Schon wieder länger vertrieben!

Rucksackdeutsche feiern ihren 48. "Tag der Heimat". Linke planen erstmals einen Gegenkongreß

Alljährlich das gleiche Ritual: Die "deutschen Heimatvertriebenen" treffen sich beim "Tag der Heimat", um sich zu feiern. Neben zahlreichen kleineren Veranstaltungen in verschiedenen Städten, wird es auch diesmal wieder eine zentrale Kundgebung in Berlin geben. Zu den Rednern gehören in diesem Jahr der Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) und der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Wilhelm von Gottberg, sowie die BdV-Vizepräsidentin Erika Steinbach. Von Gottberg wird dabei vermutlich die Rolle des aggressiven Ostlandritters zufallen, während Steinbach, die für die CDU im Bundestag sitzt, für den etwas gemäßigteren Kurs zuständig sein wird.

Offenbar wird damit das altbekannte Spielchen zwischen offen rechtsradikalen und CDU/CSU-orientierten BdV-Funktionären fortgeführt. Im letzten Jahr wurde der Bundespräsident Roman Herzog beim "Tag der Heimat" als "Vaterlandsverräter" beschimpft, nur weil er sich erlaubt hatte, darauf hinzuweisen, daß auch die BRD sich gelegentlich an internationale Abkommen halten muß. Sein Widersacher, Paul Latussek, ist BdV-Vizechef, Referent bei der neofaschistischen Gesellschaft für freie Publizistik und Autor der nazistischen Zeitschrift Nation & Europa. Er vermißte in Herzogs Rede "ein Bekenntnis zum Anspruch der deutschen Heimatvertriebenen auf ihr Recht auf Heimat, das Ansiedlungsrecht in der Heimat und zum Eigentum in der Heimat".

Während die nach Osten Strebenden vom 6. bis 7. September ihr Deutschtum preisen und die Geschichte zurechtlügen werden, gibt es am 6. September eine zweite Tagung, und zwar eine, die dem BdV gar nicht ins Konzept passen kann: Den "Tag ohne Heimat". Die linke Veranstaltung soll, so die Initiatoren, einen Ansatzpunkt darstellen, "um gegen Vertriebenen-Verbände und die völkisch motivierte BRD-Politik wirkungsvoller" vorgehen zu können. Der "Tag ohne Heimat" soll eine langfristig angelegte Informationskampagne in Gang setzen. Eine Mitarbeiterin des Vorbereitungs-Komitees erklärte, daß man Verbindungen zwischen Vertriebenen-Verbänden, Kreisen der Bundesregierung und dem rechtsextremen Spektrum aufzeigen und die revanchistische und revisionistische Politik des BdV einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen werde.

Der "Tag ohne Heimat" findet ab 13 Uhr in den Räumen der Berliner Humboldt-Universität statt. Als Referenten sind unter anderem Gudrun Hentges, Emil Hruska, Heiner Möller und Bernhard Wagner eingeladen. Zum Abschluß der Tagung soll eine Podiumsdiskussion stattfinden, bei der es um die Möglichkeiten der Arbeit gegen Revanchismus und deutsche Großmachtpolitik gehen soll.

Der "Tag ohne Heimat" könnte gerade für die antifaschistische Arbeit nützlich sein. Bisher richteten die antifaschistischen Kritiker des BdV ihr Hauptaugenmerk auf dessen Revanchismus - der Begriff beschreibt eine Politik der rächenden Vergeltung für als Unrecht empfundene Umstände. Doch der Revanchismus stellt nur einen Teil der Ideologie der Vertriebenen-Verbände dar. Die Formel des Revanchismus, die durch die DDR geprägt wurde, blendet die Grundlage für Identitätsbildung und Entstehung der Gruppendynamik der Vertriebenen-Verbände nahezu vollkommen aus. So sollten die Trachten- und Volkstanzgruppen nicht nur als lächerlich abgetan werden, sondern müssen als ideeller Hort großdeutscher Politik und ihre Basis begriffen werden.

Im BdV existieren seit einiger Zeit zwei politische Optionen nebeneinander, die sich ergänzen: die großdeutsch-nationale und die völkisch-partikularistische. Während die erste noch ganz in der revanchistischen Tradition steht, greift die zweite auf deutsch definiertes Volkstum (mit den dazugehörenden Konstrukten der angegliederten "Volksgruppen") zurück. Diese zweite Option konnte in ihrem Gehalt als Kritik am Volksbegriff logischerweise von der DDR nicht zum Ansatzpunkt ihrer Analyse gemacht werden, womit die Kritik an den "Vertriebenen" verkürzt blieb. Die großdeutsch-nationale Option ergeht sich in Forderungen nach vereinheitlichtem und gemeinsamen Staatsterritorium in Anlehnung an den Reichsgedanken, während die völkisch-partikularistische auf das Konzept der zersplitterten, der parzellierten Regionen setzt. Diese Regionen sollen natürlich deutsch-völkisch dominiert sein. In ihnen soll das "deutsche Volkstum" zum Erstarken gebracht werden.

Die sinnvolle Konsequenz für antifaschistische Theorie müßte sein, in der Kritik an den Vertriebenen-Verbänden nicht beim Revanchismus stehen zu bleiben, sondern sie auf die Formel "Nie wieder Heimat" zuzuspitzen und damit die national, aber auch die völkisch motivierten deutschen Großmachtgelüste in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken.