Keine Schätze im Pharaonengrab der RAF

Nach sieben Jahren in der Illegalität stellten sich jetzt zwei der versuchten Mitgliedschaft in der RAF Beschuldigte

Die Ermittler standen unter Druck. Seit Jahren hatten die Antiterror-Spezialisten keinen Fahndungserfolg mehr verbuchen können, die RAF hingegen hatte gerade erneut ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. In einer technisch perfekt ausgeklügelten Aktion sprengte ein Kommando der bewaffneten Gruppe den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, samt seinem gepanzerten Mercedes in die Luft. Das war am 30. November 1989. Dann kam dieser Hinweis aus der Bevölkerung: In einer Ferienwohnung nahe der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Husum halten sich zwei Verdächtige auf. Am 7. Dezember nahm ein Sondereinsatz-Kommando der Polizei (SEK) Holger Deilke und Ute Hladki fest. Die Strafverfolger beschlagnahmten gefälschte Fahrzeugpapiere, eine Waffe und schriftliche Unterlagen. "Ein Pharaonengrab", kommentiert Hamburgs Verfassungsschutzchef Christian Lochte, habe sich aufgetan, das "ganz neue Einblicke in die Organisationsstruktur der RAF" ermögliche.

Eine der neuen Spuren führte in eine Bauernkate im schleswig-holsteinischen Lasbek. Dort sollen die Festgenommenen mit weiteren Personen gelebt haben. Doch bevor eine Woche später eine SEK-Einheit den vermeintlichen RAF-Stützpunkt stürmte, konnten zwei zunächst Unbekannte flüchten.

Nach über sieben Jahren haben sich diese beiden jetzt, am 19. Juli, der Bundesanwaltschaft (BAW) gestellt. Ausschlaggebend für diese Entscheidung der 39jährigen Corinna K. und des 45jährigen Karl-Heinz G. aus Hamburg, berichtet die Karlsruher Behörde, sei "im wesentlichen der angegriffene Gesundheitszustand der Beschuldigten K." und der Wunsch gewesen, aus jahrelanger Illegalität in geordnete Lebensverhältnisse zurückzukehren. Bei den Strafverfolgern, so scheint es auf den ersten Blick, reagierte man mit ungewöhnlicher Großzügigkeit: auf Antrag der BAW hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof gegen Meldeauflagen den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. "Die persönlichen Verhältnisse und die Tatsache, daß sie sich selbst gestellt haben, lassen das zu", erklärte BAW-Sprecher Rolf Hannich.

Doch gerade die persönlichen Verhältnisse waren den Fahndern nach der Polizeiaktion in Schleswig-Holstein auf ganz andere Art gelegen gekommen. Rund 3000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz durchsuchten am 15. Mai 1990 im Auftrag der BAW mehrere Häuser in der Hamburger Hafenstraße. Hintergrund: Karl-Heinz G., mittlerweile nach Paragraph 129 a gesucht wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (RAF)", war in den damals noch besetzten Gebäuden polizeilich gemeldet. Zudem soll der Personalausweis, den Holger Deilke bei seiner Festnahme bei sich hatte, aus einem Auto vor den Häusern gestohlen gewesen sein.

Eine Woche später legte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann nach: Man habe eine Wohnung in der Hafenstraße entdeckt, die "nach Anlage und Ausstattung" als Schaltzentrale der RAF in Norddeutschland zu bewerten sei. Eine "Staatsschutzlüge der BAW", kommentierte die RAF selbst: "Es gibt keine ÝlegalenÜ Mitglieder der RAF". Doch weitere Durchsuchungen folgten. In der Hansestadt, in Stuttgart und in Münster. Quer durch die Republik sollten vermeintliche RAF-Helfer und -Helferinnen im Auftrag der bewaffneten Gruppe potentielle Opfer ausspioniert haben. Auch die vier "Illegalen" vom Bauernhof Lasbek, den Karl-Heinz G. unter seinem tatsächlichen Namen angemietet hatte, hätten dieses Ziel verfolgt. Schließlich habe der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Tyll Necker, im nur zehn Kilometer entfernten Bad Oldeslohe seinen Wohnsitz.

Heute ist von all den aufgeblasenen Vorwürfen wenig geblieben: Die Ermittlungsverfahren in Hamburg, Stuttgart und Münster wurden nicht weiter verfolgt, die RAF-Schaltzentrale in der Hafenstraße hat mittlerweile ordentliche Mietverträge, und aus den Lasbeker "Mitgliedern der Kommandoebene" (Verfassungsschützer Lochte) wurde dann auch juristisch nicht so richtig die RAF. 1993 verurteilte das Hamburger Oberlandesgericht Deilke, der sich gemeinsam mit Ute Hladki einem Prozeß wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung entzogen und deshalb illegal auf dem Hof gelebt hatte, zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft. Lediglich Diebstahl, Urkundenfälschung und ein Vergehen gegen das Waffengesetz konnte dem Detmolder zur Last gelegt werden.

Bei Corinna K. und Karl-Heinz G. sind diese Vorwürfe seit dem 16. Mai 1997 verjährt. Nun erwartet die beiden lediglich ein Verfahren wegen "versuchter mitgliedschaftlicher Betätigung in einer terroristischer Vereinigung". Schließlich habe sich die Gruppe damals bemüht, Anschluß an die RAF zu finden, erläutert BAW-Sprecher Hannich die Anklage. Zu diesem Zweck hätten sie unter falscher Identität in Lasbek gelebt und "Vorbereitungen für die Begehung terroristischer Anschläge nach dem Vorbild der RAF getroffen".

Ob der Vorwurf einer "versuchten Mitgliedschaft" bisher jemals verhandelt wurde, konnte der Karlsruher Behördensprecher allerdings nicht sagen. Mit einer Verurteilung müssen die beiden wohl kaum rechnen. Schon im Prozeß gegen Holger Deilke hat das Hamburger OLG in zweiter Instanz entscheiden, nicht nach Paragraph 129 a zu bestrafen.