Gemeinsam sind wir stark

In Berlin stehen 16 Freunde und Helfer wegen gewalttätigen Übergriffen vor Gericht
Von

Die Polizei, dein Freund und Helfer? Wer weiß, wie eine Wanne von innen riecht (nach Plastik und Schweiß), der weiß auch, daß es nicht ungewöhnlich ist, von den Herren in Grün mal eben eins auf die Nase zu bekommen. Ungewöhnlich ist allenfalls, daß solche Vorgänge vor Gericht behandelt werden. Denn wer stellt schon eine Strafanzeige gegen Polizisten? Die übliche Konsequenz daraus ist schließlich nicht die Verurteilung der uniformierten Täter, sondern, daß man nachher von zehn Beamten als Lügner hingestellt wird und eine Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte am Hals hat. Das wird dann teuer. Trotz der aus diesem Grund anzunehmenden enormen Dunkelziffer, werden jährlich schätzungsweise rund 9 000 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet. Doch bei Straftaten im Amt enden 98 Prozent der Ermittlungen mit der Einstellung des Verfahrens. Nur 17 Beschuldigte wurden verurteilt. Von den über 600 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten, die 1992 in Berlin eingeleitet wurden, verliefen 97 Prozent im Sande. Nur 19 Anklagen wurden erhoben - sie endeten alle mit Freispruch.

Auch bei dem Prozeß, der zur Zeit in Berlin gegen 16 Polizeibeamte im Alter von 26 bis 40 Jahren geführt wird, ist nicht mit allzu harten Strafen zu rechnen. Was den Beamten vorgeworfen wird, sind üble, brutale Übergriffe, und dennoch sind es Lappalien. Zwölf Fälle liegen dem Gericht vor. In der Zeit zwischen Ende 1993 und Mai 1994 sollen Beamte des inzwischen aufgelösten "1. Zugs der Direktionshundertschaft 6" unter anderem in der Sylvesternacht 1993 einen Skinhead niedergeschlagen und einen zweiten Mann ohne Not mit dem Kopf gegen einen Bauwagen gerammt haben. Bei einer Hausdurchsuchung wurde einem Mann absichtlich eine Tür vor den Kopf geschlagen, so daß dieser sich schwer verletzte. Ein Bürger wurde in einem Mannschaftswagen geschlagen. Vietnamesen und Polen sollen mißhandelt worden sein, in dem man sie schlug und ihnen die auf dem Rücken gefesselten Arme hochzog.

Hauptbelastungszeuge ist ein junger Polizist, der von seinen Kollegen gemobbt wurde und nun augenscheinlich aus Rache ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert hat. Ein weiteres Beweismittel ist ein privater Videofilm eines Beamten, der die Übergriffe in der Sylvesternacht 1993 dokumentiert. Christian M. (23), der junge Zeuge, erinnerte sich am Donnerstag vergangener Woche vor Gericht an folgende Situation: Ein Mann, der einen Polizisten beleidigt haben soll, sei zur Personalienfeststellung in den Mannschaftswagen gebracht worden. Dort habe er zu den Polizisten gesagt: "Gemeinsam seid ihr stark, alleine will sich niemand mit mir unterhalten." Daraufhin habe ein Beamter seine Kollegen aus dem Wagen geschickt. Dann habe er dem Mann ins Gesicht geschlagen.

Als die Beamten später einen Bericht anfertigen sollten, habe man sinngemäß bei dem Kollegen abgeschrieben, der zugeschlagen hatte. Entsprechend steht in den Niederschriften nichts von irgendeiner Gewaltanwendung. Auch M. fertigte ein solches abgesprochenes Protokoll an, obwohl er selbst durch die Tür den Schlag gesehen hatte. Abgesprochene Berichte seien ganz normal, erklärte M.

Der Zeuge hat es in dem auf fünf Wochen angesetzten Prozeß nicht leicht. Nervös sitzt er vor dem Richter und zwischen den 16 Angeklagten und ihren ebenso zahlreichen Anwälten und versucht, sich zu erinnern. Böse Blicke von links und rechts. Und die Anwaltstruppe versucht ihn auseinanderzunehmen. In der Tat gibt es nach mehr als drei Jahren zahlreiche Widersprüche, doch daß es sich bei der Einheit um einen üblen Trupp gehandelt haben muß, das wird jedem Prozeßbesucher deutlich. Ein Angeklagter gesteht beiläufig, mit einem Kollegen gewettet zu haben, daß er einem festgenommenen Vietnamesen in den Schritt fassen würde.

Trotz der umfangreichen Aussagen ist es fraglich, ob die Anklage durchkommt. Die 16 Beschuldigten hauen sich nicht gegenseitig in die Pfanne, das ist bereits deutlich geworden. Korpsgeist bestimmt das Bild. Die Polizisten verteidigen sich auf die übliche und in der Regel recht erfolgreiche Weise: Gewaltanwendung sei, sofern sie zugestanden wird, nötig gewesen, um den Widerstand der Festgenommenen zu brechen. Ansonsten haben immer alle nichts gesehen.

Die Vorwürfe gegen die 16 Beamten sind schwerwiegend genug. Doch interessanter ist eigentlich, was auf den Fluren des Landgerichts in Moabit geredet wird. In einer Verhandlungspause steht eine Gruppe JournalistInnen beisammen und tauscht Erlebnisse mit der Polizei aus, allesamt schlimmer als das, was hier verhandelt wird. Man braucht nicht Ausländer, Hausbesetzer oder Hooligan zu sein. Selbst im Fernsehen kann man oft genug prügelnde Polizisten sehen. Knüppel gegen Demonstranten mit Trillerpfeifen, Fußtritte gegen am Boden liegende Menschen, Razzien gegen Ausländer, Junkies und Obdachlose mit der Waffe im Anschlag.

Gerade in Berlin überzeugen die Freunde und Helfer immer wieder mit ihrer Schlagfertigkeit. Erst kürzlich wurde die Berliner Polizei wegen auffällig häufiger Gewaltanwendung vom Antifolter-Komitee in Straßburg gerügt. Im jüngsten Bericht von amnesty international werden aus den Hunderten von Anzeigen, die jedes Jahr in Berlin gegen Polizisten gestellt werden, 40 Fälle aufgeführt - alle von amnesty-Ermittlern sorgfältig überprüft. Die Behörden überhäufen die Menschenrechtsorganisation seitdem mit Kritik. Die Deutsche Polizeigewerkschaft will gar gegen die "ehrverletzenden Vorwürfe" von amnesty klagen. Die Frankfurter Rundschau titelte prägnant: "amnesty trifft den Nerv der Polizei".

Ähnliche Abwehrreaktionen gab es auch jüngst, als in München eine Umfrage unter Drogenkonsumenten veröffentlicht wurde. Darin geben 63 Prozent an, schon von Polizisten beschimpft worden zu sein, 48 Prozent wurde Gewalt angedroht, 41 Prozent erlebten bereits körperliche Gewalt durch Polizisten. Die Vorwürfe reichen von Fausthieben bis zu Knüppelschlägen gegen Junkies, und in einem Fall soll ein Abhängiger in einen mit Wasser gefüllten Brunnen gestoßen worden sein. "Wir sind entrüstet", reagierte der stellvertretende Chef des Münchner Polizeipräsidiums, Eberhard Roese. Seine Wut bezieht sich allerdings nicht auf die Polizeiübergriffe, sondern auf die Veröffentlichung der Umfrage. Diese sei nicht glaubwürdig.

Daß die staatlichen Stellen so nervös reagieren ist verständlich. Schließlich hat die aktuelle Politik gegen Kriminalität und möglicherweise zunehmende soziale Unruhen nichts zu bieten als den Ruf nach mehr Polizei und nach mehr Rechten für diese. Wenn aber die Ordnungsmacht selbst ein kriminelles Image bekommt, läuft die ganze Law-and-order-Politik ins Leere.