Alles Gute für den neuen Job

Am 15. September sollen die Gespräche zwischen der britischen und der irischen Regierung sowie Vertretern der unionistischen und nationalistischen Parteien beginnen: Die Kontrahenten drängeln sich um die beste Ausgangsposition

Ohne inhaltliche Annäherung ist Mitte vergangener Woche eine Diskussion verlaufen, in der erstmals im britischen Fernsehen ein Vertreter der nordirischen republikanischen Sinn Féin, Martin McGuinness, mit einem Vertreter der pro-britischen Ulster Unionist Party (UUP), Ken Maginnis, aufgetreten ist. Zwar bezeichnete Maginnis den Sinn-Féin-Vertreter gleich zu Anfang des Gespräches als "Paten der Paten", da dieser nach langjähriger Mitgliedschaft in der IRA schließlich deren Chef geworden sei und damit für die von der IRA in Nordirland begangenen Morde Verantwortung trage. McGuinness jedoch konterte mit einem Verweis auf Maginnis' Vergangenheit in der britischen Armee, die schließlich die ersten Toten in Derry verschuldet habe. Daß es nicht zu einem offenen Eklat bei dem Gespräch zwischen den Vertretern der verfeindeten Organisationen kam, ist nach der Debatte schon als Fortschritt gewertet worden.

"Ein vereinigtes Irland ist unvermeidlich", erklärte Gerry Adams, Präsident von Sinn Féin, bereits am 6. August, 17 Tage nach der neu verkündeten Waffenruhe der IRA, in seinem ersten Gespräch mit der britischen Labour-Ministerin für Nordirland, Mo Mowlam. Beim ersten Waffenstillstand im Jahre 1994 mußte Sinn Féin sich noch neun Monate lang gedulden, bevor der damalige britische Premierminister, John Major, solch hochrangige Gespräche erlaubte. Die Atmosphäre im ehemaligen nordirischen Regierungsitz, Stormont Castle, war offensichtlich entspannt, als Mowlam Adams als "starken, kompetenten Führer seiner Partei" lobte. Adams entgegnete ebenso höflich: "Während ich begrüße, daß Mo Mowlam die erste Frau ist, die das Ministerium für Nordirland übernimmt, so wollen wir doch auch, daß sie gleichzeitig die letzte sein wird. Ich wünsche ihr alles Gute in ihrem neuen Job." Ein anderes Mitglied des fünfköpfigen Sinn-Féin-Teams, der eher zurückhaltende Martin Ferris, der schon zehn Jahren wegen Waffenschmuggels abgesessen hat, schilderte die Gespräche als "sachlich". Aber was kann Sinn Féin von den Mehrparteien-Gesprächen über die Zukunft Nordirlands wirklich erwarten?

Die britische Regierung verhandelt nicht mit Sinn Féin, um zu einer Lösung des Nordirland-Konfliktes zu gelangen, sondern um die IRA zu isolieren und zu zerschlagen. Ist die IRA erst entmachtet, sprich: entwaffnet, ist es unerheblich, wie viele Nationalisten Sinn Féin wählen. Die republikanische Bewegung ohne den bewaffneten Kampf ist wie ein zahnloser Tiger.

In der im Jahre 1993 von der irischen und britischen Regierung unterschriebenen "Downing Street Declaration" erklärte John Major, daß Großbritannien "weder strategische noch wirtschaftliche Interessen" in Nordirland verfolge. Patrick Mayhew, ehemaliger Minister für Nordirland, ergänzte im selben Jahr in einem Interview mit der Zeit die britische Position: "Viele Leute glauben, wir wollen Nordirland nicht aus dem Königreich entlassen. Wenn ich ganz ehrlich bin: Mit Handkuß! Wir würden Nordirland, wenn eine Mehrheit das will, nichts in den Weg legen. Die Provinz kostet uns drei Milliarden Pfund im Jahr. Drei Milliarden Pfund für eineinhalb Millionen Menschen!"

Die hartnäckige Haltung, den enormen Kosten zum Trotz in Nordirland zu verbleiben, resultiert aber nicht, wie der britische Premierminister Tony Blair behauptet, aus Respekt gegenüber den demokratischen Wünschen der Unionisten. Vielmehr ist sie logische Folge der permanenten Nachgiebigkeit der britischen Regierung angesichts der unionistischen Bedrohungs-Strategie - wie in den vergangenenen Jahren räumten Polizei und Armee eben dieser Regierung auch dieses Jahr mit der üblichen rohen Gewalt die Gervaghy Road in Drumcree von den katholischen EinwohnerInnen, um den Protestanten das Abhalten ihrer traditionellen Umzüge zu ermöglichen.

Bei Gesprächsbeginn am 15. September wird nur die größte der konstitutionellen unionistischen Parteien, die UUP, vertreten sein. Die zweitstärkste, die Democratic Unionist Party (DUP) unter Reverend Ian Paisley, die die jetzige militärische Unterdrückung der katholischen Bevölkerung fortsetzen wollen, um den Status quo zu zementieren, und die winzigen "UK Unionists" haben ihre Teilnahme bereits abgesagt. Paisley, der die im Marschmonat Juli allein für Überstunden der Polizei ausgegebenen sechs Millionen Pfund als "kleinen Preis für die Demokratie" bezeichnete, glaubt zu wissen, daß nur Terroristen und die "babylonische Hure" aus Rom, wie er die katholische Kirche einmal zu nennen beliebte, ihre Finger im Spiel haben, und boykottiert deshalb den sogenannten Friedensprozeß. Die Teilnahme aller loyalistischen paramilitärischen Gruppen ist dagegen gesichert.

Das Verhandlungsziel der UUP in den Gesprächen ist die Revision des Anglo-Irischen Abkommens aus dem Jahr 1985, wie auch die Artikel 2 und 3 der Verfassung der irischen Republik, in denen Dublin Anspruch auf das gesamte Territorium der Insel erhebt. Im Widerspruch zur südirischen Verfassung setzt Artikel 1 des Anglo-Irischen Abkommens für eine Wiedervereinigung die Zustimmung der nordirischen Mehrheit voraus.

Der Versuch, eine Volksabstimmung zu initiieren, um die Verfassung neu zu formulieren, scheiterte allerdings 1990 im Dubliner Parlament. Die damalige Regierung argumentierte, eine Reform der Artikel 2 und 3 sei nur möglich, wenn London im Gegenzug eine Relativierung des britischen Government of Ireland Act aus dem Jahr 1920, in dem der pro-britische Status quo Nordirlands festgeschrieben ist, vornimmt. Dieses Gesetz wird ab dem 15. September neu verhandelt: Alles scheint zu dem Punkt zurückzukehren, an dem vor 77 Jahren Nordirland entstand.

Gerry Adams und der republikanischen Bewegung ist seit langem klar, daß der bewaffnete Kampf allein kein ausreichendes Druckmittel ist, um einen Rückzug der britischen Armee zu erzwingen - ein Bündnis aller nationalistischen Kräfte wäre hierfür vonnöten; die katholische sozialdemokratische SDLP, die Dubliner Regierung und die irisch-amerikanische Lobby müßten sich auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Nur mit dem neuen Waffenstillstand der IRA kann Adams dieses Bündnis wiederherstellen, Sinn Féin jedoch muß ihre Forderungen abmildern. Adams gewährte einen Einblick in seine Pläne, als er am 17. Juli in der bürgerlichen Belfaster Tageszeitung The Irish News schrieb, daß er "die Union neu verhandeln wolle".

Langsam wird klar: Adams und sein Verhandlungsteam werden ein Abkommen treffen, das von einem vereinigten Irland meilenweit entfernt ist. Das ist alles, was Sinn Féin von diesem Prozeß erwarten kann. Eine Neuverhandlung der Union mit Großbritannien jedoch war nie republikanisches Ziel - wie Adams selbst im Jahr 1986 formulierte: "Die Vorstellung, die Briten zu überreden, Irland zu verlassen, ist verächtlich."

Die Realität hat sich in der Zwischenzeit kaum geändert. Für Sinn Féin und die gesamte republikanische Bewegung besteht jetzt allerdings die Gefahr, daß sich ihre Ideologie, eine vereinigte sozialistische Republik aufzubauen, durch den Prozeß in einen sterilen, konstitutionellen Nationalismus umwandeln wird. Offensichtlich ist Adams bereit, dieses Risiko einzugehen. Adams: "Wir müssen die Sache zu einem Ende bringen. Die Herausforderung dieser Generation lautet, unseren Kindern nicht die Fackel des Widerstands übergeben zu müssen."