Deregulierung statt Recht auf Bildung

Bund und Länder gemeinsam für eine neoliberale Hochschulreform

Überraschend haben Bundesbildungsminister Rüttgers und seine Länderkollegen Hns Zehetmair (CSU Bayern) und Jürgen Zöllner (SPD Rheinland-Pfalz) in der vergangenen Woche den Bund-Länder Kompromiß zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes präsentiert.

Diesem Kompromiß waren monatelange Verhandlungen, vor allem innerhalb der SPD, vorausgegangen. Erst im Juni diesen Jahres gelang es der SPD, sich während einer Klausurtagung zu einer einheitlichen Position durchzuringen. Das Positionspapier "Hochschulen als Stätte der Innovation für das 21. Jahrhundert" versprach eine ebenso harte Auseinandersetzung mit der CDU/CSU wie in der Steuerreform. Nicht zuletzt hatten die sozialdemokratischen BildungsministerInnen verkündet, die Hochschulrahmengesetznovelle untrennbar mit einer grundlegenden Strukturreform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAFöG) zu verbinden, da "eine grundlegende Reform der Ausbildungsfinanzierung eine unverzichtbare Voraussetzung für eine wirkliche Hochschulreform darstellt".

Bereits in der sozialliberalen Koalition hatte sich die SPD eine Hochschulreform vorgenommen. Ausgangspunkt waren weniger politische Konflikte mit dem herrschenden Hochschulsystem, wie sie sich in der Denkschrift des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) "Hochschule in der Demokratie" widerspiegelten, sondern vielmehr die Unfähigkeit der Universitäten auf die steigende Nachfrage nach akademischen Nachwuchskräften zu reagieren. Daß zur Überwindung der Stagnation innerhalb der Hochschulen die Standesuniversität abgeschafft werden sollte, war also mehr ökonomischen Notwendigkeiten als Demokratisierungsabsichten geschuldet. Das Hochschulrahmengesetz konnte jedoch erst 1976 verabschiedet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die CDU-Mehrheit im Bundesrat alles versucht, ein Inkrafttreten des Gesetzes zu verhindern. Zudem klagten 1973 mehr als einhundert Professoren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die vermeintliche Einschränkung ihrer grundgesetzlich garantierten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, die sie durch die jüngst eingeführte gleichberechtigte Mitbestimmung aller Statusgruppen innerhalb der Hochschule gefährdet sahen. Das Bundesverfassungsgericht gab der Klage statt und konservierte mit seiner damaligen Grundsatzentscheidung zur Partizipation und Mitbestimmung in den Hochschulen die bis heute gültige absolute Mehrheit der ProfessorInnen in den Selbstverwaltungsgremien.

Auch der nunmehr präsentierte Entwurf eines neuen Hochschulrahmengesetzes rückt ökonomische Interessen in den Vordergrund der Novellierung. Das wichtigste Stichwort heißt "Deregulierung". Ein Großteil der Paragraphen, die bislang in die Rahmenkompetenz des Bundes fielen und dafür Sorge tragen sollten, daß sich die Länder in der Ausgestaltung der Hochschulen nicht zu weit von einander entfernen, wird entfallen. Begründet wird diese Entwicklung mit vermeintlichem Sachzwang, der eine Effektivierung der Hochschulen, also eine noch stärkere Übernahme ökonomischer Effizienzkriterien in den Wissenschaftsbetrieb unvermeidlich machen würde. Diese Entwicklung ist weitgehend unhinterfragt.

Auch innerhalb der Grünen gehört es mittlerweile zum guten Ton, statt die inhaltliche Einflußnahme der Gesellschaft auf die in den Hochschulen praktizierte Forschung zu fördern, von der internationalen Konkurrenzfähigkeit des "Standortes Deutschland" zu schwadronieren. An der Spitze steht der neue hochschulpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Berninger mit seiner Forderung nach Etablierung eines positiven Elitenbegriffs und die Einrichtung einer deutschen Hochschule zur Elitenförderung in Frankfurt am Main. Unter dem Stichwort "Innovation" vereinigen sich zunehmend über Parteigrenzen hinweg junge "Modernisierer" aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu einer unheilvollen Mischung. Die Erhöhung akademischer Grade und die Orientierung am angelsächsischen Hochschulsystem gerät darüber zum Selbstzweck.

Vermeintliche argumentative Widersprüche werden dabei in Kauf genommen. Obwohl die Hochschulen beispielsweise zunehmend autonomer gegenüber staatlichen Einfluß agieren sollen, wird mit dem neuen Hochschulrahmengesetz die staatliche Regulation des Studienverhaltens verschärft. Zwar konnte sich die CDU mit ihrem Wunsch nach Zwangsexmatrikulationen bei Überschreitung der Regelstudienzeit nicht durchsetzen, doch werden alle Studierenden nach neun Semestern zur Zwangsberatung gehen müssen. Darüber hinaus werden die Hochschulen künftig in die Lage versetzt, 20 Prozent der Studierenden selbst auszuwählen.

Diese Erhöhung der mit dem Numerus Clausus bereits bestehenden Hürden zum Studienzugang und der Selektionsmechanismen während des Studienverlaufes klären den angenommenen Widerspruch. Die beklagten Massenuniversitäten sollen Zug um Zug verkleinert werden. Umgesetzt wird dieser Prozeß durch die Unterteilung zwischen elitärer, wissenschaftsorientierter Universität, die auch Geld kosten kann und sich zunehmend staatlich unabhängig über Stiftungsprofessuren, Drittmittel aus wirtschaftsnaher Forschung, Erhöhung des Körperschaftsvermögens und selbstverständlich Studiengebühren finanzieren soll und berufsorientierter, "billiger" Fachhochschule.

Die SPD hat sich mit der Zustimmung zum Bund-Länder-Kompromiß zwischen zwei sich einander ausschließenden Bildungskonzeptionen entschieden. Sie ist den Weg der britischen New Labour gegangen, die Bildungspolitik in das utilitaristische Konzept "Arbeit, Arbeit, Arbeit" einordnet. Die Vorstellung von einer Bildungspolitik, die einen ungehinderten Bildungszugang als individuelles Grundrecht und Emanzipationsvoraussetzung schafft, hat die SPD zu diesem Zweck fallen gelassen.