Riefenstahl neutral

Mit Riefenstahls Ästhetik kämpfen auch Neurechte gegen die Moderne und den "sinnentleerten Zeitgeist"

"Leni Riefenstahl ist eine tolle Künstlerin", antwortet Andreas Schlüter auf die Frage, warum er in seiner Hamburger Galerie Fotografien der in der NS-Zeit populär gewordenen Filmemacherin und Fotografin präsentiert. Mehr als 50 Fotografien offeriert der Galerist dem interessierten Publikum bis zum 14. September zum Verkauf. Erstmalig, wie Schlüter nicht ohne Stolz versichert. Doch aus Sorge vor Protesten kam die "tolle Künstlerin", in der Adolf Hitler die "vollkommene deutsche Frau" sah, nicht zur Vernissage, obwohl die 95jährige zu diesem Zeitpunkt im Hamburger Hotel Atlantic residierte.

Dafür werden sich sicherlich einige Rechtsradikale zu der Ausstellung begeben. Die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit führt den Ausstellungstermin in ihren ausgewählten Veranstaltungshinweisen an. Zusammen mit Arno Brekker gilt Riefenstahl innerhalb der rechten Szene als Avantgardistin der "artgerechten Kunst". Gefällt den einen bei Riefenstahls Filmen insbesondere die Inszenierung des Nationalsozialismus an der Macht, so gefällt den anderen bei ihren Fotografien die Ästhetisierung des Faschismus als Idee.

Schlüter möchte allerdings Form und Inhalt ebenso getrennt betrachtet wissen wie die Vita der Künstlerin und ihr Îuvre. Wie viele CineastInnen, die Riefenstahls Filme wegen ihrer Kameraführung und Montagetechnik bewundern, beschränkt sich auch Schlüter auf die Faszination der formalen Aspekte ihres Werks. Dank dieser "neutralen Präsentation" werde die Ausstellung auch nicht zu einem "rechten Wallfahrtsort", meint Schlüter. In den Räumen der Galerie werden Fotografien aus drei Schaffensperioden präsentiert. Die erste Werkgruppe aus den dreißiger Jahren umfaßt Fotografien von Athleten im Stil der Olympiafilme, die "Schönheit, Kraft und Grazie" vereinen sollen. Die Nuba-Fotografien aus den siebziger Jahren bilden die zweite Periode, die rituelle Handlungen, Kampfszenen und die Körperkulte "der Nubas" aus dem Sudan zeigt. Ihre Unterwasseraufnahmen aus den achtziger Jahren bilden die dritte Werkgruppe, in der sie reine und unberührte Natur einfangen möchte.

Riefenstahl Ästhetik steht im kulturell-politisch rechten Spektrum dem "sinnentleerten kulturellen Zeitgeist" gegenüber. In diesem Kontext symbolisiert Riefenstahls Ästhetik die immanente Kritik der Rechten an der Modernen, artikuliert in ihrer Kultur- und Zivilisationskritik. Sie transportiert in ihren Werken die alten rechten dualistischen Motive wie Natur versus Kultur, Intuition versus Ratio und Mythos versus Logos. Diesen Antimodernismus, mal direkt, mal indirekt im Rekurs auf Riefenstahl, thematisieren die Rechten auch in ihren Brain-Trust-Zentren wie dem Thule-Seminar.

Für die Verbreitung der Riefenstahlschen Ästhetik sorgen seit Jahren der rechtsextrem orientierte Arndt-Verlag aus Kiel und der Nation Europa Verlag aus Coburg. Riefenstahls Filme über die NSDAP-Parteitage 1933 und 1934 sowie über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin sind Klassiker der rechten Verlagsprogramme. Keine Filme, dafür aber die Memoiren und etliche Bildbände Riefenstahls führt die Verlagsgruppe Ullstein-Langen-Müller des rechten Verlegers Herbert Fleissner.

1996 produzierte der altrechte Werner Symanek eine Doppel-CD zu Ehren Leni Riefenstahls, auf der alle Bands vertreten sind, die in der rechtslastigen Gothic-Szene Rang und Namen haben: Fothcoming Fire, Strengththrough Joy, Death in June, Allerseelen und viele mehr. Der Vertrieb der vertonten Umsetzung von Riefenstahls faschistischer Ästhetik läuft über Symaneks eigenen Verlag, den "Gesellschaft Verlag + Agentur Werner Symanek" (VAWS) in Bingen. Der VAWS vertreibt unter anderem die Unabhängigen Nachrichten des ultrarechten Unabhängigen Freundeskreises. Immer wieder fielen die Mitarbeiter wegen Volksverhetzung oder Aufstachelung zum Rassenhaß auf. Eine Zusammenarbeit Symaneks gibt es auch mit dem Arun Verlag, der sich neben seinen rechten und extrem rechten Publikationen zu Großdeutschland und zur Frage der multikulturellen Gesellschaft auf heidnisch-esoterische Literatur spezialisiert hat. Die Prospekte des Arun Verlags wurden unter anderem von VAWS mit eigenem Eindruck verschickt.

Riefenstahl distanziert sich nicht von diesen rechten Publikationen. Sie gewährte der Jungen Freiheit im Gegenteil 1994 ein Interview. In dem Gespräch plauderte sie über Erfolge und Enttäuschungen ihres Lebens - ohne einen Moment der Selbstkritik. "Ich stehe dazu", versicherte sie, und "Menschen, die diese Zeit damals nicht miterlebt haben, können das auch gar nicht beurteilen." Sie habe "Dokumentarfilme ohne Kommentare" produziert und "keine Propaganda". Daß der Film "Triumph des Willens" über den NSDAP-Parteitag 1934 "heute so und nicht anders betrachtet wird, geht darauf zurück", so Riefenstahl, "daß er gut gemacht ist."

Adolf Hitler hatte die junge Filmregisseurin schon in den frühen dreißiger Jahren kennengelernt. Er bewunderte unter anderem ihren Film "Das blaue Licht" (1932), in dem bereits als zentrales Motiv das Gefühl der Sehnsucht nach einer mythischen Vergangenheit ebenso zum Ausdruck kommt wie die Traurigkeit über die "entzauberte Welt". Nach eigenem Bekunden beauftragte Hitler, von dessen Faszination sie noch heute schwärmt, sie persönlich zur filmischen Darstellung seiner Person und der NSDAP-Parteitage. Nach Riefenstahls Ästhetisierung Hitlers brauchte kein Film mehr über ihn gedreht zu werden. Und es wurde auch keiner mehr gemacht. Statt dessen glorifizierte sie den Nationalsozialismus in ihren halbdokumentarischen Filmen "Fest der Schönheit" und "Fest der Völker" über die Olympiade. Nicht nur, daß sie in den Auftragsarbeiten den "gestählten Körper mit gesundem Geist" fetischisiert, sie idealisiert erneut die "arische Rasse" und Volksgemeinschaft als organisches Ganzes.

Den historischen Kontext Riefenstahls und ihre aktuelle Vermarktung durch das rechte Spektrum will Galerist Schlüter nicht thematisieren. "Die Spannung würde verschwinden", und es sei "langweilig, die Eröffnung mit einer Entschuldigung zu beginnen". Die auftretenden Spannungen, ausgelöst durch ein Transparent an der Fassade des Altbaus mit der Aufschrift: "Hitlers Fotografin immer noch aktiv - 1936 die Propaganda - 1997 das Geschäft", störten ihn allerdings bei der Vernissage. Ebenso das Auftreten des Auschwitz-Komitees, das die Schließung der Ausstellung forderte. Ob das Geschäft mit der "tollen Künstlerin" läuft - Preis pro Abzug 3 500 Mark - verriet der Galerist nicht.