Die Last des Zitats

"Das fünfte Element" - Luc Besson versucht sich an der Unmöglichkeit einer originären postmodernen Fiktion

"Das fünfte Element", sagt der Regisseur Luc Besson, sei eine Einladung, den Alltag für ein paar Stunden zu vergessen. "Dazu muß man allerdings in der Stimmung sein, und wenn man das ist, wird man seine helle Freude an dem Film haben."

Nichts Bahnbrechendes enthält dieser Film, der die Festspiele von Cannes eröffnete und der sich von Europa aus den US-typischen Genrefilm erschließen will. Er gehorcht den ins Unendliche transferierten Gesetzen eines durchschnittlichen Erdkunde-Lehrfilms und dessen ökologischer Moral. Jedoch konzentriert er seine mythische Sprache auf wenige Bilder, die das Publikum überwältigen sollen. Es scheint, als reihe der ganze Film Standbilder aneinander, in denen die Handelnden als Ausstattungselemente funktionieren - Bühnenausstattungen, die dadurch faszinieren, daß sie die ganze Filmidee enthalten.

Die Kostümierung konzipiert ihre Träger: Bruce Willis im orangefarbigen T-Shirt von Designer Jean-Paul Gaultier, die Hauptdarstellerin Milla Jovovich als Model für das Bänderkostüm. Gary Oldman in der Hitler-Variante des Bösewichts Zorg. Zu guter Letzt wird das Schauspiel selbst zur Staffage: Für weitere Rollen wurden Models verpflichtet, die in einer permanenten Modenschau agieren. Eine kluge Entscheidung: Ebenso wie eine Modenschau ist "Das fünfte Element" ein äußerst gelungenes Arrangement, und die Kleindarsteller tragen ihre gelangweilt-professionellen Gesichtszüge zur Schau. In den Totalen setzt man dementsprechend auf Technizismus und die dem Science-Fiction-Film eigenen Weiten und Tiefen.

Wo die Protagonisten verharren, gehören auch Handlung und Dialoge zur Choreographie, und das ist bei der Ausgangslage nicht weiter verwunderlich: 1913 entdeckt ein Forscherteam vier seltsame Steine in einer Pyramide. Sie entsprechen den in der Antike als Grundelemente bezeichneten Feuer, Erde, Wasser, Luft. Nur ein Priester kennt die enorme Macht der Steine, sie ergänzen sich mit einem fünften Element zur einzig wirksamen Waffe gegen das Böse, das alle 5000 Jahre in die Galaxis eintritt. Einige Außerirdische, die Mondoshawan, holen diese Waffen ab, weil der Zeitpunkt der Zerstörung gekommen ist: Bedroht wird die Erde im Jahr 2259, und die klobigen Mondoshawan wollen das Versprechen einlösen, die Menschheit zu retten. Kurz vor der Übergabe werden sie von den Mangalores getötet, die, wie ihr Auftraggeber Zorg (Gary Oldman), im Bunde mit den dunklen Mächten stehen. Zurück bleibt von den Boten und ihrem gigantischen Raumschiff nur eine einzige Hand, aus der mit altbekannter DNA-Repro-Technik das ganze Wesen rekonstruiert wird: Das Mädchen Leeloo, das fünfte Element, das mit den Steinen in Verbindung treten kann, um zur guten Waffe zu werden.

Der Lufttaxifahrer Korben Dallas (Bruce Willis), ehemaliger Sicherheitsexperte und unfreiwilliger Draufgänger, wird ungewollt ins Geschehen einbezogen, als Leeloo aus einem Fenster springt und dem Ahnungslosen durchs Dach ins Auto kracht. Leeloo weiß auch, daß die Steine nicht an Bord des Mondoshawan-Schiffes waren, sondern im Besitz der berühmtesten Operndiva des Universums, Plavalaguna (Maiween le Besco), die auf dem Vergnügungsraumdampfer Fhloston gastiert. Das bekommt auch Zorg mit, der sich wie Dallas, Leeloo und der um den Mythos wissende Priester Cornelius (Iain Holm) dorthin aufmacht. Ballereien und Explosionen folgen, bis es gelingt, das Böse - es rast als vernichtender Komet auf die Erde zu - zu vernichten.

Der Plot enthält alles und gar nichts, um seinerseits zum Pop-Mythos zu werden. "Das fünfte Element" soll nach den Gesetzen des Samples funktionieren. So gut wie alle wichtigen SF-Filme gehen bewußt als Zitat ein, gemäß der Devise, Neues lasse sich außer im Technik-Bereich, im Kino ohnehin nicht schaffen. Denn die Erzählung von der Bedrohung der Welt, die Besson schon seit 1975 im Schreibtisch liegen haben will, wird überlagert von ihren Bildern. Die Geschichte von den vier antiken Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft, symbolisiert von vier Steinen, erinnert an die "Power Rangers", Leeloo an die Mutantin in "Blade Runner", das Bild der Stadt und diverse Polizeiinstrumente wie der Gefangenensack stammen aus "Brasil", die Düsternis aus "Alien" der antischwul entworfene Talkmaster Ruby Rhod (Chris Tucker) sorgt für "Romeo und Julia"-Flair, Willis und sein Gegenspieler Gary Oldman erinnern in ihren Rollen stark an gleich gelagerte Werke. Die Liste ließe sich fortführen und es ist nur logisch, daß Besson selbst diesen Zitatecharakter hervorhebt. So schichten sich zwischen den zentralen Bildmotiven die Bedeutungen mehr oder weniger spannungsreich auf.

Besson entwirft die Gegenwart ebenso gängig als Zukunft der Konzerne, die alles bestimmen, und seine Helden als märchenhafte Antikapitalisten, wenn Willis mit seinem Fahrzeug in den McDonald's Lufttransporter kracht, wenn sich herausstellt, daß Willis ein kleiner Angestellter Zorgs ist. Man rettet also das letzte Quentchen Menschlichkeit in einer unmenschlichen Welt: Die Zukunft denkt man sich maßgeblich pessimistisch. Der Auftrag, die Welt zu retten, geht an den anarchistischen Helden, die Träger der Macht, obwohl mit demokratischen Attributen versehen - es gibt einen "Präsidenten" - sind weitgehend in Ständen organisiert: Die Entschlüsselung des Geheimnisses obliegt einem Priester.

Und wenn die Darstellerin für die Rolle der Leeloo 400 Wörter einer unverständlichen Sprache lernen mußte, ist das nur eine Überspitzung des gesamten Sprachduktus. Wer zu spät hinzukommt, wird die Dialoge ohnehin für unverständliches Gequassel halten. Besson muß sich auch gar nicht für seine Helden interessieren. Sie dienen der Konstruktion von Bildern, die sich einprägen sollen. Sein Film ist eine gigantische Modenschau in futuristischem Ensemble, nur Atmosphäre, die zu Beginn aufwendig inszeniert wird, um dann als unveränderliche Kulisse bestehen zu bleiben. Dramaturgische Fragen werden schneller beantwortet, als sie gestellt werden: Folgerichtig stagniert "Das fünfte Element" bei der Entwicklung des Plots. Wo die Bilder wie im Postkarten-Laden konkurrieren, baut sich wenig Spannung auf.

Weil "Das fünfte Element" kein echtes Geheimnis birgt, empfindet man die zahlreichen Zitate nicht unbedingt als störend. Weder werden echte Identifikationsfiguren entworfen, noch prägt sich ein besonderer Wendepunkt des Films ein. Es ist nach den Gesetzen eines Pop-Songs komponiert: Das Sample ersetzt die lineare Handlung. Die Werte sind diejenigen gängiger Filmwelten, erkennbar an den großen V-Wörtern Victory, Verwegenheit und Verfremdung. Oder auch Vollkommenheit, die Leeloo von den anderen unterscheidet, wie Cornelius sagt. Im Ergebnis also das Love-Parade-Wahlprogramm: Vriede, Vreude, Veierabend.

Das funktioniert und funktioniert auch wieder nicht, je nachdem, ob man die Abschaltung als notwendige Technik der Reproduktion oder Augenwischerei betrachtet. Eine irrige Annahme ist allerdings, daß die künstlerische Wunschproduktion mit denen einer irgendwie gearteten und empfundenen Wirklichkeit per se konkurrieren würde. Sie ist nur deren bildhafte Überformung.

"Das fünfte Element". F 1997. R: Luc Besson, D: Bruce Willis, Iain Holm, Milla Jovovich, Chris Tucker, Luke Perry, Gary Oldman. Start: 28. August