»Stirb langsam« mit Friedrich Bohl

Bonn will osteuropäischen Holocaust-Opfern noch immer keine Entschädigung zahlen

Es sei an der Zeit, den "pathologischen Philosemitismus unserer Politiker beim Namen zu nennen", schrieb der Zehlendorfer CDU-Politiker Ortwin Kuhn noch im Mai dieses Jahres in einem Rundbrief an Berliner Kreisverbände. Es müsse endlich Schluß sein mit der "großzügigen Finanzierung Israels". Während die Basis bereits Klartext redet, drückt Kanzleramtsminister Friedrich Bohl einen ähnlichen Sachverhalt noch etwas zurückhaltender aus: Osteuropäische Juden, die die Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebt haben, haben weiterhin keinen Anspruch auf Entschädigung, stellte Bohl am 20. August in Bonn gegenüber dem Vizepräsidenten der Jewish Claims Conference (JCC), Israel Singer, klar. Das sei "deutsche Rechtsposition".

Wer den Sachverhalt im Kern so deutlich formuliert, darf mit Floskeln großzügig sein. Die Bundesregierung wolle "diesen Menschen" besser helfen als bisher, es sei "denkbar", den Interessen der Opfer "näherzukommen", trotz der "Komplexität der Materie". Und "erste Lösungen", auch das teilte der Minister im Werbejargon mit, sind schließlich schon "angedacht".

Jüdische Holocaust-Überlebende in Osteuropa haben zum Teil bis heute keinen Pfennig an deutschen Entschädigungszahlungen gesehen. Gemäß dem sogenannten Artikel-2-Fonds wurden bislang nur im Westen lebende NS-Opfer mit einer regelmäßigen Rente entschädigt. Die in der Zone konnten schließlich sehen, wo sie bleiben.

Jüdische Organisationen fordern seit Jahren, den Anspruch auf eine regelmäßige Zuwendung auf osteuropäische Holocaust-Opfer auszudehnen. Die Bundesregierung aber verzögert eine solche Entscheidung immer wieder. Schließlich sind die Betroffenen im Durchschnitt um die 80 Jahre alt. Und da wäre es doch nicht schlecht, wenn der eine oder andere potentielle Rentenempfänger den Löffel abgeben würde, bevor man ihm das Geld auszahlen müßte.

Bohl schlug dann auch vor, Expertenkommissionen zur "Erarbeitung von Lösungsvorschlägen" einzurichten. In 90 Tagen sollen erste Vorschläge auf dem Tisch liegen - allerdings nur dank verstärktem jüdischen Druck. Singer: "Wir kämpfen gegen die Uhr." Die Folterer von damals müssen nicht so lange warten. SS-Offiziere und KZ-Aufseher erhalten heute eine Kriegsopferrente, wenn sie "wie andere Soldaten im kriegsmäßigen Einsatz schwerwiegende und fortdauernde gesundheitliche Schäden davongetragen haben". Experten schätzen ihre Zahl auf 50 000, allein an ehemalige Mitglieder von SS und Waffen-SS zahlt die Bundesrepublik im Jahr 600 Millionen. Geht es aber um ihre Opfer, müssen "wir alles auch vor dem Hintergrund der aktuellen finanziellen Schwierigkeiten sehen" (Bohl). Die Forderungen der jüdischen Organisationen würden eben den "erheblichen Anstrengungen der Bundesrepublik nicht gerecht", anders gesagt: die Juden kriegen den Hals eben nicht voll. Schließlich liege dem Bundestag eine Initiative vor, 80 Millionen nach Osteuropa fließen zu lassen. Und außerdem habe man ja immerhin mit einer Reihe von Staaten sogenannte Einzelabkommen geschlossen. Laut Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist der größte Teil der Gelder allerdings, wie z.B. in der Ukraine, im Staatshaushalt verschwunden. Wo das Geld doch noch an den Mann, respektive die Frau kam, handelte es sich dann um eine einmalige Zahlung von 500 Mark.Die Betroffenen haben es längst satt, von der BRD düpiert zu werden.

In Tschechien beispielsweise weigern sich nach Angaben der taz viele der NS-Opfer, in von Bonn finanzierte Altenheime zu ziehen. Der Verhandlungsführer der JCC, Singer, war da zurückhaltender: "Menschliche Probleme" müßten schließlich "menschlich gelöst werden". Er bescheinige der Bundesregierung "alle guten Absichten". Gut gemeint ist eben doch das Gegenteil von gut gemacht.

Bei den Nachrichtenagenturen heißt es nach einem Treffen wie am 20. August dann: "Erste Annäherung, aber noch kein Durchbruch". Und, alles in allem, hat Bohl ja dann doch noch eine "rasche Lösung" versprochen.