L’État, c’est Moi

Nicholas Biwott, Vertrauter von Kenias Präsident Daniel arap Moi, soll den Unruhen mit zwei Koffern voller Geld nachgeholfen haben

Mehr als 40 Tote und mehrere hundert Verletzte ist die vorläufige Bilanz der jüngsten Welle der Gewalt an Kenias Küste am Indischen Ozean. Obwohl es in dieser Region schon im Vorfeld der Wahlen von 1992 zu vermeintlich "ethnischen" Auseinandersetzungen gekommen war, weisen die Ereignisse doch auf einige Ungereimtheiten hin, und es gibt außerdem Hinweise, daß die Gewalt gesteuert wurde. Nach kenianischen Presseberichten werfen Oppositionelle Nicholas Biwott, der grauen Eminenz in Präsident Daniel arap Mois Kabinett, vor, sich mit zwei Koffern voller Geldscheinen nach Mombasa begeben zu haben, um damit Provokateure zu bezahlen. Biwott hingegen sagte, er sei zu "sozialen Aktivitäten" nach Mombasa gefahren.

Bis zum Ende des Jahres müssen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden. Präsident Moi, seit 19 Jahren an der Macht, versucht die Forderung der Opposition nach einer Reform des Wahlrechts, das auf seine Kenianisch Afrikanische National-Union (KANU) zugeschnitten ist, abzublocken. Demonstrationen von Studenten und Opposition wurden von ihm vor einigen Wochen gewaltsam unterdrückt. Dabei kamen mindestens zehn Menschen ums Leben.

Das Signal für den Beginn der jetzigen Ausschreitungen gab ein Überfall am 14. August von rund 100 mit Gewehren bewaffneten Kämpfern auf eine Polizeistation in einem Vorort Mombasas. Die Gewalt breitete sich in der Folge schnell aus und richtete sich sowohl gegen die Polizei als auch gegen Privatpersonen. Häuser wurden niedergebrannt, und in Mombasa tauchten Flugblätter einer bis dahin unbekannten "Vereinigung der Küstenvölker" auf, in dem dazu aufgefordert wurde, alle Menschen aus der Region zu vertreiben, die nicht traditionell zu den dort siedelnden "Stämmen" gehörten.

Mit Erfolg: Mehrere tausend Menschen sind nach Angriffen auf ihre Wohnviertel geflohen oder haben Zuflucht in Kirchen oder staatlichen Einrichtungen gesucht. Die Arbeitsplätze im sich entwickelnden Massentourismus und der große Hafen in Mombasa haben in den vergangenen Jahrzehnten Menschen aus dem Landesinneren angezogen. Vor allem gegen die Luos, deren Hochburg am Viktoria-See im Westen des Landes liegt, gibt es latente Ressentiments in der Küstenregion.

In der vergangenen Woche wurde dann ein lokaler Funktionär der Jugendbewegung der KANU-Regierungspartei verhaftet. Zeugen hatten berichtet, er sei immer wieder an den Orten aufgetaucht, an denen jugendliche Banden angegriffen hätten. Am Tag zuvor war einer seiner Mitarbeiter bei einem Angriff auf eine Polizeipatrouille getötet worden. Die Polizei erklärte, er sei einer der Bandenführer gewesen, der Überfälle auf Wohnsiedlungen und Polizeistationen geleitet habe. Unter den Verhafteten seien mindestens 30 ehemalige Soldaten und Milizionäre, hieß es weiter. Ein Regierungssprecher wies daraufhin den Vorwurf zurück, die KANU sei für die Ausschreitungen verantwortlich. Es sei normal, daß unter mehr als 600 Inhaftierten auch Mitglieder der Regierungspartei seien.

Da jedoch die Regierung vor den ersten Mehrparteienwahlen 1992 schon Vertreibungen mit tribalistischem Hintergrund selbst inszeniert hatte, klingt diese Rechtfertigung wenig überzeugend. Im November 1991 kam es zu sogenannten ethnischen Auseindersetzungen im Rift Valley, im Nordwesten des Landes. 1 500 Menschen wurden in den folgenden Monaten getötet, 300 000 vertrieben. Da die dem Präsidenten nahestehenden Bevölkerungsgruppen (Kalenjin, Massai) von den Vertreibungen profitierten und die der Oppostion nahestehenden deren Opfer (Kikuyu, Luo) wurden, kam schnell der Verdacht auf, die Regierung selbst habe den Landraub inszeniert. Untersuchungskommissionen von Parlament und Kirchen kamen zu dem Ergebnis, daß die Regierungspartei in die Ereignisse involviert war. Die oppositionelle kenianische Presse berichtete sogar, Hubschrauber hätten Kalenjin-Krieger auf das Privatgrundstück von Nicholas Biwott gebracht. Die international angesehene Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch/Africa, die in einem im Juni herausgegebenen Bericht die Ereignisse noch einmal untersucht hatte, kommt zu dem Ergebnis, daß Regierungsfahrzeuge für die Angriffe benutzt wurden, daß einige Angreifer von KANU-Offiziellen ein Kopfgeld für jede vertriebene Person und Belohnung für jedes zerstörte Haus bekommen haben, und daß die Regierung alles tat, um das auf den Druck des Westens nach den Auschreitungen zustande gekommene UNDP-Hilfsprogramm für die Vertriebenen zu untergraben. Die Vertreibungen hatten für die KANU damals den nicht unangenehmen Nebeneffekt, daß potentielle Oppositionsanhänger aus dem Rift Valley vertrieben wurden und so sichergestellt war, daß KANU diese Wahlkreise gewinnen konnte.

Auch diesmal ist Wahlkampf in Kenia. Das Parteiensystem in Kenia ist - wohl mehr noch als in anderen afrikanischen Ländern - nach tribalen Linien ausgerichtet, die politischen Programme der Parteien hingegen unterscheiden sich kaum. Bedingt durch die noch stark agrarisch geprägte Gesellschaft entscheidet die Mehrzahl der Wähler nicht nach sozio-ökonomischen Gesichtspunkten, sondern nach tribalen und regionalen Klientelbeziehungen. Sie wählen den Vertreter ihrer Gruppe und hoffen, daß er ein Amt bekommen wird und einen entsprechenden Anteil der staatlichen Ressourcen in ihre Region oder für ihre Gruppe umleiten wird.

Im Vorfeld der Wahlen gibt es allerlei arithmetische Spielchen, und die KANU hat schon einen ersten Pluspunkt bei der Wählerregistrierung gewonnen. Im Vergleich zu 1992, als sich noch rund acht von zehn Millionen Wahlberechtigten anmeldeten, sind es diesmal nur sechs Millionen. Die Registrierung war durch allerlei Pannen und Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, und die Opposition warf der Regierung vor, die Anmeldung vor allem in ihren Hochburgen forciert zu haben. Da die Wähler der KANU besser organisiert sind und für den Gewinn der Wahlen eine einfache Mehrheit ausreicht, ist die geringe Wahlregistrierung für die KANU von Vorteil.

Die durch die Nähe zur arabischen Halbinsel und den jahrhundertelangen Handelskontakt arabisch geprägte Küstenregion um Mombasa hatte bei der Wahl 1992 fast auschließlich für die islamistische Partei IPK votiert. Sie ist für die kommenden Wahlen jedoch nicht registriert. Ihr Chef, Khalid Balala, war zwischenzeitlich inhaftiert und wollte im Juni aus dem Exil nach Kenia zurückkehren. Die Behörden verweigerten ihm jedoch zunächst die Einreise mit dem Hinweis, man habe ihm im Exil die Staatsbürgerschaft entzogen. Schließlich mußten sie ihn doch einreisen lassen. Die unnachgiebigsten Oppositionspolitiker Kenneth Matiba (Kikuyu) und Raila Odinga (Luo) erklärten sich darafhin mit Balala solidarisch, und es zeichnete sich die Möglichkeit einer Anti-KANU-Koalition ab. Durch den Gewaltausbruch jedoch wurden die Ressentiments zwischen den IPK-Anhängern und den Luos wieder angeheizt. Ob die KANU diese Ausschreitungen selbst in Szene gesetzt hat, wird sich erst noch herausstellen müssen. Daß sie es ist, die davon profitiert, ist jetzt schon sicher.