood modern in postsozialistischen Zeiten. Sie ist theoriefeindlich, sie mißtraut allen Systemen, und sie träumt vom Ýneuen Menschen des 21. JahrhundertsÜ, dem alles Materielle unwichtiger ist als die Solidarität und das Überleben der Menschheit. Wenn irgendwo auf der Welt irgendein Mensch Unrecht erleide, dann müsse man mitleiden und dagegen angehen, hatte er seinen fünf Kindern als Vermächtnis hinterlassen, und diesen selbstzerstörerischen Humanismus haben manche im Kopf, die sein Bild auf der Brust tragen ..."

Was aber Cordt Schnibben im Kopf hat, der preisgekrönte Reporter des Spiegel, der hier von, jawohl: Che Guevara spricht, möchte man um Christi oder Tarzans willen lieber nicht wissen: viel Sex wahrscheinlich, den Menschen und die Übermaus und irgendeine theoriefeindliche Weltanschauung. Als pünktlich im dreißigsten Todesjahr die Gebeine Che Guevaras entdeckt wurden, sprach Schnibben zuerst mit der Leiche. Seitdem glaubt er, daß "Che lebt".

Tot sind und bleiben hingegen die Besetzer der japanischen Botschaft in Lima. Daß sich um sie keine Legende bilden will, liegt an der historischen Situation: Es ist kein Chruschtschow mehr da, der sie, nach einem Sieg über Fujimoris Truppen, mit Raketen versorgt hätte.

Zu Lebzeiten war Che ein gefährlicher Spinner und Erzkommunist. In Havanna organisierte er regelrechte Massenhinrichtungen, und er lieferte Kuba den Sowjets aus. Bald nach seinem Verschwinden in Bolivien aber wurde er zu einem guten Menschen, dessen Geist über jedem Kirchentag schwebte. "Gerade habe ich mir schon ein Plakat mit dem Bild Che Guevaras beschafft und es in meinem Zimmer an die Wand geklebt", erklärte Peter Handke 1968 dem Spiegel stolz in einem Leserbrief. Denn die traditionelle Blümchentapete wurde damals von Guevara auf Rauhfaser verdrängt. In den achtziger Jahren erschien Che als Vorläufer Gorbatschows, der Kuba verlassen hatte, weil auch die kubanische Revolution, wie alle Revolutionen, nur eine neue Diktatur errichten konnte. Vielleicht war er auch der erste Grüne, der im bolivianischen Dschungel eine Expedition zur Rettung des Regenwaldes anführte.

Das Geschwätz der "post-eighties" macht aus dem "Jesus Christus mit der Knarre" nun einen James Dean mit Zigarre, als hätte er, statt in der Sierra Maestra oder in Bolivien gegen ein Regime zu kämpfen, das ihn nichts anging, ebenso gut seinen Porsche gegen den nächstbesten Betonpfeiler rammen können. Denn er ließ sich, wie Cordt Schnibben weiß, "durchs Leben treiben, bis ihm klar war, worauf er gewartet hatte - auf die kubanischen Freiheitskämpfer und ihren Schießunterricht". Aha, versteht der gebildete Spiegel-Leser: Schießgewehr, Phallussymbol, Todestrieb, alles klar!

Die objektiven Gründe, die Che und Fidel Castro zur Knarre greifen ließen, müssen deshalb geleugnet werden, weil sie bis heute fortbestehen. Nach seinem Medizinstudium lernte Che Guevara auf einer Grand tour durch Lateinamerika das soziale Elend des Kontinents kennen. In Guatemala beobachtete er 1956 aus nächster Nähe, wie es einer demokratisch legitimierten Regierung erging, die eine so harmlose und erzkapitalistische Maßnahme wie eine Landreform durchsetzen wollte. So waren es Eisenhower und die Brüder Dulles, die aus Che Guevara einen Kommunisten machten. Denn als die gewählte Regierung Guatemalas wegen ihrer Reformpolitik von einer Söldnerarmee im Auftrag der CIA gestürzt wurde, mußte Guevara nach Mexiko fliehen. Die Schlußfolgerungen, die er aus seinen Erfahrungen in Guatemala zog, blieben, wie das Beispiel Nicaraguas lehrt, mindestens bis 1990 gültig.

Wenn Che der einzige linke Popstar ist, so ist er auch der einzige, der dafür nichts getan hat. Von Castro unterscheidet ihn nur sein fataler Irrtum, der Erfolg der kubanischen Revolution ließe sich am Ende der sechziger Jahre überall in der Dritten Welt wiederholen. Wäre er in Kuba geblieben und ein fetter Funktionär geworden, hätte er uns immerhin das Schauspiel seiner Läuterung, Auferstehung und Aszension sowie zwei Spiegel-Serien erspart. Die letzte große kriminelle Intervention einer US-Regierung in Lateinamerika liegt zwar schon sieben Jahre zurück - Historiker mögen ausrechnen, ob das ein Rekord ist -, aber noch immer werden illegale Landbesetzungen per Genickschuß beendet. Daß den vereinigten Grundbesitzern und Militärs, wie Che sagte, "die Gewalt ins Gesicht platzt", bleibt also weiterhin zu wünschen.