Wie in Peer Gynt

Norwegen vor den Parlamentswahlen: Die rechte Fremskrittspartiet schürt Ressentiments gegen die samische Minderheit

Als sechs Wochen vor der norwegischen Storting-Wahl eine Meinungsumfrage zeigte, daß die rechtsextreme Fremskritts(Fortschritts)-Partiet hinter den regierenden Sozialdemokraten auf dem zweiten Platz in der Wählergunst lag, da wollte dies zunächst niemand glauben. Es hieß, das Ergebnis der Umfrage sei durch die Urlaubszeit verzerrt worden. Als jedoch kurze Zeit später ein weiterer Poll ebenfalls über 20 Prozent für die Fremskrittspartiet (FrP) prognostizierte, begann sofort die Ursachenforschung.

Allerdings nicht in Norwegen, sondern in Schweden. Im Expressen fragte der Leitartikler P.M. Nilsson: "Liebes Schwester- und Brudervolk, was ist eigentlich mit euch los? Norwegen hat keine Arbeitslosigkeit, keine Haushaltslöcher, eine ausgezeichnet funktionierende Ökonomie und Europas strengste Asylpolitik. Gesellschaftsverhältnisse, wie sie normalerweise Zuwächse für fremdenfeindliche Parteien schaffen - wirtschaftlicher Niedergang und hohe Einwandererzahlen - gibt es in Norwegen nicht. Natürlich könnte Hagens (Carl I. Hagen ist der Chef der FrP) Zuwachs den Schwächen der anderen Parteien geschuldet sein, aber daß sich rund ein Viertel der Wähler vorstellen kann, für ihn zu stimmen, sagt viel aus über die Art eures Nationalismus, den wir in Schweden früher als niedlich belächelt haben."

Nilsson weiter: "Wie Ibsens Peer Gynt sind die Norweger 'sich selbst genug'. Und genau wie in diesem Drama ist dies Norwegens größtes Problem. Durch den Ölreichtum verstärkt sich noch die Auffassung, daß man die Mitwelt nicht brauche. Aber in einer Welt, die geprägt ist von politischem Wandel, durchlässigeren Grenzen, Kulturaustausch und internationaler Zusammenarbeit, ist ein solches Land dazu verdammt zu verlieren. In diesem Punkt ist die Geschichte eindeutig: Länder, die offen sind für neue Ideen, andere Kulturen und andere Menschen, entwickeln auf lange Sicht den größten Wohlstand."

Die FrP allerdings sieht den Wohlstand Norwegens bedroht. Als neuer Sündenbock wurde die samische Bevölkerungsminderheit ausgemacht, deren Schutz im Grundgesetz verankert ist. Sie besitzt besondere Jagd- und Fischereirechte und erhält staatliche Zuwendungen. Der FrP-Kandidat für Finnmark, Fridtjof Frank Gundersen, erklärte nach seinem Besuch in einer typischen samischen Rundhütte: "Das war wie eine Filiale der Hölle. Wie schön wird es sein, gleich ein Glas Rotwein im Hotel zu trinken." Auf die Frage eines Journalisten, ob er beim Besuch der samischen Familie etwas gelernt habe, antwortete er: "Ich war entsetzt darüber, wie schlecht sie norwegisch sprachen. Das Problem scheint eher zu sein, ihnen anständiges Norwegisch beizubringen als die samische Sprache zu pflegen."

Mit solchen Ausfällen gegen die samische Minderheit, so verteidigte sich Gunderen, wolle er lediglich Norwegen vor einem bewaffneten Bügerkrieg schützen: "Eine eigene samische Nationalversammlung könnte einen eigenen Staat fordern. Wie die Kurden, die wohnen auch in verschiedenen Ländern und fordern einen eigenen Staat. Und dort gibt es einen bewaffneten Konflikt." Ihm ginge es nur um die Gleichbehandlung von Minderheiten: "Es gibt ungefähr 7 000 Samen. Allein in Oslo leben jedoch 12 000 Pakistani, in ganz Norwegen leben 11 000 Vietnamesen. Wir riskieren ethnische Konflikte, wenn die plötzlich ähnliche Rechte wie die Samen fordern."

Die Ausländer vergaß man im Wahlkampf natürlich auch nicht: Der Protestantismus ist Staatsreligion, und so machte man in vielen Kirchengemeinden Wahlkampf, indem man die zumeist älteren Zuhörer vor der angeblich drohenden Islamisierung des Landes warnte. Schon jetzt lebten mehr Moslems als Katholiken in Norge. Vidar Kleppe von der FrP erklärte: "Früher schickte Norwegen Missionare aus. Nun kommen die Moslems her, um zu missionieren. Die Imame und die fundamentalistischen Kräfte haben auf lange Sicht das Ziel, immer größeren Einfluß zu gewinnen und schließlich die norwegische Gesellschaft zu übernehmen."

Wieso fallen jedoch so viele Norweger auf diese Propaganda herein? Der liberale Journalist Gudleiv Forr berichtete von einer Gartenparty beim Aschehaug-Verlag, der bislang als "ein Treffpunkt der Linken und Liberalen" galt. In diesem Jahr jedoch "war alles anders. Auffällig viele Gäste kokettierten damit, noch nicht zu wissen, welche Partei sie denn im September wählen würden - einige deuteten allerdings an, daß es diesmal Carl I. Hagen sein könnte."

Forr fragt: "Warum sollte in dieser Gesellschaft, in der der Industrieproletarier gerade zum Programmierer umgeschult wird, in der die Steuern so niedrig sind, daß die Millionäre wieder hierher zurückommen und die Regierung eine so harte Einwanderungspolitik betreibt, daß nur wenige von uns täglich jemanden mit dunkler Hautfarbe auf der Straße trefffen - warum sollte es in einer solchen Gesellschaft nicht eine große Gruppe von Wählern geben, die es an der Zeit findet, ein kleines politisches Experiment zu wagen?"

Es handele sich, so Forr, um ein grundlegendes Problem der postindustriellen Gesellschaft: "In den heutigen wohlhabenden Industrieländern sind große soziale und ökonomische Veränderungen sowieso nicht gefragt. Visionen gelten als lächerlich, Reformen würden die etablierte Ordung nur stören. Große Umwälzungen sind nicht gewünscht - und Sozialismus schon mal auf gar keinen Fall.

Es sind nicht Ideologien oder Philosophien, die in der postindustriellen Gesellschaft das Wählerverhalten bestimmen. Die einzige Ideologie ist der Pragmatismus."

Der Vorschlag des Journalisten Forr: "Vielleicht sollte mal jemand anfangen Hagens Programm zu lesen?"

Daß die FrP überhaupt eine politisches Programmatik habe, bestreitet der Kommentator des Dagbladets, Harald Stanghelle, allerdings: "Er (Hagen) gibt den Wählern nicht den Traum von einem anderen Land, sondern den vom wohlgefüllten Portemonnaie. Zwischen den Zeilen gelesen ergibt sich daraus Egoismus als politische Vision. Hagen sammelt die Reichen, die noch reicher werden wollen und appelliert gleichzeitig an die Verlierer des großen norwegischen Kauffestes. In seinem Dunstkreis findet man diejenigen, die einen Sündenbock für die Enttäuschungen in ihrem eigenen Leben finden wollen ebenso wie traditionelle Rechts-Wähler, die unter anderem ihre alte H¿yre-Partei satt haben."

Das alles, so Stanghelle weiter, ist sehr verwirrend, "denn Norwegen befindet sich nicht in einer Situation, in der der Ruf nach extremen Lösungen gerechtfertigt wäre". Und gerade deswegen, so Stanghelle, verhalten sich die norwegischen Wähler wie sie sich eben verhalten, "das Risiko ist ja so klein. Und Gro Harlem Brundtland ist ja schon weg, da kann es ja vielleicht nicht schaden, ein bißchen mehr zu experimentieren?"

Im "Kuwait des Nordens" (durch den derzeitig starken Dollarkurs verdient Norwegen im Ölgeschäft täglich umgerechnet 10 Millionen Mark zusätzlich), wie eine dänische Zeitung Norwegen kürzlich nannte, treten durch den ungehemmten Reichtum natürlich auch die sozialen Unterschiede deutlicher zutage als noch vor einigen Jahren. Die Verlierer, Langzeitsarbeitslose, Rentner mit kleinem Einkommen und Menschen, die sich die hohen Mieten nicht leisten können, fühlen sich von dem Rechtspopulisten Hagen wohl auch deswegen so gut vertreten, weil sich, so Stanghelle, "im marktangepaßten und entpolitiisierten Norwegen kaum noch starke und engagierte Kräfte finden, die seiner einfachen Portemonnaie-Botschaft etwas entgegenzusetzen haben."

Das norwegische Dagbladet hat die Versprechungen Hagens nachgeprüft und kam zu einer Konklusion, die den FrP-Anhängern ganz sicher nicht gefallen hat: Ohne massive Steuererhöhungen sind die versprochenen Wohltaten wie die Anhebung der Mindestrenten nicht zu finanzieren. Carl I. Hagen selbst machte schnell einen Rückzieher und erklärte, niemals behauptet zu haben, alles in einer Wahlperiode zu schaffen, er denke langfristig, bis weit ins Jahr 2 000 hinein. Was Dagbladet so kommentierte: "Dabei sollte er sich wirklich besser beeilen. Denn sonst sind ihm bald die Wähler weggestorben."